
Myriam Robert
Praktisches Jahr
03.07.2023 – 22.10.2023
Woche 1: 03.07. – 09.07.2023
Meine erste Woche im Bayerischen Wald geht zu Ende und ich blicke auf eine sehr intensive und erschlagende, aber bereichernde Woche zurück.
Ich bin letztes Wochenende angekommen; die 2 Tage Ruhe waren sehr willkommen;
und ich habe sie genutzt, um in der Wohnung, die mir zur Verfügung gestellt wurde, gut anzukommen. Ich hatte zudem noch viel zu erledigen, was sich in der Hektik des Tertialwechsels und Umzuges angesammelt hatte. Außerdem habe ich versucht, in der Masse an Informationen, die mich für mein 3. Tertial schon erreicht hatten, etwas Überblick zu bekommen. Die Wohnung war toll eingerichtet und hat alles, was das Herz frisch angekommener Studierenden begehrt. Ein Luxus, und dazu noch mit dem Wald und dem ganzen schönen Grün, was uns auf diesem kleinen Hügel umgibt. Außerdem werde ich während ⅔ des Tertials über das Praxisauto verfügen, was mir eine Menge Unabhängigkeit und Freiheit bietet.
In der ersten Woche ging es mit der Praxis in Auerbach los, wo ich 2 Tage geblieben bin. Anschließend war ich einen Vormittag in Grafenau mit Dr. Blank, einen Nachmittag auf Fortbildung in Cham mit den anderen Studierenden und 2 Tage in Schöfweg mit Dr. Kleudgen. Dazu kamen die Mittagstreffen, also montags immer die Fortbildung und dienstags/donnerstags die interne Besprechungen unklarer/spannender Fälle.
Obwohl ich schon im 3. Tertial bin, fühle ich mich in der Allgemeinmedizin noch ganz am Anfang und ich bin immer wieder erstaunt, wie unterschiedlich sich der Alltag in der Hausarztpraxis von der Arbeit im Krankenhaus unterscheidet. Innerhalb einer einzigen 4-stündigen Sprechstunde sehen wir von allem was: Derma, Psychiatrie, Impfungen, Kinder-U-Untersuchungen, Wundkontrollen, erste Wundversorgungen, akutes Abdomen, Check-Up Untersuchungen, Kardio mit Antihypertensiva, EKG, Rhythmusstörungen, Schilddrüse und Schilddrüsen-Sono, HWI, Besprechung von Patientenverfügungen, Einweisung mit V.a. Appendizitis, Zecken, Kontrollen jeglicher Laborwerte/pathologischer Befunde usw. … Und das ist nur eine mögliche Auswahl.
Noch bin ich an diesen Rhythmus und diese Art zu arbeiten nicht gewöhnt. Es ist ganz anders als der typische Tagesablauf einer Station. Aber so brutal ich diesen Wechsel auch finde: mir macht es jetzt schon total viel Spaß, diese Barrieren zwischen den Fächern zu überwinden und so breit und interdisziplinär zu denken. Außerdem bin ich froh, endlich einen Fuß in der Primär- und Sekundärprävention haben zu können.
Noch habe ich nicht viel selbst gemacht (aber im Schnitt immer noch viel, verglichen mit meinen anderen Tertialen). Nicht, dass ich das nicht konnte – im Gegenteil. Ich wurde mit Wertschätzung, Vertrauen und guter Betreuung inkl. persönlichem Feedback willkommen geheißen. Doch erstmal will ich möglichst sehen, wie die Ärzte arbeiten – jeder und jede mit eigenen Mustern und Techniken, wie ich schon in der 1. Woche festgestellt habe. Ich freue mich auf die Lernfortschritte, die ich in den nächsten Monaten machen werde.
Gewöhnungsbedürftig ist für mich der bayerische Dialekt (das wird wahrscheinlich lange so bleiben). Mit dem dörflichen Gotthard-Fest, wo viele von der Praxis sich gemeinsam auf ein Bier getroffen haben, habe ich außerdem als französische Studentin aus Freiburg meinen kleinen Kulturschock gleich am ersten Tertialstag gehabt!
Woche 2: 10.07. – 16.07.2023
Die zweite Woche ging richtig schnell vorbei. Ich habe in dieser Woche die zwei Hauptstandorte kennengelernt: Kirchberg und Lalling. Wieder wurde mir deutlich, wie sehr sich zwei Praxen der Allgemeinmedizin unterscheiden können. Der Schwerpunkt, die Anzahl an Patienten, das Profil der Patienten, die Räumlichkeiten, die Zusammenarbeit mit MFAs usw.
Diese zweite Woche war deutlich einfacher als die Erste und ich bin erleichtert zu merken, dass ich doch relativ schnell bei vielen Sachen besser werde. Noch bin ich ganz am Anfang, aber die Lernkurve ist unglaublich steil. Portale wie Deximed sind mir dabei eine enorme Hilfe, ich schätze sie jeden Tag mehr und greife immer häufiger darauf zurück. Und nach jedem einzelnen Tag merke ich, wie wohl ich mich in einer Praxis und mit diesem Patientenkontakt fühle. Ich bin einfach nur froh, dass es die Allgemeinmedizin gibt – in fast allen anderen Fachrichtungen habe ich mich eher gefragt, was ich in diesem Studium denn tue.
