Sarah Moschko

Praktisches Jahr
19.11.2018 – 11.03.2019

Ich bin über PJ-Ranking auf der Suche nach einer Allgemeinarztpraxis mit guter Lehre im PJ auf die Gemeinschaftspraxis im Bayerwald gestoßen. Schon der E-Mailkontakt ist super gut organisiert und sehr professionell. Auf meine Frage, wann ich nach dem erbetenen Probearbeiten denn Bescheid bekäme, ob ich für das PJ hier machen darf, kam die Antwort: „Wie, ob du darfst?! Wegen uns kannst du hier sofort anfangen. Es geht darum, dass du herausfindest, ob du es dir hier vorstellen kannst, damit du auch von den 4 Monaten profitierst.“ Eine Lehrpraxis, die sich für meinen Gewinn interessiert – endlich! 🙂

Ich bin am Wochenende vor meinem ersten Arbeitstag in die Studentenwohnung in Kirchberg eingezogen. Die Schlüsselübergabe erfolgt sehr unkompliziert, alle Anweisungen per Mail. Es ist eine 2er-WG, die ich mir mit meinem Mit-PJler teile. Am Montag gehen wir beide in die Praxis in Kirchberg und werden dort von Dr. Blank begrüßt.

Eine der Arzthelferinnen zeigt uns kurz die Praxis und dann laufen wir den ersten Vormittag beide mit Dr. Blank mit. Obwohl viel los ist und er viel zu tun hat, bleibt er immer freundlich und nimmt sich Zeit uns einige Dinge schnell zu erklären. Nach der Sprechstunde findet die sogenannte „Montagsbesprechung“ statt, die über eine Art Skype zwischen allen Ärzten der vier Praxisstandorten veranstaltet wird. Hier werden Themen besprochen, die vorher von allen Ärzten vorgeschlagen werden können. Das heutige Thema ist „Reizhusten“ und ich bin für das Protokoll verantwortlich. Wir PJler werden uns das restliche Tertial damit immer abwechseln.

Die Diskussion folgt einem den Ärzten bekannten Schema und ist sehr strukturiert und lehrreich. Bereits ab dem Nachmittag dürfen wir zu den Patienten vorgehen, Anamnese und körperliche Untersuchung durchführen und die Patienten dann dem nachkommenden Arzt vorstellen. Ab dem zweiten Tag sind wir PJler meist in verschiedene Praxen eingeteilt. Nach einem kurzen Kennenlern-Mitlaufen bei dem jeweiligen Arzt, darf ich auch hier schnell zuerst alleine zu den Patienten gehen und die „Vorklärung“ machen. Durch die Einteilung an den verschiedenen Standorten, kann ich bei verschiedenen Ärzten mitlaufen und lerne ihre unterschiedlichen Arbeitsweisen kennen. Insgesamt beeindruckt mich, dass alle, auch wenn sie ihre Schwerpunkte natürlich verschieden setzen, einen sehr hohen Anspruch an die Güte ihrer Therapieempfehlungen haben. Häufig werden meine Nachfragen mit Hinweisen auf Studien, Journal Clubs oder Leitlinien beantwortet.

Sehr positiv fällt mir auch die Teamarbeit zwischen allen Praxismitarbeitern auf. Die Abläufe sind sehr gut aufeinander abgestimmt und die MFAs nehmen die Ärzten viel Arbeit ab – meist völlig automatisch. Ganz „nebenbei“ haben die meisten noch zusätzliche Spezialqualifikationen wie Diabetes-Betreuung oder Wund-Management. So schließe ich mich in meiner ersten Woche mehrmals Frau Bartesch an, die mich freundlicherweise immer für die besonders spannenden Wundversorgungen dazu holt.

