
Mirjam Nissen
Praktisches Jahr
16.05. – 04.09.2022
Woche 1: 16.05. – 22.05.2022
„Bayerischer Wald – Das ist aber weit weg!“ – so die mittelhessische Perspektive meiner Freunde. Da „weit weg“ bei mir eigentlich schon immer vor allem Neugierde weckt, freue ich mich die letzten Monate schon sehr auf den Start hier bei Euch im Bayerwald. Der Umzug letzten Samstag von Gießen nach Grafenau, von Studentenstadt ins ländliche Städtchen, verspricht viele spannende Erfahrungen mit sich zu bringen. Und ich freue mich darauf, in den nächsten Wochen und Monaten nicht nur eine Menge gute Landarztmedizin zu lernen, sondern auch ein wenig von der niederbayerisch-ländlichen Kultur und der wunderschönen Region zu entdecken.
Meine erste Woche diente vor allem dem Ankommen und Kennenlernen: Ankommen in dem wunderschönen neuen Studentenhaus in Grafenau, das ich gemeinsam mit den Blockpraktikanten Sina und Christian frisch bezogen habe. Kennenlernen der anderen PJlerinnen und der Praxisteams in Grafenau und Schöfweg. Ankommen in meinem neuen Praxisalltag. Wie gut, dass ich hier noch völlig ohne Zeitdruck Patient*innen sehen kann und immer Rückmeldung von einem der Ärzte bekomme. Dies alles geschieht in einer unglaublich wertschätzenden Atmosphäre und ich staune, wie viel leichter mir diese erste Woche fiel, als ich das von ersten Wochen so gewohnt bin! Gut ist auch, dass meine Mit-PJlerinnen mir ein wenig „Sprachunterricht“ geben können – so hoffe ich, mich in den nächsten Wochen immer besser in den niederbayerischen Dialekt einhören zu können.
Unter den Patienten und Patientinnen, die ich diese Woche sehen durfte, waren die unterschiedlichsten Konsultationsanlässe vertreten: Migräne, Impfungen, Luftnot bei Belastung, Zeckenstiche, Medikamenteneinstellung, Ohrenschmerzen, Katzenbiss, Rückenschmerzen,… So vielfältig wie die Menschen einer Stadt, sind auch die Gründe, mit denen sie ihren Arzt aufsuchen. Einer der Aspekte, die mich am Hausarzt sein so faszinieren!
Immer wieder kommen Patient*innen auch mit Anliegen, die weit über die medizinischen Aspekte hinausreichen. Eigentlich klar – der Mensch ist ja nicht nur Leber oder nur Herz und weit mehr als die Summe seiner Teile. So können familiäre Umstände, Arbeitsplatzprobleme, Verluste oder Ängste Krankheit auslösen und verstärken. Andersherum betrifft Krankheit auch immer den ganzen Menschen und beeinflusst sein soziales Umfeld, schürt Ängste und Sorgen, schränkt Teilhabe an Lebensbereichen ein. Für mich stellt sich diese Woche nicht zum ersten mal die Frage: Was ist hier eigentlich meine Rolle? Welche Verantwortung möchte ich als Ärztin übernehmen, welche Möglichkeiten habe ich? An der Allgemeinmedizin fasziniert mich die Chance, oft viel ganzheitlicher mit Patienten und Patientinnen arbeiten zu können, als in anderen Fächern. Aber wie weit geht ganzheitlich? Wo fangen die Arbeitsbereiche Anderer an? Wo setzen das Leben, unser Wissen, das System, meine Kräfte, die Möglichkeiten der Patient*innen, Grenzen?
Ich bin gespannt, welche Antworten ich in den nächsten Wochen auch auf solche Fragen bekommen werde. Und ich freue mich darauf, nicht nur fachlich, sondern auch persönlich ein bisschen mehr ins Ärztin sein hineinwachsen zu dürfen.
Woche 2: 23.05. – 29.05.2022
Nach einer sehr schönen Wanderung mit Sina und Christian auf den kleinen Arber am letzten Samstag, und einem ruhigen, sonnigen Sonntag, durfte ich in meine zweite Woche starten. Diese verbrachte ich in der Praxis Schöfweg, wo ich an den verschiedenen Tagen mit unterschiedlichen Ärzt*innen zusammenarbeiten und mitlaufen durfte. Es war eine sehr lehrreiche und spannende Woche, die mit dem Feiertag am Donnerstag auch genug Zeit zum verschnaufen enthielt.Während meiner Examensvorbereitung in den letzten Monaten habe ich oft gedacht: „Ich brauche endlich Praxis zu all der Theorie!“ Leider ist das praktische Lernen gerade unter Corona-Bedingungen in den letzten Jahren recht kurz gekommen und umso mehr freue ich mich nun über all die Möglichkeiten, mein theoretisches Wissen in den Praxisalltag zu integrieren! Wenn ich mit Patient*innen zunächst selbstständig das Gespräch beginne, mich für Untersuchungen entscheide und diese durchführe und meine Ergebnisse und Therapievorschläge anschließend mit einer der Ärzte und Ärztinnen bespreche, dann bringt mir das einen unglaublichen Lerngewinn. So bemerke ich schnell, mit welchen Tätigkeiten ich mich sicher fühle und welche noch Übung brauchen. Ich bekomme Feedback dazu, wo ich mich in Details verliere oder Relevantes vergesse und wo ich schon den richtigen Blick für das Wichtige habe. Und die Dinge, die ich im Gespräch nicht weiß und anschließend nachschlage, bleiben gleich doppelt so gut hängen.
Die Mischung an Konsultationsanlässen war diese Woche wieder genauso bunt und abwechslungsreich, wie letzte Woche: Eine Frau mit Erysipel, welches unter Penicillin in der Verlaufskontrolle immer besser wurde. Der Patient mit Brustschmerz und nicht vorbekannten Blockbild, bei dem das negative Troponin Entwarnung geben konnte. Die Frau mit Schmerzen in den Händen, wo der Verlauf zeigen wird, ob die Tendovaginitis die richtige Diagnose darstellte. Bauchschmerz rechter Unterbauch, epigastrisch, linker Unterbauch – Verlaufskontrolle bei unspezifischen stressbedingten Beschwerden, PPI + Gastro bei V.a. Ulcus duodeni, Schonkost bei V.a. Divertikulitis. Eine Patientin, die nach einer schlaflosen Nacht unglaublich erleichtert war, dass wir in ihre Beschwerden keinen Grund zur Sorge vor Brustkrebs sahen – wie schön, wenn Zuhören und Erklären schon die ganze Therapie sind!
Mich hat in dieser Woche beeindruckt, welche Offenheit die Patient*innen mir gegenüber mitbringen. Obwohl sie wissen, dass ich Lernende bin, bringen sie mir das Vertrauen und die Offenheit entgegen, die für eine Arzt-Patienten-Beziehung nötig sind. Das ist unglaublich hilfreich und unterstützt mich sehr dabei, Stück für Stück in meine ärztliche Rolle hineinzuwachsen!
Hilfreich für mich war es diese Woche auch, mit Ärzt*innen recht unterschiedlichen Ausbildungsstandes unterwegs zu sein. So konnte ich mal wieder die für mich sehr wichtige Feststellung treffen: Ich darf Schritt für Schritt lernen! Auch noch nächstes Jahr und übernächstes Jahr und in 10 Jahren. Alles theoretische Wissen muss ergänzt werden durch die praktische Erfahrung und sich in der Routine festigen und bewähren. Und die Erfahrung wird mit der Zeit mehr und mehr kommen! Wie mir ein Patient diese Woche treffend sagte: „Es ist auch noch kein Arzt vom Himmel gefallen.“
Über ein Thema, das mich sicher noch mehr beschäftigen wird, bin ich diese Woche in dem Podcast eines schottischen Hausarztes gestolpert: In den britischen Leitlinien sind für die meisten Blutdruckpatient*innen ACE-Hemmer als Medikamente erster Wahl vorgesehen. Ausnahme bilden hier dunkelhäutige Menschen mit Afrikanischem oder Karibischem Hintergrund. Man geht aufgrund einiger Studien davon aus, dass ACE-Hemmer bei diesen Personen nicht gut genug wirken und daher lieber Substanzen mit besserer Wirksamkeit von Therapiestart an genutzt werden sollten. In meinem Studium wurde bei Therapien nur selten auf mögliche Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Herkunft eingegangen. Eigentlich macht es Sinn, dass z.B. die Enzymausstattung und damit der Stoffwechsel nicht in der ganzen Weltbevölkerung gleich sind und es geographische oder ethnische Unterschiede gibt. Die Entwicklung von Medikamenten und die Studien, auf denen unsere Empfehlungen basieren, finden aber tendenziell oft in westlichen Ländern statt. Wie gut können die Studien amerikanischer Hersteller nach Pakistan übertragen werden? Sind Medikamente, die in China eine gute Wirksamkeit und Sicherheit zeigen in Nigeria genauso sinnvoll einsetzbar? Da mein Umfeld sehr international geprägt ist und der Kontakt zu ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturen sicher auch in Zukunft mein Arbeiten prägen wird, ist dies ein umso spannenderes Thema für mich. Ich bin gespannt, was ich dazu noch so lernen darf!
