Philip Schenkenberger

Praktisches Jahr
30.12.2024 – 20.04.2025

Woche 1: 30.12. – 05.01.2025 / Woche 2: 06.01. – 12.01.2025

Bereits die Ankunft in Kirchberg fühlte sich an wie ein Kurzurlaub. Die malerische Landschaft mit verschneiten Hügeln und dichten Wäldern ließen eine Freude und Entspanntheit aufkommen. Eine Woche Kirchberg und schon habe ich mehr liegengebliebenen Schnee gesehen als in einem Winter in meiner Heimat Berlin. Die Wohnung, die ganz oben auf dem Kirchberg liegt, war ebenso einladend: gemütlich-rustikal eingerichtet, mit einer voll ausgestatteten Küche, einem geräumigen Wohnzimmer und einem großartigen Ausblick auf die umliegende Natur. An diesem Ausblick… morgens vor der Arbeit Sonnenaufgänge, später dann Sonnenuntergänge… kann ich mich nicht satt sehen.

Der erste Arbeitstag
Am ersten Tag begann mein Praktikum in der Praxis in Kirchberg. Ich wurde freundlich vom Team empfangen und konnte gleich gut integriert mitarbeiten. Begeistert war ich von den sehr modernen Praxisräumen: 2 Top-Ultraschallgeräte, EKG, Laborraum, chirurgisches Behandlungszimmer und mehrere gut ausgestattete Behandlungsräume. Dies wäre ein Traum für jede Berliner Praxis und ich habe das Gefühl, dass Platz und Raum für eine Arztpraxis hier wohl auch erschwinglicher sind.
Die Arbeitsabläufe sind sehr flüssig und man merkt, dass hier ein sehr eingespieltes Team zusammenarbeitet. Die MFAs nehmen einen Patienten auf, bringen ihn in ein Arztzimmer, rufen seine E-Akte auf und man kommt als Arzt hinein und kann gleich mit dem Patient:inngespräch beginnen. Die MFAs sind wirklich gut ausgebildet und kennen sich mit Abrechnung, Rezepten, Überweisungen etc. so gut aus, dass sie vieles eigenständig bzw. in enger ärztlicher Absprache übernehmen.
Zu Beginn durfte ich Roman und Nora, die Ärzte hier in der Praxis, in die Sprechstunden begleiten, um mich mit den Abläufen und der Patientenarbeit vertraut zu machen. Direkt wurde ich aktiv eingebunden, indem ich erste Patientinnen nach kürzester Zeit selbstständig voruntersuchte und meine Ergebnisse anschließend präsentierte. Besonders gut fand ich, dass nach jeder Sprechstunde Zeit für eine ausführliche Besprechung eingeplant war und immer nachgefragt wurde, ob von meiner Seite noch Fragen bestehen.
Man merkt einfach, dass Studierende hier sehr gut in den Arbeitsalltag integriert sind und eine große Erfahrung im Studentenunterricht und der Arbeit mit PJler:innen besteht.

Spannende Fälle und vielfältige Erfahrungen
Die folgenden Tage standen ganz im Zeichen des Lernens. In den Praxen in Kirchberg und Auerbach konnte ich den Stil unterschiedlichster Ärzte und Ärztinnen kennenlernen. Wolfgang hat uns zu Beginn auch eine ausführliche Einführung in einige der häufigsten Sprechstundenanlässe- Rückenschmerz, Erkältung, Check-up und präoperative Sprechstunde- gegeben. So konnte ich schon mit mehr Sicherheit, recht selbstständig in den kommenden Tagen arbeiten.
Wirklich gut ist auch das Fortbildungsangebot der Praxis. Nach den Sprechstunden gibt es fast täglich Online-Sitzungen, in denen komplizierte Patient:innenfälle aus den verschiedenen Praxen besprochen werde oder themenspezifische Fortbildungen gehalten werden.
Sehr erwähnenswert und positiv finde ich auch die kritische Auseinandersetzung mit Studien in dieser Praxis. Dies merkt man daran, dass bei Behandlungen mit Patient:innen viel mehr die absolute Risikoreduktion und NNT/NNH zählt. So wird im Patient:innengespräch auch häufiger der Arriba Risikorechner verwendet, um das für den Patienten relevante Risiko und dessen Reduktion mit Hilfe bestimmter Maßnahmen zu visualisieren. Dies verhindert z.B., dass man die Zielgruppe von einer sehr selektiven Studienpopulation aus Zulassungsstudien der pharmazeutischen Industrie auf ein viel heterogeneres Patient:innenklientel unreflektiert ausweitet, die gar nicht die Einschlusskriterien der Studie erfüllen (häufige Multimorbide mit Polypharmazie oder Patient:innen mit einer deutlich besseren Begleitmedikation). Die wissenschaftliche Datenlage wird in den Praxen hier insgesamt hoch gehängt, sodass auch keine IGeL-Leistungen angeboten werden.