Ganz nebenbei nimmt sie mich auch mit dem Auto mit nach Schöfweg – es hat nämlich gleich in der ersten Woche geschneit und seitdem steht mein Fahrrad in der Garage… Nur ein kleines Beispiel für die unglaublich freundliche und offene Art mit der wir Pjler vom gesamten Team behandelt werden. Mittwochabend dürfen wir bei einer weiteren Online-Besprechung dabei sein. Diesmal: Journal Club. Beteiligt sind nicht nur die Ärzte der vier Praxisstandorte, sondern auch einige weitere Niedergelassene. Jeder Arzt stellt eine Studie vor. Anschließend gibt es eine kleine Diskussion und es wird ein gemeinsames Fazit formuliert. In der Woche darauf werden die besprochenen Studien bei einer Präsenzveranstaltung in Regen für alle Niedergelassenen der Gegend vorgestellt. Wir Pjler werden jeweils einer Ärztin zugeteilt, sollen uns in deren Studie einlesen und diese nächste Woche dann vorstellen. Mein Thema ist „HCT erhöht in Studien das Risiko für weißen Hautkrebs – stellen wir deswegen alle Patienten auf eine Alternative um?“. Es kostet mich zwar ein paar Stunden Arbeit am Wochenende, ist aber durchaus lehrreich und spannend. Ich freue mich auf nächsten Mittwoch. Ab und zu sind wir PJler übrigens bei Dr. Blank auch mal zu zweit in der gleichen Praxis. Das funktioniert ganz wunderbar, da wir uns meist aufteilen und zu verschiedenen Patienten vorgehen. Als mal keine Patienten da sind, nehmen wir uns ein Otoskop und üben solange bis wir uns sicher im Umgang damit fühlen. Und tatsächlich tue ich mich danach bei den Patienten viel leichter den Trommelfellbefund zu erheben. Theoretisch gibt es in der Praxis auch Bewertungsbögen, sodass wir zusammen zu einem Patient gehen können und dann vom anderen Feedback zu unserer Kommunikation bekommen. Leider sind wir da diese Woche nicht dazu gekommen, aber das wird sicher auch noch spannend.

Alles in Allem bin ich sehr zufrieden mit meiner ersten Woche, habe schon mehr gelernt als erwartet und fühle mich gut im Team aufgehoben. Zu viel anderem bin ich nebenbei aber übrigens nicht gekommen, aber das wird einem auch schon beim Probearbeiten ganz ehrlich gesagt und ist es auch wert!

Die zweite Woche beginnt ähnlich wie die erste: wir PJler sind beide bei Dr. Blank eingeteilt, gehen jeweils zu den Patienten vor und stellen sie dann Dr. Blank oder seinen Kollegen vor. Das Ganze läuft jetzt schon etwas flüssiger, wir teilen uns selbstständiger auf die Patienten auf, wissen, wo wir Leitlinien o.ä. nachschlagen können (für mich komplett neu, aber genial: Deximed) und bei einfacheren Fällen stelle ich fest, dass meine Empfehlungen teilweise gar nicht weit von denen der Ärzte entfernt sind.
Das Thema der Montagsbesprechung lautet „Impfen“. Obwohl die Themen, die besprochen werden sollen, recht breit sind, wird schnell klar, dass der Umgang mit Impfgegnern bzw. -kritikern alle sehr beschäftigt und so wird hierauf das Hauptaugenmerk gelegt. Aus studentischer Sicht ist es sehr spannend zu sehen, wie unterschiedlich die verschiedenen Ärzte mit dem Thema umgehen. Ich nehme für mich mit, mir an wirklichen Impfgegnern nicht die Zähne auszubeißen, sondern lieber schwankende Patienten mit ihren Sorgen ernst zu nehmen und hier Informationen zu bieten (z.B. gesundheitsinformation.de), die sie zumindest von den für sie wichtigsten Impfungen überzeugt.
Eine weitere spannende Besprechung haben wir Mittwochabend im Journal Club mit den niedergelassenen Ärzten der Region. Dorian und ich stellen jeweils eine der Studien von letzter Woche vor. Ich bin zwar ein kleines bisschen nervös, aber alle sind sehr nett und es wird sehr wertschätzend und kollegial über die Inhalte diskutiert, sodass ich am Ende froh bin, die Chance gehabt zu haben, sich mal wieder etwas mit Statistik und Studienarbeit auseinander zu setzen. Trotzdem ist es auch schön, das Thema abgehakt zu haben, da die Vorbereitung und auch der Journal Club nochmal einige Stunden zusätzlich bedeuten.
Vielleicht bekomme ich dafür Ende der Woche die Quittung – ich habe eine dicke Erkältung. Andererseits hat Dr. Blank schon Anfang der Woche einem Patienten gegenüber angekündigt, dass wir PJler alle zwei, drei Mal pro Tertial bei der jeweiligen Erkältungswelle mitmachen. Ich dachte ja noch, man könne ja auch mal die Ausnahme sein… – einfach nix gewohnt, dieses Studentenvolk 😉