Jetzt freue ich mich auf das Wochenende, darauf den Lusen zu erklimmen und den wunderschönen Bayerischen Wald zu genießen!
Bayerisch-Vokabeln der Woche:
Griaß Di’!- Grüße Dich!
Griaß Eich! – Grüße Euch!
Griaß Eana! – Grüße Sie!
schnaufn – atmen
Woche 3: 30.05. – 05.06.2022
Eine volle Woche, die wie im Flug vergangen ist, liegt hinter mir. Den Samstag begann ich mit einer Wanderung auf den Lusen – und staunte, wie viele Leute bereits früh morgens auf dem Lusen anzutreffen waren! Ich durfte den herrlichen Ausblick genießen und nebenbei ergab sich ein interessantes Gespräch über den Wandel der Erwartungshaltung an „den Arzt im Dorf“ über die letzten Jahrzehnte.
Wie anders das Ansehen, die Verantwortung und Verfügbarkeit eines Arztes im Dorf gegenüber der Stadt sein können, darüber bin ich auch in Fürstenstein diese Woche immer wieder mal ins Gespräch gekommen. Dort habe ich meine Woche in der Praxis Hackl mit Herrn Hackl und Herrn Dr. Bolla verbracht – und bin sehr herzlich in den dortigen Praxisalltag aufgenommen worden. Auch hier prägte mal wieder die bunte Mischung an Patient*innen und Konsultationsanlässen den Alltag. Von 4 Jahren bis 99 Jahren und alles dazwischen. Ob in der Praxis, im Altersheim oder beim Hausbesuch. Akute Mittelohrentzündung bis chronische pAVK Grad IV. Ein Patient, dem sein neu diagnostiziertes paroxysmales Vorhofflimmern ohne nennenswerte Risikofaktoren deutlich zu schaffen machte, und eine Patientin, die ihre TIA eigentlich nicht für erwähnenswert hielt.
Während ich von Herrn Hackl immer wieder an eine gründliche körperliche Untersuchung erinnert und darin geschult wurde, konnte ich bei Dr. Bolla zu jeder Gelegenheit intensive Sono-Kurse erhalten. Von Gallensteinen über Sigmadivertikulitis bis Raumforderung der Prostata – ich bin immer wieder begeistert, was für eine geniale diagnostische Ergänzung die Sonografie ist! Und ich habe eine Menge Spaß dabei, unter so guter Anleitung meine Sono-Skills weiter auszubauen.
Daran, wie wichtig die Grundfähigkeiten Anamnese und körperliche Untersuchung sind, wurde ich auch in unserer PJ-internen Lernrunde zum Leitsymptom Müdigkeit erinnert. Hier ist die Devise: Anamnese, Anamnese, Anamnese, gründliche körperliche Untersuchung und eine sehr kleine Auswahl an Laborwerten. Dies ist ausreichend, um die wichtigsten Ursachen für die Müdigkeit ausschließen bzw. erkennen zu können. Wir haben uns diese Woche zum zweiten mal als PJlerinnen in dieser Form getroffen. Ich profitiere enorm davon, auf diese Weise ein Thema mit Blick auf den praktischen Alltag zu erarbeiten und dabei keine Kataloge in Herold oder Amboss zu lesen, sondern in die sehr praxisorientierten DEGAM-Leitlinien zu schauen. Und mit drei so wunderbaren Mit-PJlerinnen macht das Ganze auch noch wirklich Spaß!
Zu meinen Highlights diese Woche gehörten ein Junge mit Windpocken (die man seit Einführung der Impfung nicht mehr so oft sieht) und eine sehr sympathische Patienten mit beeindruckend gutem Zustand nach Subarachnoidalblutung mit langem Klinikaufenthalt.
Absolutes Highlight war auch, jeden Tag von Ehepaar Hackl zum Mittagessen eingeladen zu werden – ein Luxus, den ich sehr genossen habe! Der Freitag schloss nach zwei Hausbesuchen mit einer kurzen Dorfrundfahrt mit Besuch des Schlosses von Fürstenstein.
Erschöpft aber zufrieden nach dieser gut gefüllten Woche, freue ich mich nun über ein ruhiges Pfingstwochenende mit Wanderungen in der Gegend, Gottesdienstbesuch in Passau und Zeit für Dinge wie Brotbacken und Gitarre spielen.
Bayerisch Vokabeln der Woche:
auf d’Nacht – abends
ois – alles
koa – kein
Pfia Gott – Gott befohlen = Tschüss
Woche 4: 06.06. – 12.06.2022
Schon wieder eine Woche vorbei? Verwundert darüber, wie schnell die Zeit verfliegt, versuche ich, die Woche mit ihren vielen Patientenkontakten zu rekapitulieren. Beim Nachdenken stelle ich fest: Das Leitthema der Woche könnte „Grenzen“ sein.
Diese Woche habe ich viele Patient*innen gesehen, bei deren Anliegen ich recht schnell an meine Grenzen gekommen bin: Da waren eine Vielzahl orthopädischer Probleme, wo ich doch recht schnell mit meinem Latein am Ende war. Eine Grenze, über die ich hoffentlich mit der Orthopädie-Hospitation noch hinauswachsen darf… Bei anderen Patient*innen kam ich sprachlich bald an meine Grenzen. Sprachbarrieren gehören überall in der Medizin zum Alltag und können durchaus problematisch werden: Bei einem älteren Herren konnte ich in der Anamnese AP-Beschwerden, deutlich zu hohen Blutdruck und Schwindel heraushören, konnte aber einfach kein vollständiges Bild des Patienten und seiner Beschwerden entwickeln. Wie gut, dass der Rest vom Team Bayerisch kann. 😉
Ein anderes Thema, bei dem mir die Erweiterung meiner Wissensgrenzen immer wieder viel Arbeit abverlangt, ist die Pharmakologie. Bei einer älteren Dame ging es nach Krankenhausentlassung darum, die Medikation anzupassen: Herzinsuffizienz, aktuell deutliche Ödeme, die Diuretika waren aber gerade wegen Schwindel bei Exsikkose und Hyponatriämie vom Krankenhaus abgesetzt worden. Vielleicht könnten wir die Diuretika niedriger dosiert wieder einschleichen und eine Balance zwischen Ödemneigung und Exsikkosegefahr finden…? Als Dr. Hackl dann zielbewusst erst einmal das Amlodipin absetzte, hatte mein Kopf auch wieder parat, was ich doch letzte Woche gelernt hatte: Dass Amlodipin mit einer deutlichen Ödemneigung einhergehen kann! Ich bin gespannt, wie sich die Patientin am Montag zeigen wird und wie wir die Medikation dann weiter optimieren können.
Bei anderen Patient*innen kommt nicht nur mein Wissen, sondern auch die Medizin an ihre Grenzen: Der chronische Schmerzpatient, der seit 30 Jahren keine wirkliche Erklärung für seine Muskel- und Gelenkschmerzen gefunden hat. Die Diagnose Fibromyalgie erscheint mir immer wieder ein Eingeständnis zu sein, dass hier die Medizin an ihre Grenzen stößt.