Freizeit und Umgebung
Leider hat die Arbeitslast meiner Doktorarbeit in dieser Woche stark zugenommen, sodass ich auch viel am Laptop sitzen musste. Bei schnellem Wlan und Blick auf die verschneiten Hügel ließ sich diese eher lästige Arbeit dennoch gut ertragen. Nach der Arbeit hatte ich dennoch die Gelegenheit, auch in der längeren Mittagspause, die wunderschöne Umgebung zu erkunden: verschiedene Spaziergänge in der verschneiten Hügellandschaft zu machen oder meine Vorsätze in diesem Jahr- mehr Dehnen und Joggen- zu verfolgen.

Fazit nach Woche 1
Ich freue mich sehr über die Entscheidung in Kirchberg mein PJ zu machen. Es ist ein toller Kontrast zur hausärztlichen Versorgung in einer Großstadt wie Berlin. Die Lebensrealität der Menschen ist eine andere. So ist mir zum Beispiel in Woche 1 schon aufgefallen, dass die Menschen hier vor Ort viel häufiger eine Ausbildung machen, Industrieberufen nachgehen, von denen ich zum Teil vorher nie gehört hatte, und fast alle auch aus der Region kommen und niederbayerisch sprechen, was zum Glück doch wesentlich besser zu verstehen ist, als ich vorher gedacht habe.

Woche 3: 13.01. – 19.01.2025

Diese Woche habe ich, wie bereits in der letzten Woche, in der Praxis Kirchberg gearbeitet. Da die Ärzte mich und meine Arbeit schon kannten, konnte ich von Anfang an sehr eigenständig tätig sein. So war es mir möglich, eigenständig Patient:innen zu anamnestizieren, körperlich zu untersuchen und anschließend einem Arzt vorzustellen. Dabei konnte ich jeweils einen Vorschlag für das weitere Vorgehen machen und diesen gemeinsam mit den Ärzten und Patient:innen besprechen.
Besonders häufig habe ich Patient:innen mit grippalen Infekten behandelt. Dadurch konnte ich eine große Routine im Umgang mit Infektionen der oberen Atemwege entwickeln. Außerdem lernte ich, auf potenziell gefährliche Verläufe dieser Krankheitsbilder zu achten.
Die längeren Mittagspausen in der Praxis (meist von 13 bis 16 Uhr) nutzte ich, um mich intensiv mit Deximed und den DEGAM-Leitlinien auseinanderzusetzen. Diese bieten praxisnahe und gut verständliche Übersichtsartikel zu verschiedenen Krankheitsbildern der Allgemeinmedizin. Zusätzlich habe ich oft einen schönen 2-3 Kilometer langen Winterwanderweg in der Nähe unseres Hauses erkundet, bevor es zur Nachmittagssprechstunde ging. Nach der Nachmittagssprechstunde ging ich häufig in das örtliche Fitnessstudio (50m von der Praxis entfernt), in dem ich mich diese Woche angemeldet habe.
Am Donnerstag bekommen wir PJ-ler stets nachmittags frei, um uns gegenseitig ein Thema unserer Wahl zu vermitteln. Diesmal bereitete jede:r von uns die Untersuchung und einen Fall zu einem Gelenk vor und präsentierte diesen als Expert:in. Gemeinsam übten wir die Untersuchung der Schulter-, Hüft-, Knie- und Sprunggelenke sowie des Rückens mit Fokus auf die hausärztliche Praxis. Der Austausch und das Üben mit meinen Kommiliton:innen war eine wertvolle und bereichernde Lernmöglichkeit.
Das Wochenende verbrachte ich bei meinen Verwandten in München. Die Zugfahrt von Plattling nach München dauert nur 1,5 Stunden. In München standen lange Spaziergänge und Museumsbesuche auf dem Programm.