Meine dritte Woche im bayerischen Wald ist etwas anstrengend, weil ich die Halsschmerzen die ganze Zeit nicht richtig los werde… Ich merke, dass es mir schwerer fällt mich auf die Patienten einzulassen und eine angemessene Haltung einzunehmen während ich selbst nicht so fit bin. Meine Erkenntnis für diese Woche auf persönlicher Ebene: mein eigenes Befinden beeinflusst meine Wahrnehmung und damit die gesamte Kommunikation und Beziehung mit dem Patienten – vorher einmal tief durchatmen und eigene Befindlichkeiten vor dem Behandlungsraum lassen…
Die Mittwochsfortbildung fand ich sehr spannend, da es diese Woche ein für uns PJler neues Format war. Statt eines Journal Clubs haben wir diese Woche eine Online-Konferenz mit einem Schilddrüsen-Experten aus München gehabt. Es ging um die Bedeutung von Ultraschallscreening bei Schilddrüsenknoten. Anhand von Sensitivität und Spezifität haben wir durchgerechnet, wie diese bei der niedrigen Prävalenz von Schilddrüsenkarzinomen bei eigentlich hohen Werten (beide über 90%) zu unglaublich vielen falsch-positiven Befunden führen. Leider werden die meisten falsch-positiven Patienten aus übergroßer Sorge dann unnötigerweise operiert und entsprechend muss ein gewisser Anteil anschließend mit den OP-Komplikationen leben. Tatsächlich ist die Zahl der durch unnötige Schilddrüsen-OPs Geschädigten größer als die Zahl der durch richtig-positiven OP-Indikation Geretteten. Ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie wichtig die quartäre Prävention in der Hausarztpraxis ist.

Ich starte mit viel Elan in die Woche, da ich endlich wieder fit bin. Die ersten beiden Tage sind wir beiden PJler mal wieder zusammen bei Dr. Blank eingeteilt. Ich finde es nach wie vor toll einen Mitstudenten da zu haben, weil man zum einen auch viel voneinander lernen kann (in meinem Fall lerne ich viel Ortho und manuelle Therapie von Dorian) und sich zum anderen gegenseitig Feedback geben kann. Zweiteres unterstützt Dr. Blank zusätzlich, indem er gezielte Beobachtungsaufgaben stellt. Damit ermöglicht er es sehr geschickt auch die kritischeren Feedback-Punkte herauszuarbeiten, da man als Student irgendwie ja schon dazu neigt, eher positives Feedback zu geben.
In der Montagsbesprechung geht es dieses Mal um Otitis media. Mittlerweile werden meist wir Studenten zuerst aufgefordert, das zu sagen, was wir wissen und anschließend werden wir durch die Assistenz- und Fachärzte ergänzt. Diese Woche schreibe wieder ich das Protokoll und durch die Beschäftigung mit der Besprechung im Nachhinein festigt sich der Inhalt. Praktischerweise kommen in der Woche auch noch einige Patienten mit Ohrenschmerzen, sodass sich gleich alles anwenden lässt.
Die Mittwochsfortbildung findet diese Woche nicht statt, aber stattdessen werden wir von einer der Assistenzärztinnen Dr. Sujova zum „Adventsfenster“ eingeladen. Das ist eine Tradition hier in der Gegend, bei der jeden Tag ein anderes „Fenster“ im Dorf für alle Nachbarn und Freunde geöffnet wird – es gibt Kinderpunsch, Glühwein und Plätzchen. In diesem Fall standen wir ganz gemütlich um eine Feuerschale vor dem Garten und haben die Weihnachtsstimmung im schneebedeckten Bayerwald genossen. Danke!