Ein Thema, bei dem mich die Grenzen oft besonders frustrieren, ist die seelische Gesundheit von Patient*innen. Die WHO definiert Gesundheit als einen "Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens". Es ist recht offensichtlich, dass dies ein für uns Menschen in dieser Welt völlig utopischer Zustand ist. Die Medizin arbeitet viel an der körperlichen Gesundheit und bezieht das geistige und soziale Wohlbefinden erst immer mehr mit ein. Immer wieder frustriert es mich, wenn sich unsere Möglichkeiten im Wesentlichen auf das Körperliche beschränken, während die wirklich großen Baustellen viel tiefer zu liegen scheinen. Diese Woche bin ich mit dem ein oder anderen Patienten auf die emotionale oder psychische Komponente von Krankheit zu sprechen gekommen. Und ich merke, wie viel Freude ich an solchen Gesprächen habe und welch ein Privileg es ist, als (angehende) Ärztin ein enormes Vertrauen entgegengebracht zu bekommen. Auch dies ist ein Thema, wo es für mich immer wieder darum gehen wird, meine Rolle, meine Möglichkeiten und meine Grenzen auszuloten: Meine Rolle und meine Kompetenz sollen hier nicht die der Seelsorgerin oder Psychologin sein, sondern die der (angehenden) Hausärztin. Gleichzeitig wächst mein Vorhaben, in der Weiterbildung eine solide psychosomatische Ausbildung mitzunehmen, die für die hausärztliche Tätigkeit sicher sehr wertvoll sein kann!
Noch eine weitere Grenze macht sich diese Woche bemerkbar, die ich schon die Wochen davor befürchtet habe – dass das bisherige tagtägliche Pensum an Arbeiten und Lernen auf Dauer zu hoch ist für mich. Trotz Freude am Lernen und der Motivation, möglichst viel mitzunehmen, macht sich Müdigkeit breit und mein persönlicher Stressindikator sagt mir, dass ich zurückschrauben muss. Herausfordernd, wenn die eigenen Grenzen manchmal schneller erreicht sind, als man das gerne hätte. Herausfordernd, wenn es doch eigentlich noch so viel mehr nachzulesen, zu üben, zu lernen gäbe.
Aber ich muss sagen – so herausfordernd es auch ist, immer wieder an die eigenen Grenzen zu stoßen – ich finde es notwendig und wertvoll, dass wir uns auch damit beschäftigen müssen. Damit, dass wir Menschen begrenzt sind – in unserem Wissen, unseren Kapazitäten, unserer Kraft –, selbst wenn wir das so gern anders hätten. Damit, was es bedeutet innerhalb unserer Grenzen einen Beruf mit manchmal grenzenlosen Anforderungen und Verantwortung ausüben zu lernen. Damit, auch bewusst Grenzen zu setzen und mit manchen Grenzen Frieden zu schließen.
Jetzt freue ich mich auf ein Wochenende für das ich vieles von meiner “to-do-Liste” auf die “geht-auch-ohne-Liste” gesetzt habe und einfach in die Tage (und durch den Bayerischen Wald) spazieren darf. 🙂
Woche 5: 13.06. – 19.06.2022
Nach einem deutlich entschleunigten Wochenende – mein Highlight war die Begegnung mit einer Kreuzotter auf einem wunderschönen Spaziergang – konnte ich wieder mit mehr Kraft in die neue Woche starten.
Es war eine wie immer bunte Woche mit einigen außergewöhnlichen und spannenden Konsultationen: Ein Kleinkind mit Hand-Fuß-Mund-Krankheit – eine Blickdiagnose, die ich zum ersten mal gesehen habe. Ein Teenager, der nach Oberschenkelfraktur wochenlang nicht mobilisiert worden ist und jetzt mit deutlich osteoporotischen Knochen und atropher Muskulatur nur mühsam das Gehen wieder lernt. Diese Problematik hätte ich so in Deutschland nicht erwartet. Ein anderes Thema, über das ich mir bisher nur während meiner Auslandsaufenthalte in ganz anderen Settings Gedanken gemacht habe, war die Frage nach einer Circumcision aus kulturell/ religiösen Gründen. Ein, wie ich im Gespräch mit Herrn Hackl festgestellt habe, gar nicht so einfaches Beratungsthema.
Am Freitag beschäftigte mich ein älterer Herr für etwas längere Zeit: Dieser brauchte nach Krankenhausentlassung noch eben Rezepte fürs Wochenende von uns, aber der Blick auf die Medikation des Entlassungsbriefes sorgte schnell für Skepsis. So war vom Krankenhaus anscheinend bei Neudiagnose NSTEMI und Z.n. Bypass-OP das ASS und Clopidogrel abgesetzt und ohne ersichtliche Indikation für eine Antikoagulation ein DOAK neu verordnet worden. Ein Telefonat mit dem zuständigen Oberarzt brachte die nötige Klarheit: Der im Arztbrief notierte NSTEMI war eigentlich gar keiner und eine Indikation zur Antikoagulation bestand auch nicht, während die Thrombozytenaggregationshemmung aber unbedingt fortgeführt werden sollte. Der Patient konnte von uns mit korrigierter Medikation ins Wochenende entlassen werden.
Neben vielen kleinen und größeren Konsultationsanlässen, durfte ich diese Woche auch wieder viel Sonografie üben. So ließ Dr. Bolla mich immer wieder die Untersuchungen durchführen oder holte mich dazu, wenn er spannende Befunde fand: Harnstau, Gallensteine, Leberhämangiom, Schilddrüsenveränderungen bei M. Basedow. Auch im Bereich der kleinen Chirurgie standen diese Woche einige Lehreinheiten an: Fäden ziehen, Lokalanästhesie nach Oberst, hygienisches Arbeiten bei Wundversorgungen, Assistenz bei Abszessspaltung und Hautnaht.
Bei unserem wöchentlichen PJler-Treffen haben wir uns diese Woche mit Fragen zur Weiterbildung in der Allgemeinmedizin beschäftigt. Ich fand es sehr hilfreich, mich mit den anderen PJlerinnen darüber auszutauschen und gemeinsam einige Fragen zu sammeln, die wir versuchen werden zu klären. Schon verrückt, dass bald wirklich das Bewerben für die erste Assistenzarztstelle losgeht…
Mittwoch waren wir dann gemeinsam in Cham an der Rettungswache des DRK und haben eine spannende Einführung in die Notfallmedizin bekommen. Da wir alle bisher keine Erfahrung im Rettungsdienst haben, war es hilfreich, einiges zu den Abläufen, der Ausrüstung und dem Arbeitsalltag im Rettungsdienst erzählt zu bekommen. Auch das Training an den Simulationspuppen war eine gute Auffrischung! Jetzt habe ich richtig Lust, mal einen Notarztdienst mitzufahren – mal schauen, ob das in der Zeit hier möglich wird!
Nachdem ich letzte Woche viel mit meinen Grenzen konfrontiert war, hat es Spaß gemacht, diese Woche in vielen Situationen die andere Seite zu sehen: Wie viel wir im Studium bereits gelernt haben, wie viel selbstverständlicher ich auf die Anliegen der Patient*innen eingehen kann, als noch vor 3 Jahren in meiner Hausarztfamulatur und welche Offenheit und Wertschätzung die Patient*innen mir als der „jungen Ärztin“ entgegenbringen. So habe ich mich besonders über eine junge Frau gefreut, die mir, obwohl schmerzgeplagt, zum Abschied ein herzliches Lächeln schenkte und sich mit einem gebrochenen „Dankeschön, Du bist sehr freundlich“ wirklich dankbar für unser Gespräch zeigte. Das tut gut und motiviert mich, diesen wunderbaren Beruf immer mehr einzuüben 🙂
Und jetzt sollte ich bei bestem Wetter bald in meine Wanderschuhe schlüpfen, da ich hier am Schreibtisch sonst fürchte, ein „Restless-leg-Syndrom“ zu entwickeln. Da hilft nur die Prävention und raus in den Wald! 😉 Pfia Gott!
Woche 6: 20.06. – 26.06.2022
Was für eine spannende, intensive Woche! Es wundert mich, wie sehr sich eine Woche von der anderen unterscheiden kann und wie unterschiedlich die einzelnen Tage geprägt sein können! Gibt es in der Allgemeinmedizin überhaupt so etwas wie einen „normalen Alltag“?