Woche 4: 20.01. – 26.01.2025

Die dritte Woche meines Praktischen Jahres in der Allgemeinmedizin war geprägt von wachsender Selbstständigkeit und vielfältigen Lernerfahrungen. Die schrittweise Übernahme von mehr Verantwortung gibt mir ein gutes Gefühl für den späteren Berufsalltag.
Ein besonderer Mehrwert dieser Woche ergab sich durch die gemeinsame Fallarbeit mit den anderen PJ-Studierenden. In unseren wöchentlichen Besprechungen diskutieren wir interessante Fälle aus der Praxis, tauschen Erfahrungen aus und lernen voneinander. Besonders einprägsam war der Fall einer Patientin mit unklaren Oberbauchbeschwerden, bei dem wir gemeinsam die Differentialdiagnostik erarbeitet und später mit unserem betreuenden Arzt besprochen haben. Diese Form des peer-to-peer Lernens empfinde ich als äußerst wertvoll. Neben den Fallbesprechungen haben wir in dieser Woche supervidiert, die Sonographie des Bauches und der Schilddrüse geübt.
Diese Woche hatte ich zudem die Gelegenheit, bei verschiedenen Ärzten der Praxisgemeinschaft mitzuarbeiten. Dabei konnte ich unterschiedliche Behandlungsstile und Herangehensweisen kennenlernen. Während ein Arzt sehr strukturiert vorgeht und großen Wert auf ausführliche Dokumentation legt, besticht jemand anderes durch ihre besonders einfühlsame Gesprächsführung. Ein anderer Arzt wiederum überzeugt durch seine pragmatische Herangehensweise. Diese verschiedenen Ansätze zu erleben, hilft mir dabei, meinen eigenen ärztlichen Stil zu entwickeln.
Das Wochenende verbrachte ich in meiner Heimat Berlin, was eine willkommene Abwechslung zum Praxisalltag bot.

Woche 5: 27.01. – 02.02.2025

Diese Woche habe ich vermehrt motivierende Gesprächsführung in den hausärztlichen Alltag integriert. Da war zum Beispiel Frau M., die seit 20 Jahren raucht und nun mit einem Infekt der oberen Atemwege kam. Ein guter Anlass um mit Patient:innen auch über das Rauchen zu sprechen. Es stellte sich heraus, dass Sie auch den großen Wunsch hat aufzuhören. Wir haben uns Zeit genommen und darüber gesprochen, was ihr das Aufhören bringen würde (Rauchstopp von 24-48h: Verbesserung von Geruch und Geschmack, 1 Monat: kaum noch Husten,1 Jahr: Halbieren des kardiovaskulären Risikos, 5 Jahre: Lungenkrebs-Risiko halbiert, 10 Jahre: Lungenkrebsrisiko wie eines Nie-Rauchers, 15 Jahre: kardiovaskuläre Risiko eines Nie-Rauchers). Alle Patient:innen wissen das Rauchen schädlich ist, aber diese positive Aussicht wieder die Gesundheit eines/r Nie-Raucher:in zu erlangen, gibt doch noch einmal eine motivierende Perspektive. So konnten wir die Patientin in ein Rauchentwöhnungsprogramm bei Dr. Werner nach Regen vermitteln, was die Chancen für eine langfristige Rauchentwöhnung natürlich erheblich erhöht. Keine Pille, keine Intervention ist effektiver als mit Patient:innen über das Rauchen zu sprechen. Dies habe ich mir die Woche vorgenommen und auch gesehen, dass dies motivierend und ohne erhobenen Zeigefinger geht. Das PJ bietet die perfekte Gelegenheit, solche Gespräche zu üben, da ich mir mehr Zeit nehmen kann als die Ärztinnen und Ärzte im normalen Praxisalltag. Dabei habe ich auch gemerkt, wie wichtig es ist, Patienten und Angehörige für ihren Einsatz für die eigene Gesundheit oder die ihrer Angehörigen zu loben.
Ich habe diese Woche öfter versucht, Patient:innen noch ausführlicher zu untersuchen. Ich erkläre dann immer, dass ich noch Student bin und die Untersuchungen übe, aber mich freuen würde, wenn sie sich Zeit für eine gründliche Untersuchung nehmen könnten. Selbst wenn jemand nur zur AU-Verlängerung wegen einer bekannten Knieverletzung kam, war das für mich eine gute Gelegenheit, die Knieuntersuchung zu üben. Die Patienten waren durchweg hilfsbereit und sogar dankbar für die Zeit, die im normalen Praxisalltag oft fehlt.
Das Wochenende blieb ich diesmal in der Region. Am Samstag unternahm ich mit Katrin einen längeren Spaziergang durch „Bayerisch Kanada“. Verdammt schön- ging der Weg lange Zeit an einem Gebirgsbach entlang. So schön, dass ich am Sonntag gleich nochmal im bayerischen Kanada unterwegs war.