Am Freitag war mein Highlight, dass ich bei einer Patientin in der 9. Schwangerschaftswoche Ultraschall gemacht habe (Infekt/unspezifische Beschwerden der letzten Wochen, stark erhöhte Infektkonstellation in der Laborkontrolle, daher wollten wir ein kurzes Abdomen-Sono machen). Ich habe mit der Patientin anschließend die kardiale Aktivität des Embryos beobachtet – und obwohl ich absolut keine Leidenschaft für die Gynäkologie und Geburtshilfe habe, war das doch ein sehr schöner Moment, den ich erleben durfte. Es war sehr wichtig für die Patientin, da ihre letzte Schwangerschaft zu einem ähnlichen Zeitpunkt in eine Fehlgeburt endete und sie mit diesen auffälligen Laborwerten und AZ-Verschlechterung der letzten Wochen ziemlich besorgt war. Mir ist dabei nochmal klar geworden, wie viel Verantwortung man in ärztlichen Tätigkeiten hat. In der Klinik mit schwerkranken Patienten, aber auch in so vielen Gesprächen und Untersuchungen, die man in der Sprechstunde der Praxis führt.
Ein anderer interessanter Moment war, als ich einen recht jungen Patienten aufnahm, der sich für eine AU “wegen Müdigkeit” vorstellte. Aus der gründlichen Anamnese konnte ich wenig spezifische, somatische Beschwerden rausholen, doch schon im ersten Augenblick fiel mir auf, wie bedrückt und besorgt der Patient auf mich wirkte. Er sagte wenig, es war schwer, Informationen zu bekommen; seine Handbewegungen waren aber sehr unruhig. Am Ende entschieden der Arzt und ich uns für eine Laborkontrolle zum Ausschluss u.a. thyreoidischer oder anämischer Ursachen seiner Abgeschlagenheit. Erst nach dem Termin fiel mir auf, dass der Patient psychische Beschwerden nur angedeutet hatte, sich aber wenig getraut hatte, sie expliziter darzustellen oder über seine eigenen Gefühle zu reden. Ich habe seitdem die Schnell-Screenings für Depression nachgeschaut und mir als Ziel gesetzt, solche Patienten das nächste Mal viel direkter zu befragen. Ich habe die Vermutung, dass es ihm die Sache leichter gemacht hätte. Erstmal wird sich dieser Patient nach Kenntnisnahme der Laborwerte erneut vorstellen, dann als nächster Schritt eine psychologische Versorgung ggf. in die Wege geleitet werden.
Mein letztes eindrückliches Beispiel war eine Patientin mit (aus meiner Sicht) recht unspezifischen und komplexen, v.a. gastrointestinalen Beschwerden. Ich versuchte, wirklich an alle Red flags zu denken und überlegte, welche Untersuchungen oder Überweisungen bei ihr Sinn machen würden. Schnell erwähnte die Patientin das Wort “psychosomatisch” und wirkte auf mich sehr informiert und reflektiert, machte gleichzeitig aber auch sehr den Eindruck, als würde sie somatische Abklärungen und Erklärungen unbedingt haben wollen. Auf ihre Bitte musste ich sie zum Gespräch mit der Ärztin selbst alleine lassen, doch ich war insgesamt relativ zufrieden mit meiner Gesprächsführung. Ich konnte mich gut an Empfehlungen im Umgang mit psychosomatischen Patienten erinnern (z.B. somatische Ursachen abklären, aber nicht zu viel Raum geben; Pat. selbst fragen, was evtl. die Ursache sein könnte bzw. ob es psychisch sein könnte; Beschwerden ernst nehmen, gleichzeitig möglichst beruhigen).
Ansonsten lerne ich Kirchberg und die Umgebung mit der Zeit etwas besser kennen. Am Donnerstag Abend durfte ich zum 25-Jahres Jubiläum der Praxis und es war eine Freude, so viele Mitarbeiter zu sehen und wahrzunehmen, wie viel in der Praxis Bayerwald aufgebaut worden ist – auch wenn ich manchmal nicht mehr so ganz das Gefühl hatte, in einem deutsch-sprachigen Gebiet zu sein… Weil ich teilweise gar kein Wort mehr verstanden habe! 😉
Woche 3: 17.07. – 23.07.2023
Diese Woche war ich in Auerbach und einen Nachmittag in Kirchberg. Ich durfte mich mal wieder von vielfältigen Krankheitsbildern überraschen lassen, vom prominenten, unerwarteten lumbalen Abszess bis zur Chlamydien-Urethritis.
Ich befinde mich noch immer in diesem Spannungsfeld zwischen der Lust und dem Bedürfnis, viel selbst zu machen und auszuprobieren, um davon möglichst viel zu lernen… Und der Schwierigkeit, einzuschätzen, wann ich eine Zweitmeinung brauche oder einen Befund sollte prüfen lassen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass ich mir lieber etwas mehr Zeit lassen sollte. Mir hat die Woche aber wieder viel Spaß gemacht. Ich durfte jeden Tag sonografieren und meine Anamnesen werden merklich immer besser. Mittlerweile fühle ich mich ab und zu sicherer; ein Patient lobte mich für die banale Impfung, bei der er nichts gespürt habe; in Absprache mit manchen Patienten konnte ich diese wieder entlassen, ohne einen ärztlichen Kontakt bekommen zu haben (bei sehr einfachen Beratungsanlässen).