An manchen Tagen in den letzten Wochen hat sich der Gedanke bei mir eingeschlichen, ob die hausärztliche Tätigkeit nicht manchmal eher einem „Verwalten“ von Patienten gleicht: Überweisung schreiben, Ergebnisse noch einmal erklären, die vom Facharzt verordneten Medikamente verschreiben, an den nächsten Facharzttermin erinnern. Begutachtung, Rentenantrag, Routine-Check-up, Vorsorgen abarbeiten. Das alles ist nicht immer so grau, wie es klingt und hat seine Notwendigkeit, trotzdem kam mir ab und an der Gedanke: Will ich das Tag ein Tag aus machen? Oder machen vielleicht doch die Spezialisten die „richtige Medizin“…? Nun, es mag Tage geben, an denen man sich mehr wie ein Verwalter oder Dienstleister fühlt. Und dann kommen auch die wunderbaren Momente, in denen die Allgemeinmedizin all ihre Vorzüge und Privilegien ausspielen kann: Nämlich solche Situationen, in denen ein Hausarzt seine Patienten auf eine Art begleitet, wie das fast kein anderer Bereich der Medizin leisten kann:
Eine Patientin mit neu aufgetretenen Gefühlsstörungen und latenten Paresen der Arme haben wir diese und letzte Woche einige Male gesehen und intensiv diagnostisch begleitet. Bisher ist es weiterhin unklar, was die diffuse Symptomatik ausgelöst hat. Funikuläre Myelose? Autoimmun? Doch die Neuroborreliose? Hauptaufgaben waren hier der Ausschluss abwendbar gefährlicher Verläufe und das Begleiten der stark verunsicherten Patientin. „Wir kümmern uns, wir schauen genau hin und Sie dürfen auch das 6. mal diese Woche kommen“ waren die nonverbalen Botschaften, die der Patienten etwas Ruhe vermittelt haben.
Einen Patienten mit schnell fortschreitendem Karzinom in nun palliativer Situation haben wir diese Woche wiedergesehen. Nach Krankenhausentlassung war es zeitintensiv, die etwas wirr anmutende Schmerztherapie des Krankenhauses zu sortieren und die nötigen Absprachen mit Onkologen und Palliativ-Team zu treffen. Plötzlich hat man Zeit – nimmt man sich die Zeit – mitten im Sprechstundenalltag. Um behutsam zu erklären, wo noch Klärungsbedarf ist. Um den Schmerz der Familie auszuhalten und Raum dafür zu geben. Um klar zu machen: Wir begleiten Euch und sind ansprechbar!
Einen anderen Patienten mit Morbus Parkinson haben wir zweimal Zuhause besucht. Die medikamentöse Einstellung zwischen motorischer Einschränkung und psychotischen Symptomen ist in der letzten Zeit immer schwieriger geworden und der Patient aktuell in deutlich schlechterem Zustand als noch vor drei Wochen in der Sprechstunde. Hier enthielt der Hausbesuch Fragen zur Medikation, Ausschluss Harnverhalt, kurze handwerkliche Unterstützung der Ehefrau, Besprechen der Unterstützung durch den Pflegedienst. Und wieder habe ich das Gefühl: Wir konnten die Sicherheit vermitteln, dass wir begleiten und unterstützen werden.
Ich nehme es als Privileg und wertvolle Aufgabe wahr, Patient*innen gerade in solchen Grenzsituationen des Lebens begleiten zu dürfen. Das sind Situationen, in denen ich nicht auf die Idee kommen würde, unsere Rolle als „Verwalter“ oder „Dienstleister“ zu sehen. Sondern hier dürfen wir als Ärzt*innen in intensive zwischenmenschliche Kontakte und in unglaublich fragile Lebenssituationen eintreten, um ein Stück Weg gemeinsam zu gehen und fachlich und menschlich zu begleiten. Was für ein Privileg!
Naheliegend ist für mich nach den Begegnungen dieser Woche mal wieder die Frage, wie man wohl den Balanceakt aus professioneller Distanz einerseits, und empathischem, authentischem Involviert-sein andererseits lernen kann. Und wie man der Realität und Intensität des Leids begegnet, und daran weder zerbricht noch abstumpft und zynisch wird. Da bin ich dankbar, dass ich auf verschiedenen Tagungen der ACM – einem Netzwerk christlicher Mediziner in Deutschland – in den letzten Jahren schon so einige hilfreiche Impulse zu dem Thema gehört habe. Und auch hier im Praxisverbund merke ich, wie wertvoll es ist, solche Fragen und Probleme mit erfahrenen Ärzt*innen und den anderen PJlerinnen besprechen zu können!
Während ich all das schreibe staune ich, wie tief ich in den letzten Wochen schon in der Rolle als Ärztin ankommen durfte und nicht mehr nur als Studentin daneben stehe. Das ist sicher zu einem guten Teil der unglaublich wertschätzenden Art im Team und dem großen Vertrauen der Patient*innen zuzuschreiben! Ich merke, wie gut ich mich mit der Rolle der Hausärztin identifizieren kann und denke: Wenn Hausarzt sein so aussieht wie diese Woche, dann ist das definitiv die „richtige Medizin“ und eine Arbeit, auf die ich große Lust habe! 🙂
Woche 7: 27.06. – 03.07.2022
Nach einem sehr schönen Wochenende mit einer guten Freundin durfte ich in die nun schon siebte Woche starten! Diese Woche sind drei neue PJlerinnen angekommen und ich freue mich, mit Franziska jetzt zu zweit als PJlerinnen in Grafenau zu wohnen!
Diese Woche habe ich bemerkt, wie viel mehr Routine sich im Praxisalltag bei mir schon eingestellt hat. Bei einer morgendlichen Autofahrt durfte ich feststellen: Ich freue mich jeden Tag auf den Praxistag, auf das Team, auf die Patient*innen! Dafür bin ich sehr dankbar!
Eine Patientin, die für mich diese Woche recht spannend und lehrreich war, war eine junge Frau, die sich wegen Müdigkeit und Muskelschmerzen vorstellte. Nachdem wir vor 3 Wochen das Leitsymptom Müdigkeit mit den anderen Pjlern durchgesprochen hatten, hatte ich das Gefühl, das Gespräch recht zielsicher angehen zu können: Gründliche Anamnese, körperliche Untersuchung, Basislabor, im Erstkontakt schon die Frage nach möglichen psychosozialen Faktoren stellen. Die Leitlinie betont, dass ohne auffällige Befunde in dieser Basisdiagnostik keine weitere Diagnostik gemacht werden soll, und dass Müdigkeit in den meisten Fällen aus vielen Faktoren, darunter i.d.R. psychosoziale Aspekte, entsteht. Bei der Fällebesprechung hatte ich die Chance, mir noch einige wertvolle Tipps von erfahrenen Ärzt*innen zu holen, wie ich im nächsten Kontakt noch weiter die mögliche psychosomatische Komponente mit der Patientin besprechen kann, und welche möglichen Ursachen ich trotzdem im Verlauf nicht aus den Augen verlieren sollte. Das war wirklich hilfreich für dieses doch recht herausfordernde Beratungsthema!
Sehr spannend war für mich diese Woche auch der Journal Club. Dort hatten wir PJlerinnen noch einmal die Chance einige Fragen zum Thema Chronische Nierenerkrankung (CKD), welches wir in unserem PJ-internen Treffen erarbeitet hatten, zu stellen. Meine Take-home-messages zu Medikamentenverordnung bei CKD waren: Kenne deine Medikamente! Und: Kläre deine Patient*innen zu dem Problemfeld der NSAR bei Niereninsuffizienz auf! Interessant fand ich dabei die Frage, wie man denn nun praktisch vorgeht, wenn bei Gelenkschmerzen Metamizol und Paracetamol nicht ausreichend helfen, Tilidin eigentlich eine Nummer zu hoch gegriffen ist und NSAR wegen CKD nicht gegeben werden sollen. Hier gilt es wohl die verschiedenen Nebenwirkungen mit dem Patienten gemeinsam abzuwägen.
Besonders nachdenkenswert war auch die Diskussion zur Antibiotikaprophylaxe vor zahnärztlichen Eingriffen bei Patient*innen mit Prothesen wie Hüft-TEP. Hier braucht es die Abwägung zwischen Nebenwirkungen und Konsequenzen einer breit gestreuten Antibiotikaprophylaxe (Allergische Reaktionen, Resistenzentwicklung) gegenüber den Konsequenzen einer infizierten Prothese (Prothesenwechsel, Risiko septischer Embolien, etc). Da es hier derzeit keine guten Studien zu gibt, können Empfehlungen – wie noch immer so oft in der Medizin – im Wesentlichen aufgrund von Erfahrungen gegeben werden. Ein anwesender orthopädischer Kollege berichtete, dass ein großer Teil seiner Kollegen aufgrund ihrer Erfahrungen klar eine Antibiotikaprophylaxe bevorzugen würden. Der anwesende Infektiologe erklärte, wieso er aufgrund der bisherigen Daten, die eine recht hohe number needed to treat vermuten lassen, und der großen Problematik von Resistenzen dringend von einer solch breit gestreuten Antibiotikaanwendung abraten würde. Was empfehle ich nun meinen Patient*innen? Mal wieder so eine Frage, auf die es fürs erste keine richtig zufriedenstellende Antwort gibt.