KW51 Erfahrungsbericht 5. Woche

Das Highlight dieser Woche ist eindeutig nicht-medizinischer Natur: mein erstes Mal Langlaufen!
Anna, die Tochter von Dr. Blank nimmt uns mit nach Klingenbrunn, wo es eine prima Trainingsloipe
inklusive Flutlicht gibt. Ich bin die ganze Woche ziemlich nervös, weil ich als einzige von uns dreien
noch nie Langlaufen war, aber die Loipe ist wirklich perfekt, weil sie so übersichtlich ist, dass man
auch in seinem eigenen Tempo laufen kann, ohne gleich zu vereinsamen 😉 Außerdem haben wir mit
Anna die perfekte Begleiterin, weil sie nicht nur unglaublich nett und geduldig ist, sondern auch noch
Langlauflehrerin, sodass ich – obwohl „beim ersten Mal nur wichtig ist, Spaß zu haben“ – am Ende
das Gefühl habe, einen ganz guten Überblick über die verschiedenen Techniken zu haben und mich
jetzt auch alleine auf die zwei dünnen Brettchen wagen würde. Vielen Dank!
Medizinisch nehme ich aus dieser Woche mit, wie wichtig es ist Patienten mit ihren Vermutungen für
die Ursache ihrer Beschwerden ernst zu nehmen. Ich habe einen Patienten, der seit Wochen
Knieschmerzen ohne vorangegangenes Trauma hat. Als ich noch vor Besprechung des MRT-Befundes
frage, was er denn glaube, woher seine Schmerzen kommen, denkt er etwas nach und nimmt dann
völlig korrekt die Diagnose seiner Meniskusläsion voraus. Außerdem habe ich einen Patienten von
letzter Woche wiedergetroffen. Er kam vor sieben Tagen mit unspezifischen Bauchbeschwerden,
hatte aber große Sorge „etwas an der Bauchspeicheldrüse“ zu haben. Von der Klinik her war eine
Pankreatitis sehr unwahrscheinlich, aber im Labor zeigten sich dann massiv erhöhte Lipase-Werte,
sodass wir ihn ins Krankenhaus einweisen mussten. In beiden Fällen hätte ich andere
Differentialdiagnosen für viel wahrscheinlicher gehalten. Ich glaube, wenn es uns wichtig ist, haben
wir Menschen doch noch eine ganz gute Verbindung zu unserem Inneren – ich werde versuchen
darauf zu hören.

Es ist Weihnachten und die Arbeitswoche besteht nur aus 27. und 28. Dezember. Uns wird
freigestellt, ob wir an diesen beiden Tagen kommen wollen oder nicht. Da ich im Januar noch zwei
Wochen in den Urlaub fahren werde entscheide ich mich zu kommen. Tatsächlich sind auch an
diesen beiden Tagen einige Patienten da und es lohnt sich vom Arbeiten/Lernen zu kommen.
Am Wochenende fahre ich das erste Mal zum großen Arber zum Snowboarden. Es ist ein kleines
Skigebiet und im Moment das einzige, das hier in der Gegend offen hat. Doch selbst hier sind einige
Pisten und Lifte mangels Schnees geschlossen. Grundsätzlich würde ich hier nicht unbedingt eine
ganze Woche Skiurlaub verbringen, aber für einen Tag, wenn man mal daheim bleibt lohnt es sich
allemal. Es ist klein, aber fein. Die Skischul- und damit Anfänger-Dichte ist allerdings recht hoch…

Das neue Jahr beginnt mit einer Dreitageswoche. Zwei Tage begleite ich Dr. Blank und einen Frau Dr.
Kleudgen. Sie ist nicht nur Fachärztin für Allgemeinmedizin, sondern auch für Neurologie. Da ich mich
nie intensiv mit Neurologie beschäftigt habe, finde ich es genial, hier in der Hausarztpraxis die
Möglichkeit zu haben, einer Neurologin bei der Arbeit zu zusehen.
Ich habe diese Woche eigentlich das Gefühl bei vielen Patienten bereits in der richtigen Richtung
vorgegangen zu sein und von Dr. Blank eher ergänzt als gänzlich korrigiert zu werden. Am
Freitagvormittag bekomme ich für mein neues Selbstbewusstsein direkt die Quittung und einen
„unklaren“ Patienten nach dem anderen. Schön, dass man als PJler immer noch einen Arzt hat, der
im Anschluss kommt und unterstützt. Aber auch schön, so zu Jahresbeginn direkt nochmal motiviert
zu werden, mehr zu lernen!