Am Dienstag stellten wir in der Fallbesprechung einen etwas älteren Patienten mit neu aufgetretener Hypästhesie der linken Gesichtshälfte ohne weiteren fokalneurologischen Defizite vor. Wir entschieden uns aus verschiedenen Gründen dafür, abzuwarten und den Befund der hoffentlich bald stattfindenden Bildgebung abzuwarten. Mittlerweile haben wir ihn bereits zur Kontrolle wieder gesehen. Das nehme ich von der Allgemeinmedizin mit: die Patient*innen sieht man immer wieder, und das über den Zeitrahmen ihrer vorläufigen Erkrankungen hinaus. Bereits nach diesen 3 Wochen in 4 verschiedenen Standorten habe ich das eine oder andere Gesicht wieder erkannt.
Am Mittwochabend durfte ich außerdem am digitalen Journal-Club teilnehmen. Es war spannend, zu merken, wie viel Epidemiologie oder kritisches Denken zur Allgemeinmedizin beitragen kann. Mir hat es trotz der späten Uhrzeit viel gebracht und ich werde gerne an den kommenden Sitzungen wieder teilnehmen.
Woche 4: 24.07. – 30.07.2023
In dieser 4. Woche war ich in Kirchberg und Schöfweg eingeteilt. Nachdem ich am vergangenen Wochenende für eine Familienfeier einen Ausflug ins große Stadtleben gemacht hatte, habe ich mal wieder wahrgenommen, wie unterschiedlich die ländliche Ruhe der Studentenwohnungen in Kirchberg ist. Manchmal genieße ich sie, manchmal fällt mir der Wechsel schwer.
Ich bekomme etwas mehr Routine und Sicherheit in den Abläufen der Praxen. Diese beginnende Sicherheit ist trügerisch. Gerade deshalb bin ich manchmal umso überraschender, wenn ich die Entscheidungen der Ärzte erfahre – nachdem ich Anamnese, körperliche Untersuchung und therapeutischen Vorschlag gemacht hatte. Es gibt noch so viel, woran ich nicht gedacht hatte – Impfungen, Anpassungen des Medikamentenplanes, Bericht der Orthopäden o.ä. anschauen, Kontrolle der Schilddrüsenwerte wieder veranlassen, EKG wegen QT-Kontrolle bei Antidepressiva, keine NSAR wegen der einen oder anderen Kontraindikation…
Bei einfachen Aufgaben (Schilddrüse sonografisch kontrollieren) bin ich mittlerweile geübter. Doch auch darin kann ich besser werden, meinen Blick zu erweitern: es geht eben nicht nur um die Schilddrüsensonografie, sondern darum, sich zu erkundigen, ob der Patient thyreotische Beschwerden hat; ob die Werte im Normbereich sind; ob die Medikamente gut vertragen werden. Bei vorhandener Zeit vielleicht auch darum, abzuchecken, ob weitere chronische Erkrankungen des Patienten Behandlungsbedarf haben.
Beispielsweise führte ich Anamnese und Untersuchung bei einem Patienten mit Handschwellung durch. Weil wir die Zeit dafür hatten, ging es aber am Ende nicht nur um den V.a. Gichtanfall, sondern auch darum, die Antidepressiva wieder zu reduzieren, nachdem der Patient sie jahrelang weitergenommen hatte und die psychotherapeutische Betreuung abgebrochen hatte; die kardiologische Wiederbetreuung einzuleiten und Impfungen nachzuholen/aufzufrischen.
Außerdem habe ich mittlerweile einige Notfälle und Krankenhauseinweisungen mitbekommen: Fahrradunfall, hypertensive Entgleisung, Panikattacke, Divertikulitis mit 15-cm-breitem Abszess im CT (den die ältere Patientin 5 Tage lang mit sich mit schleppte, ohne dass ihr oder der hausärztlichen Praxis der Befund mitgeteilt wurde!), breitflächige offene Phlebitis, die chirurgisch zu versorgen war… Am Mittwoch hatte ich mit der Uni Jena/Berlin ein Online-Seminar zur motivationalen Gesprächsführung, eins meiner Lieblingsthemen und ein Hochrelevantes für die Hausarztpraxis. Mir macht die Allgemeinmedizin nach wie vor viel Spaß. Das fühlt sich schön an – trotz der langen Tage und der Abgeschlagenheit, die einen nach stundenlangem Arbeiten und Patientenkontakt erwischen.
Woche 5: 31.07. – 06.08.2023
Die 5. Woche war eher kürzer, da ich am Ende ein paar Tage Urlaub für ein verlängertes Wochenende genommen hatte. Trotzdem haben die 3 Tage ausgereicht, um wieder viel Neues zu lernen. Ich sah z.B. mal ein Erythema migrans, was etwas anders als im Lehrbuch ausschaute (bläulich am Sprunggelenk). Ich darf inzwischen immer mehr Check-Ups machen und probiere mich dabei mit den gelernten Techniken der motivationalen Gesprächsführung aus. Ich habe noch nicht den Eindruck, dass ich sie sinnvoll anwenden kann, aber es ist ja ein Lernprozess! Ansonsten bin ich dankbar, dass das gesamte Team der Praxis in Schöfweg so strukturiert arbeitet, immer ein Auge auf alles hat, die Dokumentation nachprüft, viele Vorgänge schon vorbereitet und uns als Studierende dadurch gut integriert.