Am Donnerstag konnte ich noch in ein für mich ganz neues Feld reinschnuppern: Mit Dr. Kalmancai zusammen durfte ich einen Notarztdienst machen! Leider (für mich) blieb es eine sehr ruhige Nacht mit nur einem kurzen Einsatz. Aber es war schon spannend, einen kleinen Eindruck vom Dienst auf der Wache zu bekommen (und mal mit Blaulicht durch die Nacht zu fahren 🙂 ) und ich bin gespannt darauf, bald einen zweiten Dienst mitzufahren!
Das Wochenende haben Franziska und ich mit dem Besuch des Grafenauer Volksfestes eingeläutet – die bunten Trachten, Pferdekutschen und Blaskapellen, die durch die Stadt gezogen sind, waren für uns zwei Nicht-Bayern schon ein kulturelles Highlight! 😉
Woche 8: 04.07. – 10.07.2022
Halbzeit – 8 von 16 Wochen sind bereits vorbei! Verrückt, wie schnell die Zeit vergeht!
Die Woche begann mit zwei Tagen Hospitation bei Herrn Dr. Werner, einem niedergelassenen Internisten und Psychotherapeut in Regen. Die zwei großen Themen der beiden Tage waren Obstruktive Schlafapnoe und Herzerkrankungen – zwei so wichtige Themenkomplexe! Ich fand es spannend, ein Bild von der Schlaf-Apnoe-Diagnostik zu gewinnen, zu sehen, wie die ambulante Polygrafie ausgewertet wird und was dann Therapieoptionen für die Patient*innen sind. Außerdem haben wir viele Patient*innen mit kardialen Erkrankungen zur Diagnostik oder Kontrolle gesehen, wo ich bei den Echos über die Schulter schauen und mich auch selbst ein klein wenig im Einstellen der Standardschnitte üben konnte. Dabei war es sehr bereichernd, die den Patienten und Patientinnen so zugewandte und fachlich sehr präzise Art von Dr. Werner zu beobachten!
Besonders interessant für das hausärztliche Setting war es auch, einen kleinen Eindruck von den wichtigen Aspekte bei Patienten-Überweisungen an Fachärzt*innen zu bekommen. Mein Eindruck war, dass hier vielleicht manchmal das Verständnis und die Rollenvorstellung der verschiedenen Disziplinen aneinander vorbeigehen und dass eine gute Kommunikation und Zusammenarbeit daher umso wichtiger sind. Ich merke mir: Ein Facharzt, der den Patienten nicht seit Jahren aus der Praxis kennt, muss in viel kürzerer Zeit ein Bild des Patienten entwickeln – und ist dafür natürlich auf gute Vorbefunde von hausärztlicher Seite angewiesen! So vermeidet man es auch, dass Untersuchungen doppelt oder dreifach durchgeführt werden. Ich muss mir außerdem eingestehen: Manchmal nehme ich die Spezialist*innen wie Dienstleister wahr, bei denen wir, ähnlich wie einen Laborwert, einen Hautbefund, ein Echo oder eine orthopädische Diagnose bestellen können. „Bitte um Mitbeurteilung“ lautet die oft knappe “Bestellung” auf dem Überweisungsbogen. Dabei verpasst man vielleicht, wie viel mehr die Patient*innen von der Expertise der Spezialist*innen profitieren könnten, wenn wir eine ordentliche Zusammenarbeit und guten Informationsaustausch initiieren würden. Ein Thema, für das mir der Blick von der anderen Seite geholfen hat und eine wichtige Take-home-message der Woche!
Nachdem ich Ende letzter Woche und Anfang dieser Woche für Hospitationen auswärtig unterwegs war, war es schön, Mittwoch wieder in „meine Praxis“ zurückzukommen. 🙂 Hier standen diese Woche einige Wundversorgungen und Verbandswechsel an. Einerseits fühle ich mich immer noch furchtbar unbeholfen im möglichst hygienischen Arbeiten und bei vielen praktischen Handgriffen (es ist unglaublich wie wenig Spritzen man in 5 Jahren Studium aufgezogen und wie wenig Verbände man angelegt hat…), andererseits habe ich einen guten Lehrer und Spaß daran, hier mehr Routine zu entwickeln!
Diese Woche war auch die Frage nach den nächsten Schritten ein Thema: Ich habe mich mit der weiteren Planung meiner anderen PJ-Tertiale beschäftigen müssen, die für mich leider immer noch nicht ganz feststehen. Ich merke, wie die Zeit hier eine gewisse Erwartung daran geprägt hat, dass ich im PJ möglichst praktisch und umfangreich Lernen möchte – was in vielen Häusern leider gar nicht so selbstverständlich ist. Umso dankbarer bin ich dafür, wie kollegial wir hier behandelt und gefordert und gefördert werden! Sicher wird es auch nützlich sein, dass ich eine recht konkrete Idee mit in die anderen Tertiale nehme, was ich dort gerne lernen und vertiefen würde. Am Mittwoch hatten wir außerdem ein spannendes Seminar der Uni Erlangen, aus dem ich einige sehr hilfreiche Infos zu den praktischen Schritten nach dem Examen und zur Weiterbildung Allgemeinmedizin mitnehmen konnte.
Nun freue ich mich auf den Beginn eines ruhigen, noch unverplanten Wochenendes!
Woche 9: 11.07. – 17.07. 2022
Wie unterstützt man eine Familie hausärztlich, die zunehmend überfordert ist mit der Pflege eines Angehörigen, diesen aber unter keinen Umständen „abgeben“ will?
Vorsorge ist besser als Nachsorge – Aber wie war das nochmal mit der number needed to treat, dem PPW und den falsch-positiven Befunden bei Screening-Untersuchungen?
Wie rede ich eigentlich mit einem 80-Jährigen über seinen Leidensdruck bei sexueller Dysfunktion?
Leitsymptom epigastrischer Schmerz – PPI ja oder nein und in welcher Dosis nochmal?!
Wie kommuniziert man einen noch nicht sehr klaren, aber womöglich ernsthaften Befund auf eine gute Art und Weise?
Wieso haben wir in der Orthopädie an der Uni eigentlich so wenig praktisches Wissen gelernt…?
Wie kommt man über Gewichtsabnahme, Rauchstopp und andere Maßnahmen zur kardiovaskulären Risikoprävention ins Gespräch ohne dem Gegenüber auf die Füße zu treten?
Und was war nochmal dieses Kawasaki-Syndrom…?!
Immer wieder stolpere ich über neue Fragen im hausärztlichen Alltag. Oder erneut über alte Fragen, die noch immer auf Antwort warten. Wer sich gerne möglichst schnell in einem abgesteckten, sicheren Terrain von Wissen und Erfahrung bewegen will, ist hier in der Allgemeinmedizin vermutlich nicht so gut aufgehoben… Oft ist das Gefühl naheliegend: Wie soll man all dem nur jemals gerecht werden?! Muss man wohl nicht. Und eine der vielen Kompetenzen, die man zum Arzt sein erwerben sollte, ist wohl die Geduld mit sich selbst.
Diese Woche dürfen die Fragen alle schon ein wenig eher ruhen, und müssen auch über das Wochenende ohne Antwort bleiben, da ich für einen kurzen Urlaub zu einer Freundin nach Österreich fahre! Zwischen Berggipfeln und wunderschönen Seen ist Zeit zum Abschalten und Auftanken – ich merke wie gut ein mal wieder etwas längeres Wochenende tut!
Woche 10: 18.07. – 24.07. 2022
Diese Woche durften Anja und ich mit drei Tagen Hospitation in der Orthopädie einer Reha-Klinik starten. Und was für eine Hospitation! Mit einem unglaublich gut durchdachten Programm in der Hand sind wir am Montag durch die verschiedenen Therapieabteilungen spaziert, wo wir die Anwendungen erklärt und gezeigt bekommen haben. Nachdem Reha in der Uni doch recht kurz gekommen ist, war das eine spannende Sache für uns! Montag fand auch ein kleiner Privatkurs Schulteruntersuchung statt, der für uns beide eine sehr hilfreiche Wiederholung war! Die zwei anderen Tage waren gefüllt mit Aufnahmen, Visiten, Kurs Knieuntersuchung und -sonografie und Wirbelsäulenuntersuchung. Dabei hat mich besonders auch die Visite beeindruckt, bei der es ganz viel um die Fragen ging: 1. Wie kommen die PatientInnen zu möglichst viel Beweglichkeit zurück? – Dies brachte gerade bei den älteren PatientInnen öfter mal die Diskussion mit sich, ob der Rollstuhl nicht endlich mal abgegeben werden könnte. 2. Was brauchen die PatientInnen im Anschluss im häuslichen Umfeld? Diese Befähigung und Unterstützung für die Alltagsbewältigung, die ich bei Entlassungen aus Akutkrankenhäusern so oft vermisse, war hier zentrales Thema.