Woche 6: 03.02. – 09.02.2025

Etwas, was ich in den vergangenen Wochen, sowohl in Fortbildungen als auch in der Sprechstunde, wirklich gelernt habe, ist die medizinische Versorgung aus dem Blickwinkel der Allgemeinmedizin zu sehen. So geben die Nationalen Versorgungsleitlinien (die Leitlinien mit der höchsten Evidenz) auch andere Empfehlungen als die Leitlinien spezifischer Fachrichtungen. Beispielsweise werden als einzige medikamentös lipidsenkende Therapie Statine empfohlen. Von der Nutzung anderer Cholesterinsenker (Ezetimib, PCSK9-Hemmer, Bempedoinsäure) zusätzlich zu Statinen wird abgeraten, mit Ausnahme bei Statinintoleranz. Studien zu diesen Cholesterinsenkern als Add-on zu Statinen verfehlen nämlich den Nachweis einer reduzierten kardiovaskulären Mortalität bzw. Gesamtmortalität. Ich musste in der Allgemeinmedizin erst lernen, dass sich das kardiologische Credo zum LDL „the lower, the better“ so nicht in die medizinische Versorgung übertragen lässt und auf einer sehr selektionierten Datenlage fußt.
Einen weiteren Sinneswandel habe ich bei der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 erlangt. So sind Sulfonylharnstoffe in Verruf geraten, da sie in Kombination mit Insulin eine deutliche Hypoglykämiegefahr aufweisen. Eigentlich zu Unrecht, da sie den SGLT2-Inhibitoren und GLP1-Rezeptoragonisten in der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 nicht unterlegen sind. So empfiehlt auch die DEGAM noch den Einsatz der Sulfonylharnstoffe als deutlich günstigere Ergänzung der ersten Wahl in der oralen antidiabetischen Therapie, wenn Metformin nicht ausreicht und keine Herzinsuffizienz vorliegt. Zudem gibt es für die HbA1c-Senkung unter 7% keine Datenlage, die belegt, dass mikro- oder makrovaskuläre Komplikationen verhindert werden. Im Gegenteil steigt vor allem die Hypoglykämierate im Vergleich zu HbA1c-Werten zwischen 7-8%.
Ich habe in den letzten Wochen gelernt, noch deutlich kritischer auf Studien und auch Leitlinien verschiedener Fachgesellschaften zu blicken. So sollte man sich folgende Fragen stellen: Gehört dieser Patient wirklich zu der teilweise hoch selektionierten Gruppe an Patienten, die in der Zulassungsstudie von einer Therapie profitieren? Oder ist der Nutzen einer Therapie bei diesem Patienten z.B. aufgrund von Komorbiditäten gar nicht gegeben?
Ist der Nutzen einer Therapie in harten Endpunkten (Mortalität, Schlaganfall, Herzinfarkt) nachgewiesen oder nur in kombinierten Endpunkten, die vor allem durch geringere Krankenhausaufnahmen beeinflusst werden? Als Tool zum Nachschlagen dieser Fragen nutze ich häufig openevidence.com, eine wirklich gute Suchmaschine für medizinische Daten.
In der Hausarztpraxis lerne ich sehr gut, Patientinnen und Patienten individuell zu betrachten und sie nicht in irgendeine Leitlinie zu pressen, sondern im „Shared Decision Making“-Prozess die für den Patienten ganzheitlich beste Diagnostik und Therapie zu finden.