Am Dienstag war ich zum ersten Mal bei einer größeren Runde der Hausbesuche (8x) mit. Ich fand es spannend, das Zuhause von Patienten zu sehen und sie auf einmal viel besser zu verstehen… und beeindruckend, wieviel Geduld man im Patientenkontakt mitbringen muss, nachdem ein erschöpfter und überforderter älterer Patient, der seine schwerkranke Frau pflegt und uns beim Hausbesuch sehr aggressiv entgegenkam. Eine andere Patientin wiederum, die in schwierigen sozialen Verhältnissen lebt, war telefonisch nicht mehr zu erreichen (es sei wohl kaputt gewesen). Doch sie erzählte uns, dass sie ein gebrauchtes Auto gekauft habe. Das bedeutete also, dass sie wieder mobil war, ein Stück Lebensqualität gewonnen hatte und uns von selbst versprach, das nächste Mal selbst wieder in die Praxis zu kommen. Über dieses nicht medizinische Erfolgserlebnis, das so viele Auswirkungen auf das Leben der Patientin hatte, haben wir uns gemeinsam gefreut.
Es gibt immer noch Unsicherheiten oder Momente, in denen mir auffällt, wie viel ich noch vor mir habe (z.B. als ich unsicher war, ob ich gerade Knoten im Ultraschall gesehen hatte – obwohl es schließlich einfach nur angrenzendes Gewebe war). Auf der anderen Seite freue ich mich über jeden kleinen Schritt nach vorne: Es gibt allerdings wirklich relativ oft Fälle, in denen meine Arbeitsdiagnosen und Behandlungsvorschläge dem endgültigen Prozedere sehr nah kommen.
Woche 6: 07.08. – 13.08.2023
Eine durch meinen Sommerurlaub wieder etwas verkürzte Woche geht zu Ende (Sommer… trotz des bisher regnerischen, nebligen und kalten Wetters, welches eher an November als an August erinnert!) Diese Woche war ich in Lalling und Kirchberg. Die Flut an Patienten schwankte sehr, so dass es in Kirchberg ausnahmsweise eher ruhig war, während in Lalling die Patientenliste immer länger wurde und schien, Stunde für Stunde nicht besser werden zu wollen.
Ich nutze die Plattform Deximed inzwischen sehr viel und bin sehr dankbar, dass es sie gibt. Dadurch kann ich sowohl Kleinigkeiten nachschauen, als auch größere Themen wieder durchgehen. Außerdem habe ich mir diese Woche zum ersten Mal die Webseite dosing.de näher angeschaut und versucht, sie im praktischen Alltag anzuwenden.
Sonografisch sind ein paar kleine Fortschritte anzumerken. Obwohl ich letzte Woche eine kleine Nierenzyste verpasst hatte und angrenzendes Schilddrüsengewebe mit einem Knoten verwechselt hatte, habe ich diese Woche bei einer Patientin sehr wohl einige Schilddrüsen- und Nierenzysten als Neubefund festgestellt.
Noch bin ich sehr froh, dass ich bei Schwierigkeiten, Unsicherheiten oder dann, wenn ich nicht weiterkomme, jedes Mal auf Fachärzte zurückkommen kann und mich auf sie verlassen kann. Gerade bei älteren, multimorbiden Patienten oder komplexen Behandlungsanlässen bin ich mir noch ziemlich unsicher. Wie ist es dann mit Medikamenteninteraktionen, kardialer, nephrotischer und hepatischer Toxizität, oder mit Compliance? Alleine schon bei einem Gichtanfall stand ich vor diesen Fragen, ohne sie noch so sicher beantworten zu können (multimorbider Patient, eingeschränkte Nieren- und Leberfunktion, kardiovaskulär vorerkrankt, mit DMII). Plötzlich bestehen doch einige relative Kontraindikationen für NSAR/Steroide, während Colchicin ja nur noch 2. Wahl ist… Ich merke, dass mir in diesen Fällen die praktische Erfahrung noch fehlt.
Umso mehr freue ich mich deshalb, dass ich noch einige Zeit hier verbringen und lernen darf!
Woche 7: 14.08. – 20.08.2023
Diese Woche war ich in Auerbach und Schöfweg. Es waren (wie immer) abwechslungsreiche Fälle und Neuigkeiten dabei: zum Beispiel habe ich eine Patientin mit Beinschmerzen aufgenommen, bei der am nächsten Tag der Ultraschallbefund eine TVT bestätigte… So werde ich mir den Algorithmus mit D-Dimerschnelltest vs. direkt Bildgebung je nach Wells-Wahrscheinlichkeit gleich besser merken. Außerdem werde ich mir besser merken, die Patienten möglichst zu entkleiden, um einen umfassenden Inspektionsbefund zu bekommen. Das hatte ich in dem Fall nicht gemacht, aber wie ich später feststellte, war die Beinschwellung ohne die (kurze) Hose doch definitiv eindrücklicher!
Zudem habe ich mein erstes Kind mit Würmern gehabt (für mich total aufregend! Für Dr. Kleudgen weniger – es sei wohl sehr häufig…). Dann ein V.a. Latex-Unverträglichkeit mit anschließendem grippalem Infekt (DD sexual übertragene Krankheit…), der erste von mir ausgefüllte Antrag auf Arbeitsunfähigkeit für die Krankenkasse (weniger aufregend, aber auch ein repräsentativer Teil der Allgemeinmedizin), ein neues sehr gutes Ultraschallgerät für Lalling und Schöfweg und ein spannendes Online-Seminar der Universität Jena über eine queerfreundliche allgemeinmedizinische Praxis in Neukölln mit Schwerpunkt Infektiologie.
Insgesamt bin ich sehr zufrieden damit, wie ich diese Woche mit eingebunden war. Dieses enge Teaching und das viele “Selbermachen” bringen mir innerhalb eines Tages deutlich mehr bei und weiter, als meine bisherigen klinischen Erfahrungen.