dieser Stelle möchte ich einen Freizeittipp geben =) Am Wochenende bin ich mit eine
Freund mit Schneeschuhen auf den Lusen (hinter Grafenau) gewandert. Wir haben viel
Neuschnee gehabt, sodass wir den Sommerweg nehmen konnten, der ein kleiner Pfad mitten
durch den Nationalpark ist. Nach ca. zweieinhalb Stunden und gegen Ende auch etwas
anstrengenderer Steigung kommt man oben am Gipfel an und direkt dahinter wartet eine
bewirtete Hütte auf einen. Obwohl der Weg so kurz ist, ist er landschaftlich unglaublich
abwechslungsreich und schön: man beginnt parallel zur Langlaufloipe, kommt dann auf einen
Waldweg, an der Martinsklause vorbei und durch von Menschenhand völlig unangetasteten
Wald. Sehr spannend: seit ca. 30 Jahren wird im Nationalpark bayrischer Wald wirklich gar
nicht mehr forstwirtschaftlich eingegriffen. Daraufhin hat sich der Borkenkäfer dann sehr
verbreitet und die meisten Fichten zu Fall gebracht. Meist brechen die abgestorbenen Bäume
in der Mitte, sodass man jetzt häufig circa zwei Meter hohe tote Baumstümpfe sieht und
dazwischen wächst der junge Mischwald nach – jetzt auch nicht mehr nur Fichten. Ganz
oben am Gipfel wandert man dann noch über ein Geröllfeld, dessen Steine die Magma
darstellen, die im Inneren des Berges erkaltet ist und erst später über Tektonik und Erosion
an die Oberfläche gekommen sind. Das alles eingehüllt in ein wundschönes, sanftes Weiß
bei einer Schneedecke von mindestens einem halben Meter und ganz oben sogar teilweise
einer dicken Eisschicht. Bergab haben wir dann den Winterweg (ein breiter flacher Feldweg)
genommen, um mit dem Schlitten runterfahren zu können. (Wir haben übrigens auch
Skitourengeher auf dem Sommerweg getroffen.) Absolute Empfehlung!
In der Praxis habe ich es diese Woche das erste Mal nach Rinchnach geschafft. Da ich ja
ohne Auto hier bin, ist der Transport immer nicht ganz einfach. Es gibt aber eine sehr nette
Arzthelferin, die in Kirchberg wohnt und in Rinchnach arbeitet und mich freundlicherweise
mitgenommen hat. Das Team ist auch nach 8 Wochen noch genauso hilfsbereit und
liebenswert wie am Anfang!

Es ist Weihnachten und die Arbeitswoche besteht nur aus 27. und 28. Dezember. Uns wird freigestellt, ob wir an diesen beiden Tagen kommen wollen oder nicht. Da ich im Januar noch zwei Wochen in den Urlaub fahren werde entscheide ich mich zu kommen. Tatsächlich sind auch an diesen beiden Tagen einige Patienten da und es lohnt sich vom Arbeiten/Lernen zu kommen.
Am Wochenende fahre ich das erste Mal zum großen Arber zum Snowboarden. Es ist ein kleines Skigebiet und im Moment das einzige, das hier in der Gegend offen hat. Doch selbst hier sind einige Pisten und Lifte mangels Schnees geschlossen. Grundsätzlich würde ich hier nicht unbedingt eine ganze Woche Skiurlaub verbringen, aber für einen Tag, wenn man mal daheim bleibt lohnt es sich allemal. Es ist klein, aber fein. Die Skischul- und damit Anfänger-Dichte ist allerdings recht hoch…

Das neue Jahr beginnt mit einer Dreitageswoche. Zwei Tage begleite ich Dr. Blank und einen Frau Dr. Kleudgen. Sie ist nicht nur Fachärztin für Allgemeinmedizin, sondern auch für Neurologie. Da ich mich nie intensiv mit Neurologie beschäftigt habe, finde ich es genial, hier in der Hausarztpraxis die Möglichkeit zu haben, einer Neurologin bei der Arbeit zu zusehen.
Ich habe diese Woche eigentlich das Gefühl bei vielen Patienten bereits in der richtigen Richtung vorgegangen zu sein und von Dr. Blank eher ergänzt als gänzlich korrigiert zu werden. Am Freitagvormittag bekomme ich für mein neues Selbstbewusstsein direkt die Quittung und einen „unklaren“ Patienten nach dem anderen. Schön, dass man als PJler immer noch einen Arzt hat, der im Anschluss kommt und unterstützt. Aber auch schön, so zu Jahresbeginn direkt nochmal motiviert zu werden, mehr zu lernen!