Woche 7: 10.02. – 16.02.2025

Die vergangene Woche in der Gemeinschaftspraxis stand ganz im Zeichen der voll ausgebrochenen Grippewelle. Der Wartebereich war täglich bis zum letzten Platz gefüllt mit Patienten, die mit den klassischen Symptomen wie Fieber, Gliederschmerzen und hartnäckigem Husten zu uns kamen. Teilweise kamen auch echt kranke junge Patienten mit Influenza-Infektion. Die Arbeitgeber in der Region werden diese Woche wohl einige Lücken in ihren Teams gehabt haben.

Was mich besonders freut: Ich merke deutlich, wie meine Eigenständigkeit in der Patientenversorgung zunimmt. Ich werde jetzt immer sicherer in meinen Entscheidungen. Die anfänglichen ausführlichen Korrekturen und Therapievorschläge sind merklich weniger geworden. Daran sehe ich den echt großen Fortschritt, den ich in der hausärztlichen Arbeit bisher vollzogen habe.

Das Wochenende nutzte ich für eine kleine Entdeckungstour durch drei der schönsten fränkischen Städte: Bamberg, Nürnberg und Erlangen; Bevor es zu meiner Familie nach Aschaffenburg ging. Nie hat sich das Deutschlandticket bei mir mehr gelohnt als hier im Bayerwald.

Woche 8: 17.02. – 23.02.2025

Wirklich bereichernd sind die dreimal wöchentlich online stattfindenden Fallbesprechungen. In diesem Format werden besonders komplexe oder lehrreiche Patientenfälle vorgestellt und gemeinsam diskutiert. Dabei habe ich die Möglichkeit, von der kollektiven Erfahrung aller Ärzte der Praxis zu profitieren. So konnte ich auch zwei für mich sehr herausfordernde Patienten besprechen.

Eine Patientin mit chronischer Erschöpfung, insbesondere nach Betätigung seit 5 Jahren, die eine dicke Arztmappe mitbringt und nun einen neuen Hausarzt sucht. In der Fallbesprechung kann man sich gute Ratschläge einholen, was man dieser Patientin hausärztlich anbieten kann (Fatigue-Ambulanzen, spezialisierte Ärzte in der Region, psychosomatische Klinik).

Neben herausfordernden Patientenfällen werden auch immer wieder spannende Patientenfälle vorgestellt und Updates zu diesen Patienten geteilt.

Das Wochenende verbrachte ich im schönen Wien. Von Plattling aus sind es auch keine 3 Stunden mit dem Zug.

Woche 9: 24.02. – 02.03.2025

Diese Woche war wieder geprägt von der Infektsaison: Grippe, grippaler Infekt, fieberhafter grippaler Infekt.

Dennoch gab es auch einige Abwechslung und ein besonderes Erfolgserlebnis: Im Sono konnte ich beim „Vor-Schallen“ bei einem Patienten mit krampfartigen Oberbauchschmerzen in der Nacht den sonografischen Befund einer Cholezystitis erheben. Die Gallenblasenwand zeigte sich erheblich verdickt (>7mm), es bestand ein positives Ultraschall-Murphy-Zeichen und perivesikuläre Flüssigkeit war nachweisbar. Zudem konnte ich mehrere Konkremente darstellen.

In der Woche bekam ich viel Besuch von Freunden und Familie. Wir unternahmen: eine Wanderung auf den noch verschneiten Lusen, eine Wanderung am Isar-Altarm, Bummeln in der Altstadt Deggendorf, den Besuch eines Eishockeyspiels der Straubing Tigers, Kaffee und Kuchen in Rinchnach und Einkehren in bayerischen Wirtshäusern. Wie immer spielte ich mit meiner Familie auch viel Doppelkopf. Schafskopf habe ich leider noch nicht gelernt.