Diese Woche habe ich zudem als Übung zwei Patienten unter Aufsicht aufgenommen und mir danach ein sehr genaues Feedback angehört. Über dieses bin ich zutiefst dankbar, weil es mich sehr weiterbringen wird – zumal auch einiges Positives dabei war. Allerdings waren auch Hinweise auf essenzielle Punkte enthalten, die unbedingt verbesserungsbedürftig sind. Ich weiß nun, worauf ich mich als Nächstes konzentrieren soll: Das ist schonmal ein wichtiger Schritt. Aber normal ist es denke ich auch, dass man es in dieser Phase etwas schwerer hat und erstmal lernen muss, mit eigenem Frust umzugehen.
Zudem genieße ich sehr die kühle Ruhe des Waldes in Kirchberg, fühle aber auch zugleich, dass mir die sozialen Kontakte meiner Unistadt fehlen. Nach 10 Semestern in einer jungen, mittelgroßen, dynamischen Studentenstadt ist die Umstellung auf das Leben im Bayerischen Wald eine konsequente, wenn auch gut vorhersehbare Umstellung. Ich bin gespannt, was auf mich in den nächsten Wochen zukommen wird.
Woche 8: 21.08. – 27.08.2023
Nach einem turbulenten Tag in der Praxis in Auerbach am Montag, durfte ich in der Nacht von Montag auf Dienstag im notärztlichen Dienst mitlaufen. Das war für mich eine extrem bereichernde Erfahrung. Der erste Fall, der schon um Viertel nach sieben angekündigt wurde, brachte uns zu einem Bauernhof, in dem eine ältere, noch gut ansprechbare Patientin aufgenommen wurde und ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Sie war eigentlich am gleichen Tag vom Krankenhaus nach HWI zurückgekommen, ihr Zustand verschlechterte sich aber rasch ca. eine Stunde nach Antibiotika-Einnahme: Luftnot, Unwohlsein, Hypotonie, Tachykardie… In dem Dienst selbst wurde der V.a. anaphylaktische Reaktion gelegt, sie bekam ein Antihistaminikum, Steroide und Sauerstoff. Für Adrenalin war sie noch “zu stabil”. Einige Tage später erfuhr ich aber, dass im Krankenhaus sie tatsächlich septisch war. Eindrückliches Beispiel: Natürlich kenne ich den qSOFA-Score und ich habe bestimmt schon über 10x Seminare, Vorlesungen oder Selbststudiumseinheiten zur Sepsis gehabt. Trotzdem habe ich daran in dem Moment nicht gedacht. Wenn man es weiß, ist alles einfacher: sie hatte keinen Hautausschlag, ihre Atemfrequenz war stark erhöht, sie war hypoton, hatte bekanntlich gerade einen HWI gehabt. Aber die beiden Diagnosen präklinisch auseinanderzuhalten, war äußerst schwierig.
Am Dienstag kurz vor 18h und dem Ende der Sprechstunde, erreichte uns unser nächster spannender “Notfall”, hier eine Patientin mit perianaler Platzwunde nach Sturz von der Pool-Leiter. Sie hätte in die Notaufnahme eingewiesen werden müssen, lehnte dies jedoch ab. Daher führte Herr Dr. Kalmancai mit großem Engagement die Versorgung der Wunde durch, unter erschwerten Bedingungen (überhitzter Raum, Ende der Sprechstunde, Vorerkrankungen: Adipositas permagna) und nach einer Nacht mit Notfalldienst. Respekt! Ich durfte mit MFAs gemeinsam “assistieren” und merkte, dass ich von meinem Chirurgie-Tertial doch einiges mitgenommen habe.
Ansonsten hatten wir wieder jede Menge unklare Fälle, insbesondere in der Dermatologie (unklare bds., sonst symptomlose Lidschwellung bei einer 20-Jährigen ohne Vorerkrankungen und mit blandem Labor; multiple fleckförmige erythematöse Veränderungen an den Extremitäten bei einer ca. 50-jährigen Patientin mit Non-Hodgkin-Lymphom und Antikörpertherapie). Ein Highlight war für mich, dass ich an einem Abend mich über das Vorgehen bei Makrohämaturie eingelesen hatte; am nächsten Tag stellte sich zufällig eben ein ca. 45-Jähriger mit Makrohämaturie und bds. Flankenschmerzen. Ich finde diese Mischung aus Theorie und praktischer Anwendung sehr bereichernd und finde es schön, dass man hier mehr Freizeit als in der Klinik hat, um diese Theorie sich nebenbei aneignen zu können.
Ein anderer Fall, der für mich recht eindrücklich war, war ein Patient mit schweren psychischen Erkrankungen: Depression, soziale Phobie, Persönlichkeitsstörung… “Wahrscheinlich wird er sich umbringen, sobald [..sein einziger sozialer Kontakt…] nicht mehr leben wird. "Das können wir wahrscheinlich nicht verhindern, wir haben schon alles versucht.” Mich wundert die Schwere dieser Schicksale immer wieder. Der tagtägliche Spagat der Allgemeinmedizin von der Krankmeldung bis zu solchen Fällen ist unfassbar und von außen wahrscheinlich ziemlich unsichtbar.
Schließlich merke ich, dass ich Fortschritte mache und mit manchen Krankheitsbildern (wenn auch unkompliziert und benigne) viel besser umgehen kann, da ich sie schon gesehen habe und mich da inzwischen oft schon eingelesen habe. Was für ein schönes Gefühl!