An dieser Stelle möchte ich einen Freizeittipp geben 😉 Am Wochenende bin ich mit einem Freund mit Schneeschuhen auf den Lusen (hinter Grafenau) gewandert. Wir haben viel Neuschnee gehabt, sodass wir den Sommerweg nehmen konnten, der ein kleiner Pfad mitten durch den Nationalpark ist. Nach ca. zweieinhalb Stunden und gegen Ende auch etwas anstrengenderer Steigung kommt man oben am Gipfel an und direkt dahinter wartet eine bewirtete Hütte auf einen. Obwohl der Weg so kurz ist, ist er landschaftlich unglaublich abwechslungsreich und schön: man beginnt parallel zur Langlaufloipe, kommt dann auf einen Waldweg, an der Martinsklause vorbei und durch von Menschenhand völlig unangetasteten Wald. Sehr spannend: seit ca. 30 Jahren wird im Nationalpark bayrischer Wald wirklich gar nicht mehr forstwirtschaftlich eingegriffen. Daraufhin hat sich der Borkenkäfer dann sehr verbreitet und die meisten Fichten zu Fall gebracht. Meist brechen die abgestorbenen Bäume in der Mitte, sodass man jetzt häufig circa zwei Meter hohe tote Baumstümpfe sieht und dazwischen wächst der junge Mischwald nach – jetzt auch nicht mehr nur Fichten. Ganz oben am Gipfel wandert man dann noch über ein Geröllfeld, dessen Steine die Magma darstellen, die im Inneren des Berges erkaltet ist und erst später über Tektonik und Erosion an die Oberfläche gekommen sind. Das alles eingehüllt in ein wundschönes, sanftes Weiß bei einer Schneedecke von mindestens einem halben Meter und ganz oben sogar teilweise einer dicken Eisschicht. Bergab haben wir dann den Winterweg (ein breiter flacher Feldweg) genommen, um mit dem Schlitten runterfahren zu können. (Wir haben übrigens auch Skitourengeher auf dem Sommerweg getroffen.) Absolute Empfehlung!
In der Praxis habe ich es diese Woche das erste Mal nach Rinchnach geschafft. Da ich ja ohne Auto hier bin, ist der Transport immer nicht ganz einfach. Es gibt aber eine sehr nette Arzthelferin, die in Kirchberg wohnt und in Rinchnach arbeitet und mich freundlicherweise mitgenommen hat. Das Team ist auch nach 8 Wochen noch genauso hilfsbereit und liebenswert wie am Anfang!

Obwohl ich meine zwei Wochen Urlaub sehr genossen habe und eine wundervolle Zeit hatte, habe ich mich in der zweiten Woche dann tatsächlich schon wieder auf die Arbeit in der Praxis gefreut. Das Wiederankommen ist mir dann auch dementsprechend leichtgefallen. Trotzdem war es eine anstrengende Woche – aus zwei Gründen:
Zum einen war das Thema der Montagsbesprechung „Bridging bei Operationen von antikoagulierten Patienten“. Neben dem Protokoll, das jede Woche einer von uns PJlern erstellt, kam diesmal die Idee auf, ein Flussdiagramm (also eine Art Entscheidungsbaum) für die einzelnen Schritte zu erstellen. Nachdem wir beides dann an die Ärzte weitergeleitet hatten, wurde klar, wie komplex das Thema ist, da immer wieder neue Fragen aufkamen: „Warum wird Clexane in der halbtherapeutischen Dosis eigentlich nur einmal am Tag gespritzt, obwohl die Halbwertszeit selbst bei wiederholter Subkutangabe nur etwa sieben Stunden beträgt?“, „Wie funktioniert die Anpassung bei Patienten mit Niereninsuffizienz oder sollten statt niedermolekularem doch lieber unfraktioniertes Heparin gegeben werden?“, usw. So hat uns dieses Thema also noch die ganze Woche immer wieder und teilweise auch noch spätabends beschäftigt.
Zum anderen fühle ich mich zunehmend für meine Patienten verantwortlich. Nicht, weil kein Arzt mehr dazu kommen würde, sondern weil die Patienten mich auch immer mehr als primären Ansprechpartner während einer Konsultation wahrnehmen und akzeptieren (häufig habe ich schon zwanzig Minuten mit einem Patienten verbracht, wenn der zuständige Arzt dazu kommt). Das ist eine sehr lehrreiche Erfahrung, weil ich merke, dass ich dadurch mein gesamtes Vorgehen noch kritischer hinterfrage. Habe ich alle wesentlichen Punkte abgefragt bzw. untersucht? Habe ich red flags übersehen? Ist die Therapie, die ich (bzw. am Ende natürlich wir, also der behandelnde Arzt und ich) vorgeschlagen habe, wirklich die beste Option? Hat der Patient die Konsequenzen auch alle verstanden? Obwohl ich also weiß, dass die medizinisch/rechtliche Verantwortung zu 100% beim behandelnden Arzt liegt und nicht bei mir, fühle ich mich menschlich doch zunehmend in der Verantwortung, dass es „meinen“ Patienten bestmöglich geht. Ich finde das eigentlich einen idealen Lernzustand, da ich mich so schon mal lernen kann mit der gefühlten Verantwortung umzugehen und später „nur“ noch die rechtliche Verantwortung dazu kommt. Aber anstrengend ist es…