Woche 10: 03.03. – 09.03.2025

Das mehrmalige Sehen von Patienten zu verschiedenen Anlässen ist auch eine wertvolle Erfahrung des PJs.

In der Klinik wechseln die Patienten oft schnell, und man erlebt nur einen kurzen Ausschnitt ihrer Krankengeschichte. Hier in der Hausarztpraxis ist das ganz anders. Mit der Zeit sehe ich immer mehr Patienten wieder, die ich schon von früheren Terminen kenne – zur AU-Verlängerung, für Kontrolluntersuchungen oder aus anderen Gründen. Dadurch kann ich den Verlauf ihrer Krankheiten und die Wirkung unserer Behandlungen viel besser nachvollziehen.

Besonders beeindruckt hat mich ein junger Mann Ende 20, der vor einigen Wochen mit Depressionen und häufigen Panikattacken zu uns kam. Bei seinem ersten Besuch wirkte er sehr niedergeschlagen, sprach leise und vermied Blickkontakt. Wir hatten ein langes Gespräch, in dem ich ihm auch Progressive Muskelentspannung nach Jacobson (PMR) und sportliche Betätigung empfohlen hatte.

Diese Woche kam er zur Nachkontrolle, und die Veränderung war wirklich bemerkenswert! Er erzählte, dass er tatsächlich angefangen hatte, Entspannungsübungen zu machen. Diese haben seine Anspannung so gut reduzieren können, dass er PMR nun jeden Abend mache und dreimal pro Woche joggen gehen.

Diese Erfahrungen des Wiedersehens haben mir ein Gefühl der Selbstwirksamkeit vermittelt, das in der täglichen medizinischen Arbeit motivierend wirkt. Zu erleben, wie ärztliche Interventionen konkrete positive Veränderungen im Leben der Patienten bewirken, bestärkt mich in meiner Berufswahl und dem Wunsch, langfristige therapeutische Beziehungen zu Patienten aufzubauen.

Die Natur im Bayerischen Wald zeigte sich diese Woche von ihrer schönsten Seite. Der strahlend blaue Himmel und die ersten frühlingshaften Temperaturen luden nach den Praxistagen zu ausgedehnten Wanderungen ein.

Das Wochenende verbrachte ich mit einer ausgedehnten Tour zum Rachel, einem der höchsten Gipfel des Bayerischen Waldes. Die frühlingshafte Atmosphäre, verbunden mit der noch vorhandenen Schneedecke in den Höhenlagen, schuf ein faszinierendes Landschaftsbild. Von oben bot sich ein atemberaubender Panoramablick über die sanften Hügel des Bayerischen Waldes bis hin zu den Alpen am Horizont.

Woche 11: 10.03. – 16.03.2025

Ein Fall, der mir in der vergangenen Woche während meines Praktischen Jahres im Bayerischen Wald besonders in Erinnerung blieb, war der eines 50-jährigen Patienten.

Am Dienstag stellte sich dieser männliche Patient mit diskretem Druckschmerz im rechten Unterbauch vor, der seit dem Morgen bestand. Die Symptomatik legte zunächst den Verdacht auf eine akute Appendizitis nahe, jedoch konnten wir in der sonographischen Untersuchung den Appendix nicht eindeutig darstellen. Eine Blutabnahme war leider nicht mehr möglich, da der Laborbote bereits seine Runde abgeschlossen hatte.

Dem Patienten gegenüber kommunizierten wir transparent die Differentialdiagnosen und klärten ihn ausführlich darüber auf, dass er sich bei einer Verschlechterung der Symptomatik umgehend in der Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses vorstellen sollte. Wir besprachen mit ihm konkrete Alarmzeichen wie zunehmende Schmerzen, Fieber oder Übelkeit.