Woche 9: 28.08. – 03.09.2023
Diese Woche war ich in Kirchberg, Schöfweg und Lalling. Zudem war ich in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wieder mit dabei beim Notarzt-Nachtdienst. Nur ein früher Einsatz dieses Mal… Jedoch war die Nacht leider nicht erholsam (das Gehirn schaltet traurigerweise nicht gut ab, wenn man weiß, dass jederzeit an der Tür geklopft werden kann und man in den nächsten Notfall rennen wird!).
À propos, Notfall: spannend stellte sich heraus, dass eine am Montag von uns eingewiesene Patientin mit Infekt und nicht sehr eindeutigen Beschwerden (gastrointestinale Beschwerden und HWI-Symptome) einen Nierenabszess hatte. Ich weiß noch, dass wir sie eingewiesen haben, weil sie einen schlechten klinischen Eindruck ergab.
Ich nehme für mich mit: 1) bei Infekt mit schlechtem AZ an die Sepsis als AGV schneller zu denken und 2) selbst bei größter Sorge der Betroffenen und Angehörigen nicht dem Druck nachzugehen, die Leute beruhigen zu wollen und ihnen zu versprechen, dass “Alles gut” sein würde. In diesem Fall kam bei der 50-jährigen Patientin sogar ein Nierenzell-CA in Frage… Das macht mich deshalb nachdenklich, weil ich damals der Patientin und ihrem Ehemann versichert hatte, dass “wahrscheinlich nach ein paar Tagen Diagnostik und unterstützender Therapie alles gut verlaufen” würde. Man lernt in der Medizin nie aus – erst recht nicht in der Allgemeinmedizin.
Ansonsten freue ich mich, dass ich mittlerweile deutlich routinierter geworden bin und mich gerade in Schöfweg mit den Abläufen gut vertraut fühle. Die Zeit geht sehr schnell vorbei und tatsächlich werden die restlichen Wochen, die mir übrig bleiben, immer weniger. Ich werde die Zeit möglichst nutzen und mein Bestes geben, bevor ich in die M3-Lernzeit einsteige.
Woche 10: 04.09. – 10.09.2023
Als ich heute morgen noch halb verschlafen in der Schöfweger Praxis ankam, begleitete ich sofort Dr. Kleudgen und die MFA-Wundspezialistin ins Zimmer 6, wo ich als Allererstes auf einen wunden Fuß ohne Großzeh traf, dessen Haut sich schon wie eine Reißverschluss vollkommen ablöste. Ich erspare euch lieber weitere Details. Guten Morgen und willkommen in der Allgemeinmedizin! Wer sich eine lange und langweilige Serie von Krankmeldungen und Schnupfenpatienten vorstellt ist hier definitiv falsch. Davon habe ich zwar jeden Tag was gehabt, aber so chirurgisch hatte ich mir die Hausarztpraxis noch nie vorgestellt. Ich bin beeindruckt, wie viele Hüte man von einem Patienten zum Nächsten aufziehen muss. Man behandelt hier eine hässliche Wunde (ob venös, arteriell, pAVK oder diabetisch oder Phlebitis oder sonst noch wie bedingt… Da traue ich mir keine Interpretation der Befunde, die ich hier mitbekomme). Ich hatte Angst vor der Überforderung, aber insgesamt gefällt mir viel mehr diese Vielfalt, die Mischung aus somatischen Problemen und Untersuchungen, der weiterhin bestehende Anteil an psychischen Beratungsanlässen. Ich empfinde dadurch, dass mein Blick auf die Gesundheit, die Medizin und darüber, wie Körper und Geist “funktionieren”, bereichert wird.
Ich hatte außerdem diese Woche immer wieder das Gefühl, hier und da meine Erfahrungen aus den anderen Praxen mit einbringen zu können. Ich stieß dabei auf sehr hohes Interesse. Das ist ja in der Tat eine Bereicherung, Studierende bei sich zu haben, die von Woche zu Woche alle verschiedenen Abläufe zu sehen bekommen und darüber berichten können. Wenn man einen festen Standort hat, ist man zwar in der eigenen Arbeit deutlich routinierter… Und ggf. in eigenen Verfahrens- und Denkmustern festgefahrener. Dadurch, dass ich fast immer zu den Check-Ups geschickt werde, habe ich inzwischen doch die einen oder anderen Tricks zu den Ultraschallgeräten herausgefunden.
Der Mittwoch war durch tolles Wetter und Schulferien extrem ruhig in der Sprechstunde; das nutzten wir sofort aus, um an uns selbst das TVT-Schallen auszuüben. Mittlerweile tauchen wieder mehr Covid19-positive Patienten auf. Ich bin gespannt, wie der kommende Winter diesbezüglich ablaufen wird. Ansonsten habe ich wie immer jede Menge Neues dazu gelernt: Tetanusübertragung durch Zecken, Ehrlichiose, Umgang mit Thyreostatika bei Schilddrüsenszintigrafie, Patella-Spitzensyndrom, Clavus/Hühnerauge (wovon ich weder privat noch medizinisch bisher jemals gehört hatte…), mögliche Vorgehensweisen bei der Anpassung der Antihypertensiva…
Nach einer wieder lehrreichen und intensiven Woche freue ich mich aufs Spätsommer-Wochenende.
Woche 11: 11.09. – 17.09.2023
Diese Woche war ich in Kirchberg, Lalling und zum ersten Mal in Rinchnach.
Der erste Patient, den ich noch vor 8 Uhr morgens in Kirchberg zusammen mit meiner neuen Mit-PJlerin Katharina anamnestizieren durfte, hatte laut Kartei als Behandlungsgrund: "Bauchschmerzen".