Über die Praxis haben wir PJler die Möglichkeit auch bei anderen Ärzten zu hospitieren. In der Wahl sind wir recht frei und können auch zu Ärzten, die wir kennen. Wenn man, wie ich, nicht von hier kommt, kann man sich aber auch einfach an Dr. Blank wenden und sagen: “Ich würde gerne mal bei einem Nephrologen/Dermatologen/Physiotherapeuten/… hospitieren.” Dann bekommt man gute Empfehlungen und einen Kontakt.
Ich war diese Woche für einen Tag bei einem Internisten, der parallel zu seinem Facharzt auch eine Psychotherapieausbildung gemacht hat. Die beiden Fachrichtungen sind zeitlich getrennt, sodass ich nur bei internistischen Patienten dabei war und mich dann verabschiedet habe, als die psychotherapeutischen Sitzungen losgegangen sind. Allerdings merkt man auch in seiner internistischen Arbeit den psychologischen Hintergrund und kann viel über biopsychosoziale Zusammenhänge lernen, sowie hervorragende Gesprächsführung beobachten. Außerdem ist er ein sehr gewissenhafter Arzt, der seine Patienten sehr gründlich untersucht, sodass ich an diesem Tag viele internistische Untersuchungen beobachten konnte, darunter Auswertung der Polysomnographie und Herzechos. Wann immer Zeit ist, bekommt man während der Untersuchungen viel erklärt und am Ende des Tages nimmt er sich nochmal Zeit für eine Nachbesprechung der Patienten – und geht hier auch nochmal auf die psychosozialen Hintergründe ein. Sehr spannend und lehrreich! Hundertprozentige Empfehlung!