Am folgenden Tag erhielten wir einen Anruf von der Ehefrau des Patienten mit der Information, dass sich sein Zustand noch am selben Abend verschlechtert hatte und er daraufhin in ein nahegelegenes Krankenhaus eingeliefert wurde. Dort bestätigte sich der Verdacht auf eine akute Appendizitis, und es wurde umgehend eine Appendektomie durchgeführt.

Dieser Fall veranschaulichte für mich eindrücklich, wie wichtig es ist, bei unklaren Befunden trotz negativer Bildgebung die klinische Symptomatik ernst zu nehmen und Patienten adäquat über Risiken und Handlungsoptionen aufzuklären. Unsicherheit besteht in der Hausarztpraxis bei vielen Krankheitsbildern, deshalb kann in Absprache mit dem Patienten ein abwartendes Offenhalten praktiziert werden. Diese Vorgehensweise ist ein wichtiger Bestandteil der allgemeinmedizinischen Arbeit, bei der nicht immer sofort eine definitive Diagnose gestellt werden kann. Der zeitliche Verlauf liefert oft wertvolle diagnostische Hinweise, die in der Akutsituation noch nicht erkennbar sind.

Das Wochenende verbrachte ich wieder mit Wanderungen im Bayerischen Wald am Arbersee, auf den Rachel und durch das Todtenauer Moor.

Woche 12: 17.03. – 23.03.2025

Highlight dieser Woche war sicherlich der niederbayerische Klischee-Patient. Am Dienstag wankte er herein – der Prototyp des niederbayerischen Patienten: Ein 58-jähriger Landwirt, der widerwillig in die Praxis kam, nachdem seine Ehefrau ihn regelrecht dazu gezwungen hatte. An beiden Unterschenkeln hatte er offene, stark gerötete, nässende Wunden. Die Beine waren deutlich ödematös geschwollen. Seine medizinische Selbstversorgung? Eine geheimnisvolle grüne „desinfizierende“ Paste.
„Des is a uroids Hausrezept“, brummte er stolz, während wir skeptisch die grünen Krusten betrachteten.
„I hob doch koa Zeit für sowas. Mei‘ Küah dahoam brauchan mi!“, erklärte er bestimmt. Seine Kühe stünden für ihn an erster Stelle, die eigene Gesundheit käme erst danach.
Nach eingehender Beratung konnten wir den Patienten zumindest überzeugen, alle zwei Tage zur Wundversorgung und zum Anlegen des Kompressionsverbandes zu kommen.

Dieser Fall erinnerte mich an einen Patienten von vor einigen Wochen: einen schwer schnaufenden Landwirt mit Brustschmerzen, bei dem wir im EKG ein neu aufgetretenes Vorhofflimmern entdeckten. Der Troponin-Schnelltest war zum Glück negativ. Diesem Patienten mussten wir die Dringlichkeit einer sofortigen Krankenhauseinweisung klarmachen, da wir den Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom hatten, welches wir in der Praxis nicht ausschließen konnten. Mit dem Kompromiss „Oba morgen bin i wieder weg, sonst werns no deppert, de Viecher!“ konnten wir ihn schließlich davon überzeugen, sich umgehend im Krankenhaus vorzustellen.
Auf dieses doch eher seltene kulturelle Highlight folgte dann ein intellektuelles Highlight: Ein EKG-Kurs mit den Studierenden des „exzellenten Winters“. In Kleingruppen wurden uns mit vielen praktischen Übungen die Feinheiten der EKG-Interpretation nähergebracht.