Mittwoch Nachmittag folgte dann noch ein kleines Highlight: Zwei Orthopädietechniker waren im Haus, um Patienten und Patientinnen mit Hilfsmitteln wie Orthesen, Schuhe, Einlagen und Prothesen zu versorgen. Die zwei haben sich viel Zeit genommen, um Anja und mir einige spannende Techniken und Devises zu zeigen. So durften wir selbst eine Beinprothese – die extra für den Zwecke konstruiert ist – ausprobieren. Gar nicht so einfach! Faszinierend war auch ein Gerät, das sich ein junger Mann mit Fußheberschwäche anzog: Dieses konnte die Muskulatur koordiniert zum Bewegungsablauf so stimulieren, dass der Patient wieder annähernd normal gehen konnte! Insgesamt waren die drei Tage sowohl für meine Orthopädie-Kenntnisse als auch für den Einblick in eine Reha-Klinik ein großer Gewinn!
Unter uns PJlern ist diese Woche an verschiedenen Stellen mal wieder die weite Frage danach aufgekommen, welche Medizin eigentlich „richtige Medizin“ ist und welchen Stellenwert gute Evidenz in der Medizin hat. Welche Evidenz hat z.B. die Elektrotherapie als Anwendung in der Reha-Klinik? Wie umgehen mit dem immer wieder aufkommenden Thema Homöopathie, wo die Datenlage eigentlich ein so klares Urteil fällt? Wie bewerten wir die anthroposophische Sicht von Gesundheit und Krankheit, die durch ihr Weltbild und ihre Wissenschaftsdefinition von teils ganz anderen Bewertungskriterien ausgeht? Und wie gehen wir um mit einer Schulmedizin, die an manchen Stellen so sehr dogmatisch wird?
Dabei stellen sich für mich immer wieder auch die grundsätzlichen Fragen: Wie evidenzbasiert muss – und kann – Medizin eigentlich sein? Warum lassen wir nur ganz bestimmte Studientypen als wirklich wissenschaftlich gelten und was ist mit dem Erfahrungsschatz von Generationen vor uns? Wie bewerten wir diagnostische und therapeutische Methoden, die mit den üblichen Studientypen nicht evaluierbar sind? Funktioniert „evidenzbasiert“ nach unseren westlich-wissenschaftszentrierten Vorstellungen eigentlich universell oder nur in unserem Weltbild…? Ich bin ein großer Fan davon, wie hier in der Praxis die sogenannte Evidenz bestimmter Studien und Leitlinien kritisch hinterfragt wird und das Ziel immer ist, die Medizin nicht von Interessen wie Prestige oder Finanzen, sondern echten neutralen Erkenntnissen leiten zu lassen. Andererseits zeigt sich dabei oft, wie schwierig genau das ist. Es gibt so viele Themen, zu denen wir nur Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen können und wo die allgemeinen Statistiken dem Einzelnen nicht unbedingt gerecht werden. Auch wissen wir zum menschlichen Körper, zu Gesundheit und Krankheit so vieles noch nicht. Immer wieder bleibt das Ergebnis: Wir wissen, wie viel wir nicht genau wissen. Und während es für manche Themen gute, fundierte Handlungsanweisungen gibt, bleibt an anderen Stellen die Frage: Nach welchen Maßstäben berate und behandle ich denn nun? Eine Frage, die wohl oft ohne gute Antwort auskommen muss, sich aber lohnt, regelmäßig wieder zu stellen.
Ein Highlight der Woche, das noch erwähnt werden muss, war unser sehr motivierende M3-Teaching mit Julia mit Prüfungssimulation. Dass wir dieses gleich mit einem Ausflug an den See verbinden konnten, hat den Nachmittag perfekt gemacht! 🙂
Während ich diesen Eintrag schreibe, sitze ich im Garten und staune, mit wie viel Geduld Franzi unsere Rosen pflegt. Und ich freue mich auf ein Wochenende mit spannenden Gesprächsthemen, schönen Wanderungen und Zeit für alles andere, was unter der Woche so liegen bleibt. Pfiat Eich!
Woche 11: 25.07. – 31.07. 2022
Protokoll eines (richtig guten) Montags:
8.00 Uhr: Unsere erste Patientin stellt sich vor mit Schmerzen im Bein: „Vorgestern war der Unterschenkel plötzlich rot und geschwollen und schmerzhaft.“ Nun ist die Wade und der mediale Oberschenkel druckschmerzhaft, sonstige Klinik nicht richtungsweisend. Wells-Score von 1, D-Dimere abgenommen, Venenkompressionssonografie trotzdem gleich durchgeführt: völlig blande. Die TVT ist damit wohl ausgeschlossen, eine muskuloskelettale Ursache wahrscheinlich.
Es folgt ein geriatrisches Assessment – es wird Zeit, dass ich das heute mal vernünftig lerne. MMTS, Barthels Index und Sturzrisiko-Assessment. Anschließend noch einige gute Erklärungen zu anderen Tools und Tests.
Weiter geht es mit einem Kind mit Windpocken. Der Beginn ist nun eine Woche her, in den letzten Tagen sind keine neuen Effloreszenzen entstanden, die letzten Bläschen sind verkrustet – die kleine Patientin darf also wieder in den Kindergarten gehen.
Es folgt eine Patientin, die ich wieder einbestellt hatte, wegen.. warum nochmal…? Kurzer Blick in die Kartei: Ach ja, Blutzucker- und Marcumar-Kontrolle. Eine Anpassung der Diabetesmedikation scheint mal wieder angebracht. Daran schließen wir gleich noch die DMP-Untersuchung an. Auch eine LUFU ist bei der Patientin mal wieder nötig, eine gute Gelegenheit für mich, endlich mal selbst eine Spirometrie anzuleiten. Bei der Fußkontrolle fällt noch eine Druckstelle auf, der wir ein wenig Zeit schenken. Diese Patientin ist heute ausführlich versorgt worden!
Es folgt ein weiteres geriatrisches Assessment – doppelt geübt hält besser.
10:00 Uhr: Eine ältere Dame ist zum Sono einbestellt worden als Teil des Check-ups. Ich darf damit beginnen und freue mich über sehr gute Schallbedingungen. Sogar das Pankreas ist einfach und vollständig darstellbar! Ein völlig blandes Abdomen Sono.
Weiter geht es mit einem Mädchen mit Konjunktivitis, Schnupfen und leichten Halsschmerzen. Ich erkläre kurz den harmlosen Verlauf einer solchen, wahrscheinlich vorliegenden, Virusinfektion und gebe ein paar Tips zu Hygienemaßnahmen. Ach ja, den obligaten Corona-Abstrich hab ich noch vergessen…
Es folgen eine wunderschön verheilte Knie-TEP mit hervorragendem funktionelle Ergebnis, danach eine kurze Fadenzug-Revision, bei der sich wohl letzte Woche zwei Fäden zu gut versteckt hatten…
Beim Blick ins Verbandszimmer sehe ich ein von den letzten Wochen schon sehr bekanntes Gesicht, über das ich mich immer wieder freue: Ein Patient in palliativer Situation, der zur Wundkontrolle kommt. Dabei bemerkt ich schweren Herzens den deutlich zugenommenen Ikterus, der vom Fortschreiten seiner Erkrankung erzählt.
13:00 Uhr: Mittagessen! Doch nicht – Es kommt noch ein Notfall rein: Ein Patient mit größerer Schnittwunde an der Hand, die ich mit einigen Stichen nähen darf. DMS intakt, keine funktionellen Einschränkungen, Impfpass wird zur Kontrolle des Tetanusimpfschutzes morgen nachgereicht.
Jetzt ist aber Zeit zum Essen! Was für ein Luxus, dass das Ehepaar Hackl für mich mit kocht! Die Zeit zum Essen ist aber nicht lang, denn es geht weiter mit der Mittagsbesprechung online, heute zum Thema „Sucht und Medikamentenabhängigkeit“. Ein sehr spannendes Thema – und unglaublich herausfordernd!