Vor zwei Wochen habe ich in meinem Erfahrungsbericht ja schon davon geschrieben, dass ich (bzw. auch die anderen beiden Studenten, die gerade auch hier sind) zunehmend die Verantwortung für unsere Patienten spüren und damit auch eine gewisse Unsicherheit einhergeht. Als ich mit Dr. Blank -eigentlich beiläufig – darüber geredet habe, hat er direkt vorgeschlagen bei Kollegen mit psychologischem Hintergrund zu fragen, ob diese sich mit uns zusammensetzen würden, um dieses Thema mit uns zu bearbeiten.
Diesen Dienstag haben wir uns also einen Abend mit Dr. Schoder zusammengesetzt. Er hat gemeinsam mit seiner Ehefrau die Praxis in Schöfweg geleitet und beide unterstützen seit ihrer Rente noch die jüngeren Ärzte regelmäßig mit ihrer Erfahrung. Da er sich auch intensiv mit Psychotherapie und Psychoanalyse beschäftigt hat und unter anderem auch die Balint-Gruppe vor Ort leitet, war es für uns besonders wertvoll, dass er sich für uns Zeit genommen hat. Er hatte sich bereits im Vorfeld viele Gedanken über das Thema „Unsicherheit in der Allgemeinmedizin“ gemacht. Da es wenig Sinn macht, wenn ich hier jetzt die gesamten zwei Stunden wiedergebe, beschränke ich mich auf die Punkte, die bei mir stark hängen geblieben sind. Unsicherheit und Allgemeinmedizin gehören untrennbar zusammen. Auch in anderen Fachrichtungen kann es vorkommen, dass man keine Lösung für das Problem oder keine Erklärung für die Symptome des Patienten findet, aber dann wird der Patient halt zur nächsten Fachrichtung geschickt. Wenn am Ende nichts übrigbleibt, landet der Patient wieder bei seinem Hausarzt. Dieser muss diese Unsicherheit oder vielleicht passender dieses Nicht-Wissen dann gemeinsam mit dem Patienten aushalten, ihm vermitteln, dass alle gefährlichen Verläufe ausgeschlossen sind und man ihn trotzdem soweit wie möglich unterstützen möchte.  Aber auch wenn ein Patient zum ersten Mal in die Praxis kommt mit einem unspezifischen Symptom wie zum Beispiel Bauchschmerzen, muss der Hausarzt nach Ausschluss der abwendbar gefährlichen Verläufe aushalten, dass das Risiko besteht, dass doch etwas „Schlimmeres“ hinter dem Symptom steckt. Natürlich muss der Patient genau untersucht werden, aber wenn es sich um akuten Bauchschmerz handelt, der am ehesten auf einen grippalen Infekt hinweist, macht es keinen Sinn jeden Patienten ins CT zu schicken. Trotzdem besteht die winzige Wahrscheinlichkeit, dass doch einmal etwas hinter dem Bauchschmerz steckt, dass im CT diagnostiziert werden könnte. Auch dieses Nicht-Wissen muss der Hausarzt aushalten, denn jeden Patienten ins CT zu stecken schadet am Ende mehr Patienten (durch Strahlenbelastung, Stress, etc.) als es nutzen würde. Das schöne an dem Abend mit Dr. Schoder war, dass er all diese Dinge gar nicht als Nachteil gesehen hat, sondern als das Schöne, Besondere und Spannende der Allgemeinmedizin. Aus seiner Erfahrung sind die Patienten ihrem Hausarzt gerade dafür, dass er für sie und mit ihnen diese Unsicherheit und das Nicht-Wissen aushält, dankbar. Die Allgemeinmedizin sei eben keine reine Naturwissenschaft, sondern auch Geisteswissenschaft.

Das Thema der Montagsbesprechung dieser Woche war "Vitaminmangel und -Substitution". Ich finde dieses Thema irgendwie schwierig zu erfassen. Einerseits lernen wir bereits in der Vorklinik die verschiedenen Vitamine kennen, ihre Rolle im Stoffwechsel und ihren großen Stellenwert in unserer Ernährung als essenzielle Nahrungsbestandteile. Ich finde die Überlegung, was ich mit meiner Ernährung zu mir nehme und wie dies meine Gesundheit beeinflusst, grundsätzlich äußerst sinnvoll. In einem Vortrag von einem Ernährungsmediziner habe ich mal folgenden Vergleich gehört: "Wenn jemand zu Ihnen in die Praxis kommt, weil er sich ständig mit einem Hammer auf das Knie haut und deswegen jetzt Schmerzen hat, dann sagen Sie ihm doch auch nicht, er solle sich Knieschoner kaufen, sondern nehmen ihm den Hammer weg." Warum sollten wir also mit Medikamenten (Knieschoner) das wieder gut machen, was wir mit unserer schlechten Ernährung (Hammer) kaputt gemacht haben?
Andererseits ist der Zusammenhang zwischen Symptomen und Vitamin-Mangelzuständen kaum belegt. (Eine Ausnahme bilden natürlich die echten Hypovitaminosen wie Beriberi oder Skorbut, aber die gehören in einer Allgemeinarztpraxis im bayerischen Wald nicht gerade zu den häufigen Konsultationsgründen.) Meistens sind es Patienten mit unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit, die gerne Vitamin-Tabletten wollen. Und dann steht man vor dem Problem, dass diese Symptome prinzipiell durch jeden Mangel verursacht sein können und dass 60% der Deutschen einen Vitamin D-Spiegel von <50nmol/l (Grenzwert für Mangel) haben. Wobei die klinische Relevanz völlig unklar ist, da bei weitem nicht alle 60% (die gleichen) Symptome haben – oder zumindest nicht damit vorstellig werden.
Wieder einmal merke ich also, wie wenig wir doch noch über unseren Körper und die Medizin wissen, obwohl wir schon so viel wissen. Jetzt habe mal noch jemand Zeit diese Zusammenhänge in der Sprechstunde verständlich zu erläutern, um zu einem informed consent zu kommen… Wie ich mit so komplexen, unklaren Themen meinen Patienten gegenüber umgehe, stellt mich aktuell noch vor ein großes Fragezeichen.

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