Gleich beim Eintreten ins Zimmer konnten wir schon ein paar Blockdiagnosen stellen: ca. 55 bis 65 Jahre alter Patient, Adipositas bis Adipositas permagna, COPD (der Patient hatte seine Sauerstoffbrille und -flasche dabei), und bestimmt noch einige metabolische Vorerkrankungen mehr. Er empfang uns sitzend, die Schmerzen schienen noch aushaltbar zu sein. Die Vorgeschichte lautete ungefähr wie folgt: Durchfall vor 2 Tagen, Bauchschmerzen, etwas Fieber. Und dann: plötzlich nichts mehr. Kein Durchfall, und sonst gar nichts, kein Stuhlgang, "minimaler" Luftabgang. Nur diese Bauchschmerzen, die nicht nachlassen. Ich hatte schon jede Menge Differentialdiagnosen im Kopf, ohne sie auf die Schnelle wirklich hierarchisieren zu können. Wir hörten den Bauch ab; leichte Darmgeräusche hörte ich, dachte ich, schon. Der Bauch war aber auffällig prall, und so gebläht, dass ich die Bauchdecke nicht eindrücken konnte. Was das schon ein bretthartes Abdomen? Bei dem Körperbau des Patienten sehr schwer zu beurteilen. Jedenfalls war unser nächster Schritt die Darmsonographie, die ich mir ehrlich gesagt bei diesem Patienten nicht zutraute.
Als ich ein paar Minuten später am Zimmer wieder vorbei lief, erfuhr ich, dass Dr. Machac das Klaviertastenphänomen im Sono gesehen hatte, und den Patienten mit V.a. paralytischen Ileus eingewiesen hatte. Willkommen wieder in der Allgemeinmedizin!
Andere spannende Fälle erwarteten mich bis zum letzten Wochentag. Ich sah meine ersten hochgradigen Hämorrhoiden, nicht wieder eindrückbar… und erfuhr am darauffolgenden Tag von den Proktologen, dass das keine waren, sondern eine Analvenenthrombose.
Ich sah zudem einen Patienten am Ende der Woche für einen Check-Up wieder, den ich am Montag schon aufgenommen hatte, und der damals ziemlich aggressiv und konfrontativ die "Abnehmspritze" gefordert hatte. Der Patient hatte seit wenigen Tagen eine ED Diabetes, und erst beim späteren Termin zum Check-up (bei dem der Patient deutlich ruhiger und entspannter war), konnte man begreifen, dass der Patient von seiner Diagnose zutiefst verängstigt war. Angst vor Krankheitsdiagnosen, vor seinem kranken Körper, vor Ankündigungen, die ihn an die multiplen Krebserkrankungen in seiner Familie erinnerten… "Gerade erst endlich die Antidepressiva abgesetzt, und dann das."
Die Angst dürfte sehr wohl berechtigt sein. Eine chronische Erkrankung, an der er höchstwahrscheinlich nicht mehr heilen wird, und die verheerende Folgen für den gesamten Körper haben kann – für mich wäre das auch ein Schock.
Ich fand es eine bereichernde Lehre, diesen Patienten wiedergesehen zu haben. Und dies, obwohl ich nach unserer ersten Begegnung zugegebenermaßen nicht so begeistert war, ihn wieder auf dem Gang zu sehen. Ich nehme für mich mit: Jede Patientin und jeder Patient haben ihre Gründe zu handeln und sich zu verhalten, wie sie es tun. Und wenn ihre Aggressivität offensichtlich nicht an uns liegt, dann muss die Erklärung woanders liegen.
Anderes Ereignis, was mich zum Nachdenken gebracht hat: ein ca. 55-jähriger Patient mit Z.n. Herpesfacialisparese erzählte Dr. Machac und mir von seiner Reha. "Dann habe ich auch ein Hilfsmittel bekommen, einen Vibrator…" Er schaut mich mit einem Lächeln an: "Nicht der Vibrator, woran Sie denken!!" (Er lacht). Ich bin sprachlos. Ich entscheide mich dafür, den "Witz" zu ignorieren und schlichtweg keine Reaktion zu zeigen, als ob ich nichts gehört hätte. Anamnese wird fortgesetzt. Im nächsten Moment muss Dr. Machac aber unerwartet raus, ich soll spontan weitermachen. Ich setze mich vor den PC hin und stelle ein paar weitere Fragen zur Ergänzung.
Aber der Patient kommt schon wieder auf das Thema zurück, welches er offensichtlich höchst unterhaltsam findet: "Das war ein Vibrator für das Gesicht." Ja, das hieß wirklich so: Mini-Vibrator! Aber eben nicht der Andere, den Sie benutzen würden… " (Lachen, Augenzwinkern in meine Richtung).
Ich kann es nicht fassen. Einmal war es schon zu viel gewesen. Ich entscheide mich schon wieder dafür, nicht darauf einzugehen, wechsle das Thema mit einer anderen Frage und trage die Antworten in die Kartei ein.
Es mag nur ein Detail sein, und für den Patienten bestimmt völlig harmlos. Einfach "unterhaltsam".
Das ist es eben aus meiner Sicht nicht.