15:00 Uhr: es ist noch Zeit für einen Hausbesuch, bevor die Sprechstunde weitergeht. Heute darf ich mal alleine los. Bei der Dame mit Ischialgie lassen sich die AGVs gut ausschließen und wir einigen uns auf leichte Dehnübungen und Metamizol bei Bedarf. Anschließend ist noch ein wenig Zeit, damit mir die Patientin ein bisschen von dem erzählt, was sie eigentlich so belastet. Als ich nach ein paar Minuten wieder aufbrechen muss, zeigt sich die Patientin sehr dankbar für mein Zuhören und die wertschätzenden Worte. Ich glaube, das war ein lohnenswerter Hausbesuch…
Zurück in der Sprechstunde ist schon wieder eine Naht zu setzen: Ein Junge mit Risswunde am Knie, die zwei Einzelknopfnähte braucht. Ein sehr tapferer Patient!
Mein letzter Patient des Tages wurde einbestellt, um die Histologie seiner Gastroskopie zu besprechen. Es wurde ein Helicobacter pylori festgestellt, der nun therapiert werden soll. Ich erkläre dem Patienten den Befund und in groben Zügen die Therapie. Soweit so kompetent… aber welche der Optionen nehmen wir jetzt? Und wie waren nochmal die Dosierungen? 7 Tage, oder…? Nein, doch länger. Das war eine gute, praktische Wiederholung, vielleicht bleibt das Schema diesmal ein wenig länger in meinem Gedächtnis!
18:15 Uhr: Herr Dr. Hackl und ich besprechen meine Hausbesuchspatientin von heute Mittag nach und danach noch einmal einige Patienten des Tages. Es folgt ein Blick in mein PJ-Logbuch und dann eine kurze Besprechung unserer Wanderpläne für nächstes Wochenende. 🙂
19:00 Uhr: Heimfahrt. Das war ein typischer, ganz schön langer Montag. „Aber ein richtig guter!“, denke ich.
Woche 12: 01.08. – 07.08.2022
Highlights der Woche:
- Gartenfeier in Grafenau: Am Dienstagabend haben wir als PJlerinnen einige der Ärzt*innen, mit denen wir viel zusammenarbeiten dürfen, zum gemütlichen Beisammensein in unserem schönen Garten eingeladen. Ein sehr schöner Abend mit spannenden Gesprächsthemen in sympathischer Runde!
- Antibiotika-Teaching mit Dr. Baloun: Dr. Baloun haben wir schon bei den bayernweiten Netzwerktreffen immer wieder als sehr begeisterten und begeisterungsfähigen Infektiologen kennengelernt. Diesen Mittwoch hatten wir die Chance, ihm einige unserer Fragen zum weiten Thema Antibiotikatherapie zu stellen. Wie viele andere Studenten wohl auch, verzweifel ich immer wieder an dem Versuch, die vielen Details zu den verschiedenen Antibiotika in meinen Kopf zu bekommen. – Da machte es Spaß, sich ein bisschen von der Begeisterung von Dr. Baloun für ein letztlich so enorm wichtiges Thema – für Gegenwart und Zukunft! – anstecken zu lassen. Eine meiner Take-home-messages: Fosfomycin Einmalgabe bei Harnwegsinfekt ist zwar schick weil einfach, aber ein gut wirksames Reserveantibiotikum der Intensivmedizin für einen Zweck zu verwenden, für den es gute Alternativen gibt, ist schon irgendwie fragwürdig…
- Hospitation Palliativteam: Am Freitag durfte ich mit Dr. Gion vom SAPV Team Passau unterwegs sein. Von Morgenbesprechung über Online-Konferenz bis zu den Hausbesuchen gab es super viel für mich mitzunehmen! Irgendwie beeindrucken mich immer wieder die Bereiche, in denen man Menschen in den ganz essentiellen Lebensthemen begleiten kann. Das Thema Sterben ist – im wahrsten Sinne des Wortes – ein solches Grenzthema des Lebens. Und was für ein Schatz, dass die Palliativmedizin mit Blick auf sämtliche Bedürfnisse – körperlich, seelisch, emotional, spirituell, zwischenmenschlich,… – eine intensive Unterstützung der Patient*innen und Angehörigen anbieten kann! In der Hausarztpraxis stellt sich mir öfter mal die Frage, was Menschen am Lebensende – in der Geriatrie, in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium, in einer palliativen Situation – brauchen können, und was auch nicht mehr. Es war hilfreich, einen kleinen Einblick zu bekommen, welche Schwerpunkte der Versorgung von dem SAPV-Team gelegt werden und einige meiner Fragen zum Thema zu stellen.
Das letzte Highlight war ein sehr schönes Wochenende mit Besuch von zwei Freundinnen aus München! – ein (fast) Medizin-freies Wochenende mit Besuch des mittelalterlichen Stadtfestes in Grafenau und schöner Wanderung, mal wieder zum Lusen! 🙂
Woche 13: 08.08. – 14.08. 2022
Dies war nun leider schon die letzte Woche in „meiner“ Praxis! Was für eine wertvolle Zeit in einem unglaublich sympathischen Team!! Da die Praxis für die nächsten drei Wochen im Urlaub sein wird, musste ich mich heute schon von meinem „ersten Arbeitsplatz“ verabschieden. Es war schön, diese Woche nochmal bei einem kleinen Betriebsausflug Zeit mit dem Team zu verbringen – ich werde die so familiäre Atmosphäre sehr vermissen!
Die letzten Wochen werde ich nun mit verschiedenen Hospitationen und vermutlich an den Standorten Grafenau und Schöfweg verbringen.
Eine Hospitation stand auch diese Woche an bei einer niedergelassenen Gynäkologin. Dort konnte ich einerseits ein wenig von dem, was ich in meinen Geburtshilfe-Famulaturen gelernt hatte, wieder rauskramen – so ein Schwangerschafts-Sono ist schon etwas schönes! 🙂 – und ich habe an diesem einen Tag so einiges gezeigt und erklärt bekommen. Besonders hilfreich fand ich die ausführliche Erklärung zur Verordnung der verschiedenen kontrazeptiven Pillen. Dieses Thema läuft in der Hausarztpraxis oft so nebenbei mit, ist aber aus gynäkologischer Perspektive berechtigterweise deutlich komplexer gedacht, erfordert gute Aufklärung und regelmäßige Reevaluation. Ein wenig war meine Frage auch: Ist die niedergelassene Gynäkologie eine realistische Alternative zur Allgemeinmedizin? Nach einem Tag kann ich das wohl nicht genügend beurteilen, ich habe aber die Ahnung, dass mir so einige Facetten der hausärztlichen Arbeit dort fehlen würden. Oder ich muss doch in ein Land umziehen, in dem Schwangerschaftsvorsorge eine hausärztliche Tätigkeit ist… 😉
Der heutige Freitag war emotional nicht nur vom letzten Tag und dem „Tschüss“ und „Danke!“ sagen geprägt – es war auch ein normaler Arbeitstag mit der ganzen Breite des menschlichen Lebens, die so im hausärztlichen Alltag auf einen einprasselt. Am Morgen der Besuch einer verstorbenen Patientin im Altersheim zur Bescheinigung ihres Todes; später ein zuckersüßer, quicklebendiger Säugling, der voller Neugierde und Staunen versucht hat die Welt um sich herum wortwörtlich zu begreifen; nachmittags dann die Fahrt zu einem im Sterben liegenden Patienten, der noch immer um das Leben ringt. Wir haben im Studium mal etwas von professioneller Empathie gelernt. Das klang für mich immer auf eine Art hohl und unauthentisch. Ich möchte den Menschen und dem Leben gern ehrlich, offen und authentisch begegnen – ich will mich zutiefst über die Schönheiten freuen, ich will aber auch über den Schmerz und das Leid weinen dürfen. Natürlich braucht es für den ärztlichen Beruf eine professionelle Distanz, die in der Situation Souveränität behält, die eine gewisse Sicherheit bieten kann und emotional „Außenstehender“ bleibt. In allen Begegnungen bin ich aber nicht nur Ärztin, sondern auch ich selbst. Und dann darf und muss ich mich auch ehrlich mit dem beschäftigen, was mich bewegt, was in mir vor sich geht, wenn ich all diesen Lebenssituationen begegne.
Die Frage danach, wie professionelle Distanz und ehrliche, authentische Empathie zusammenpassen können, bewegt mich die letzten Jahre immer wieder. Ich glaube, dass es eine gesunde Balance aus Distanzfähigkeit und Berührbarkeit braucht, um den Patient*innen und sich selbst gerecht zu werden. So zumindest mein Eindruck, wenn ich Ärzt*innen um mich herum beobachte und mit meinen Fragen löchere… Jedenfalls stelle ich dankbar fest, dass ich mit der Praxis auch in diesen Themen immer etwas mehr Übung bekommen darf.