Nach dieser medizinisch interessanten Woche gönnte ich mir am Freitag einen Saunabesuch in Weißenstein. Nichts entspannt mehr als ein ordentlicher Schweißausbruch in einem gemütlichen Holzkasten!
Während wir wie Weihnachtsgänse schmorend auf den Holzbänken saßen, blieb auch die Politik nicht draußen. Ein älterer Herr mit Bierbauch, der vermutlich dachte, sein Schweißverlust würde im direkten Verhältnis zu seiner Redezeit stehen, startete unvermittelt seine Privat-Talkshow. “ Des is doch a reine Erpressung von dene Greana, hundert Milliarden für den Klimaschutz-Schmarrn ins ‚Sondavermögn‘ neizumauschln“.
Ein schlaksiger Typ in der Ecke konterte trocken: „Freilich, und da Saunaofen is eigentlich a geheims Klimakompensationsprojekt. Da schwitzt da Baua für a bessere Welt, gell! “ Gelächter brandete auf, während unser Polit-Experte im Handtuchkostüm vor Empörung noch röter anlief als ohnehin schon.
Ich beobachtete fasziniert, wie sich Politik und Physiologie vermischten: Je hitziger die Debatte, desto mehr stieg die Temperatur im Raum. In der Sauna erfand der Begriff „hitzige Diskussion“ sich offenbar neu. Eine ältere Dame neben mir flüsterte trocken: „Für manche ist die Sauna eben Therapie auch fürs Gemüt, nicht nur für den Körper.“
Als der Aufguss kam, verstummte die Diskussion glücklicherweise. Es gibt doch nichts Demokratischeres als ein wedelndes Handtuch, das alle gleichermaßen zum Schweigen bringt. Nachdem wir uns später abgekühlt hatten, sah ich unseren Hobby-Politiker mit seinem schärfsten Kritiker friedlich ein Bier an der Saunabar teilen – ein Beweis dafür, dass selbst die hartnäckigsten politischen Differenzen bei 90 Grad Celsius und ausreichend Flüssigkeitsverlust irgendwann verdampfen.

Das Wochenende rundete diese bildungsreiche Woche perfekt ab: Am Samstag traf ich mich mit den anderen Studierenden zum gemütlichen Spieleabend, und am Sonntag stand eine vorerst letzte ausgedehnte Wanderung auf den Großen Falkenstein an, bevor in der kommenden Woche meine Zeit hier endet.

Woche 13: 24.03. – 30.03.2025

Dies ist nun die letzte Woche meines Praktischen Jahres, und ich möchte einige der wichtigsten Lehren und Erkenntnisse Revue passieren lassen.
Mein Blick durch die allgemeinmedizinische Brille hat sich in dieser Zeit entscheidend geschärft. Ich habe gelernt, medizinische Studien nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern wirklich kritisch zu hinterfragen. Der tatsächliche Nutzen für den individuellen Patienten steht nunmehr im Zentrum meiner Betrachtungen. Eine statistisch signifikante Änderung eines Primären Endpunkts bedeutet nicht automatisch einen echten Mehrwert für den Patienten – diese Erkenntnis wird meine zukünftige ärztliche Arbeit maßgeblich prägen.

Die Sicherheit im Umgang mit Patienten ist mir im Laufe des Jahres enorm gewachsen. Zahlreiche Handlungsabläufe, die mir zu Beginn des Jahres noch kompliziert erschienen, sind nun zur Routine geworden. Ob Anamneseerhebung, körperliche Untersuchung oder die Interpretation von Laborwerten – ich fühle mich zunehmend kompetent und sicher.

Die Gesprächsführung mit Patienten wurde zu einer Kernkompetenz. Ich lernte die feine Kunst, die richtigen Worte am richtigen Ort zu platzieren, sodass Verständnis und Vertrauen wachsen können.
Ein wesentlicher Lernprozess war der Umgang mit diagnostischen Unsicherheiten. Ich entwickelte die Fähigkeit, Patienten offen und ehrlich meine Überlegungen mitzuteilen, ohne Unsicherheit als Schwäche zu empfinden. Das abwartende Offenhalten – natürlich nach sorgfältigem Ausschluss gefährlicher Verläufe – wurde zu einer meiner ärztlichen Strategien.

Am letzten Tag hatte ich noch eine humorvolle Erkenntnis: Trotz meines dreimonatigen Aufenthalts verstand ich den ersten Patienten des letzten Tages kaum – sein starker niederbayerischer Dialekt war eine echte Herausforderung. Doch aus einigen verständlichen Wortfetzen sowie Gestik und Mimik lässt sich am Ende doch immer ein schlüssiges Bild zusammensetzen.

So verabschiede ich mich vorerst vom Bayerischen Wald – mit dem festen Vorhaben, im September meine Assistenzarztzeit hier zu beginnen. Vielleicht werde ich dann den Dialekt endlich voll verstehen.