Nie habe ich einem männlichen Patienten sexuelle Anspielungen, wenn auch nur zum "Lachen", gemacht. Und noch weniger würde ich es als Patientin bei einem behandelnden Arzt oder jungen Studenten machen. Das würde einfach die Grenze des "politisch Korrektem" überschreiten. Mir ist bewusst, dass man diese Grenze manchmal überschreitet, und dass es manchmal sogar eine dankbare, humorvolle und erleichterte Stimmung mit sich bringen kann, was in einer Praxis, in der man doch mit vielen Schicksalsschlägen zu tun hat, mal ganz willkommen sein kann. Doch ich würde mir wünschen, nicht lernen zu müssen, mit unerwünschten Anspielungen umzugehen.
Mit dem Thema Sexualität hatte ich in meinen bisherigen Monaten (oder gar in meinem bisherigen PJ) extrem wenig zu tun.
3 Patienten hatte ich bisher hier, mit 1) Chlamydien, 2) a.e. Latex-Allergie und gleichzeitigem Atemwegsinfekt, und 3) unklarem funktionellem, erektilen Syndrom. Natürlich wurde das Thema dann angesprochen. Ich kann mich aber ansonsten an kein einziges Mal erinnern, wo das Thema weder von Patienten noch ärztlicherseits in meiner Anwesenheit angesprochen wurde.
Bei diesen oben genannten Patienten lief der Kontakt aber erstaunlich gut. Die Patienten waren respektvoll, und ich versuchte, möglichst professionell und zügig zu handeln, um die Untersuchung nicht noch lästiger zu machen.
Ich kann das nicht als Kleinigkeit einfach vergessen. Die Grenze zwischen "ich mache einen sexuellen Witz vor der Frau vor mir" zu "ich respektiere diese Frau nicht und nehme sie als Ärztin nicht ernst" ist leider zu dünn. Und leider wurden ich oder Ärztinnen vor meinen Augen schon viel zu oft nicht ernst genommen. Vom alten Lehrer auf Privatstation, der mich duzt und mit meinem Vornamen anspricht; zum "Schwester, machen Sie das Fenster bitte zu"; zum "es war ja immer noch keine Ärztin da", gerade dann, während die erwähnte Stationsärztin gegen 18h die Aufnahme machte und den Zugang legte.
Das war hier ein einmaliges, flüchtiges Ereignis. Das wird in meiner ärztlichen Laufbahn leider sicher nicht das Letzte sein. Ich würde mir wünschen, ohne diese Ereignisse arbeiten zu dürfen. Ohne Anspielungen. Mit Respekt. Mit Wahrnehmung meines Studiums, meines Berufs und meiner Funktion. Ganz normal, also. Wie ein "ganz normaler Arzt".
Woche 12: 18.09. – 24.09.2023
Ich war diese Woche in Kirchberg und Rinchnach.
Am Montag Abend hatten wir noch einen Zoom-Termin mit Dr. Blank, in dem die Erwartungen an das PJ und an die Studierenden besprochen wurden. Am Dienstag Nachmittag waren wir zudem als Tutorinnen beim EKG-Kurs des Exzellenten Sommer dabei.
Angesichts des Schuljahresbeginns kommen deutlich weniger Patienten in die Praxen. Da war es dann so, dass man tatsächlich selbst in Kirchberg Zeit zum Durchatmen und Nachschauen hatte.
Am Mittwochnachmittag wurde für alle PJ-Studierenden eine Übungssession mit Einführung in die Sonografie durch Dr. Machac organisiert. Er schaffte es, beim Vortragen mühelos die Appendix schön darzustellen – meine Versuche blieben allerdings erfolglos!
Ansonsten war ich diese Woche leider etwas angeschlagen. Ich habe vermutlich einen der vielen Erkältungserreger abgefangen, die wir in der Praxis mitbekommen, und die Erkältung ist hartnäckiger, als ich mir wünschen würde. Der Herbst ist nun im Bayerischen Wald wirklich angekommen. Ich hatte fast vergessen, wie sich das anfühlt, mit Maske zu leben … Daher hatte ich nicht ganz so viel Energie wie sonst, aber diese kommt hoffentlich für meine letzte Woche wieder!
Woche 13: 25.09. – 01.10.2023
Es war meine letzte Woche in der Gemeinschaftspraxis im Bayerwald.
Die nächsten PJlerinnen sind mittlerweile gut eingeweiht und die Wintersaison kündigt sich mit Start der Covid- und Grippeimpfungen an.
Die morgendliche Aussicht des Sonnenaufgangs auf das vernebelte Kirchberg und die herbstlichen Farben des Waldes wurden im Verlauf immer schöner. Ich denke, dass Herbst eine schöne Jahreszeit für einen Aufenthalt im Bayerischen Wald ist.
Spannend blieb es bei mir bis zum letzten Tag, an dem wir noch einen Notfall (Asthma, möglicherweise Analgetika-Asthma, DD Anaphylaxie) hatten.
Ich bin dankbar für all das, was ich in meinem Tertial gelernt habe, und bereue meine Entscheidung nicht, das PJ in der Allgemeinmedizin gemacht zu haben.
Etwas wehmütig schaue ich auf meine letzten Tage, in denen ich als Studentin Patienten betreut habe, und auf mein gesamtes Studium zurück… Jetzt, nachdem nun meine PJ-Unterlagen alle auf dem Weg zum Landesprüfungsamt sind. Ich war gerne Studentin. Doch der nächste Abschnitt rückt näher und bald werde ich Ärztin. Next steps: Staatsexamen, Approbation, Klinik. Ich bin selbst gespannt, wo es mich dann hinziehen wird.
Hauptstandort Kirchberg
Am Alten Sportplatz 3
94259 Kirchberg
Tel: 09927 441
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