Mit dieser Reflexion verabschiede ich mich ins Wochenende. Franzi und ich planen heute eine Nachtwanderung unter den Sternen – mal schauen, welche spannenden Gespräche sich dabei noch ergeben werden!
Woche 15: 22.08. – 28.08. 2022
Diese Woche war noch einmal ein etwas anderes Programm für mich dran: In einer Passauer Kinderarztpraxis durfte ich die Woche über bei den kleinen Patient*innen mitlaufen. Zahlreiche U-Untersuchungen, Impfungen und Infekte haben sich abgewechselt mit den fachärztlichen Konsultationen zur Kinder-Pneumologie und Neuropädiatrie. Die U-Untersuchungen waren für mich eine gute Chance, meine Einschätzung zum Entwicklungsstand der Kinder weiter zu trainieren. Spannend war es auch, die Kinderärzt*innen bei ihrem unglaublich geschickten Umgang mit Eltern und Kindern zu beobachten und daraus so einige Praxistipps mitzunehmen. Auch die vielen Asthma-Kontrollen waren eine gute Übung zu einem Thema, das mir in den letzten Wochen sonst eher selten begegnet ist. Selbst konnte ich diese Woche leider nicht sehr viel machen, was der doch oft größeren Anspannung von Eltern und Kindern in der Praxis geschuldet war. Trotzdem hat mir die Woche Spaß gemacht und hat meinen bisher insgesamt noch recht ungeübten Blick für Kinder und ihren Gesundheitszustand weiter trainiert.
In der Kinderarztpraxis spielen – sogar denke ich noch mehr als in der Hausarztpraxis – die Primärprävention und Früherkennung eine unglaublich große Rolle: Beratungen zum plötzlichen Kindstod, zu Ernährung, zu Impfungen, zu Unfallprävention, Neugeborenenscreening, Untersuchungen zum Entwicklungsstand, zur Sprache, zum Hören und Sehen. Zu Recht, denn so können viele Erkrankungen und Probleme verhindert oder abgefangen werden, die bis vor wenigen Jahrzehnten, und in anderen Teilen der Welt noch immer, zu einer deutlich höheren Sterblichkeit im Kindesalter führten. Meine ersten intensiven Kontakte mit der Pädiatrie hatte ich in Pakistan, einem Land, das in Bezug auf medizinische Versorgung für einen Großteil der Bevölkerung als Entwicklungsland zu betrachten ist. In einem solchen Setting wird deutlich, welchen enormen Wert verhältnismäßig einfache Maßnahmen – gerade der Prävention und Vorsorge! – haben können. Die Vergleiche zwischen den so unterschiedlichen Settings haben mich diese Woche immer mal wieder zum Nachdenken gebracht und ich bin dankbar für die vielen insgesamt so gesunden Kinder, über die ich mich diese Woche in der Praxis freuen durfte!
Übrigens: Bayerisch gilt hier (in)offiziell als Muttersprache vieler Kinder, Zweitsprache Hochdeutsch. 😉 Deswegen – für alle Hinzugezogenen wie mich – hier noch einmal ein kleines Update meiner Bayerisch-Vokabelliste (ohne Garantie 😉 ):
- Aufe – hinauf
- Oba – herab (Im Altersheim: „Frau XY? Da müssn Sie oba gehen“ – heißt nicht nach oben, sondern runter gehen)
- bessa – mehr/ stärker
- Schmier – Salbe, Creme
Woche 16: 29.08. – 02.09. 2022
Nun ist mein Tertial im Bayerischen Wald tatsächlich schon vorbei. Wenn ich auf die letzten vier Monate zurückschaue, würde ich sie wie folgt zusammenfassen: anspruchsvoll, aber wertvoll.
Vor vier Monaten bin ich mit der Erwartung in den „fernen Südosten“ gezogen, dass ich hier ein wirklich lehrreiches PJ verbringen kann. Ich versuche mal, ein wenig Resümee der Zeit zu ziehen:
Ich durfte meine Zeit in einem wunderbaren, sehr sympathischen Praxisteam verbringen. Dort hatte ich den Freiraum, mich in den verschiedensten Patientenkonsultationen zu üben und dabei zu beginnen, meinen eigenen Stil zu entwickeln. Ich konnte viele, viele Patientengespräche anfangen, mir eigene Gedanken zu den Anliegen machen, Untersuchungen durchführen und dann Therapien vorschlagen. Dabei hat mich die wertschätzende Art von Herrn Hackl und das offene Vertrauen der Patient*innen immer wieder darin bestärkt, selbstbewusst meine Ideen und Vorschläge zu teilen. Profitieren konnte ich auch von der praktischen Anleitung in der Sonografie, den vielen Chancen diese zu üben und von den gemeinsamen, und dann auch selbstständigen, Wundversorgungen und -kontrollen.
Vier Monate und viele viele Patientenkonsultationen später, kenne ich nun also nicht nur einige Bayerischvokabeln mehr. Dank der geduldigen und freundlichen Art der Patient*innen war die „Sprachhürde“ übrigens auch nie ein wirklich großes Problem. Und ein bisschen werde ich den Dialekt auch vermissen…
Vermissen werde ich auf jeden Fall auch meine Mit-PJlerinnen, die ich sehr gerne als Kolleginnen mitnehmen würde! Gerade von unseren PJ-internen Themenbesprechungen habe ich sehr profitiert. Dabei haben wir u.a. gelernt, wie Leitlinien zu nutzen sind und wo zuverlässige, an der Praxis orientierte Quellen zum Lernen und Nachschlagen zu finden sind. Und auch ansonsten war der Austausch und die gemeinsame Zeit mit den anderen PJlerinnen und jungen Ärztinnen wertvoll und bereichernd!
Neben unseren selbstorganisierten Thementreffen gab es eine Vielzahl an Fortbildungsmöglichkeiten: Die regelmäßigen Fallbesprechungen, in die wir PJler so selbstverständlich mit einbezogen wurden, habe ich immer wieder als hilfreichen Rahmen empfunden, um Feedback und Hilfestellungen zu praktischen Fragen zu bekommen. Die Montagsbesprechungen haben mir persönlich nur wenig entsprochen, dafür waren die Journal Clubs spannende Gelegenheiten, um tiefergehend über die Qualität von Evidenz an verschiedenen Stellen in der Medizin nachzudenken. Gerade durch die Journal Clubs, gemeinsam mit unserem PJ-internen Austausch über Leitlinien, habe ich nochmal einen wichtigen Soft Skills der Medizin lernen können: Wie ich Informationen in der Medizin kritisch bewerte und mir gezielt zuverlässige Quellen als Grundlage meiner Patientenversorgung suche. Stichworte: Evidenzbasiert, nicht Eminenzbasiert…
Zwischen den zum Teil langen Praxistagen, vielen Fortbildungen und Veranstaltungen, dem Schreiben von Erfahrungsberichten und organisatorischen Tätigkeiten rund um unser schönes Studierendenhaus, wurden die Wochen immer wieder sehr voll. Insgesamt arbeiten die Ärzt*innen der beteiligten Praxen mit einem hohen Selbstanspruch und auch das, was von uns Lernenden erwartet wurde, war anspruchsvoll und zeitintensiv. Dies ist einerseits genau das, was die Zeit hier so lehrreich gemacht hat, und andererseits immer wieder ein Übungsfeld gewesen: Es gilt hier, wie sicher auch später im ärztlichen Alltag, Prioritäten setzen zu können, sich manchmal von gefühlten oder tatsächlichen Erwartungen abzugrenzen und sich seiner eigenen Ressourcen – und Grenzen – bewusst zu werden.
Insgesamt habe ich in diesem Tertial einige große Schritte von Studentin-sein zu Ärztin-sein machen dürfen. Würde ich das Tertial wieder hier verbringen? Auf jeden Fall! Denn die Zeit hier war – in vielen Aspekten – anspruchsvoll, aber sehr wertvoll und lehrreich, so wie ich es mir von meinem Allgemeinmedizin-Tertial gewünscht hatte.
Ich wünsche dem Team und den Patient*innen weiterhin alles Gute! Und Euch zukünftigen PJler*innen viel Freude und Ausdauer beim Arbeiten und Lernen 🙂
Hauptstandort Kirchberg
Am Alten Sportplatz 3
94259 Kirchberg
Tel: 09927 441
info@praxis-bayerwald.de