
Martina Enzinger
Praktisches Jahr
17.05. – 05.09.2021
Woche 1: 17.-23.5.2021
Meine erste Woche im Bayerischen Wald gestaltete sich bereits sehr bunt und abwechslungsreich. Da ich am Wochenende anreiste, konnte ich die nähere Umgebung mit dem Todtenauer Moor ein wenig erkunden – eine wunderschöne Landschaft! Außerdem konnte ich meine beiden Mitbewohner, zwei Blockpraktikanten aus Erlangen, kennenlernen, sodass das Wochenende wie im Fluge verging.
Die Praxiswoche verbrachte ich größtenteils in Kirchberg, einen Tag arbeitete ich auch in der Niederlassung in Grafenau mit. Schön war für mich, dass ich nach kurzer Eingewöhnung eigenständig zu den Patient*innen gehen konnte, um sie nach ihrem Anliegen zu befragen und sie zu untersuchen, bevor mir einer der Ärzte zur Seite stand. Dadurch war ich gefordert, mir zu überlegen, welche Fragen und Untersuchungen mich zur richtigen Diagnose führen könnten – und mir wurde auch schnell bewusst, in welchen Bereichen meine Wissenslücken liegen, sodass ich mir die ersten Lernziele für die nächsten Wochen setzen konnte.
Lehrreich war für mich auch das erste PJ-Seminar von der Uni Jena, an dem ich via zoom teilnehmen konnte; Thema war das „Motivational Interviewing“, eine Methode, mit der man mit Patient*innen über kritische Themen wie Gewicht oder Nikotinkonsum ins Gespräch kommen kann. Ziel des Motivational Interviewing ist es, dass der Patient für sich selbst herausfindet, welche Beweggründe er für sein Verhalten (z.B. Rauchen) hat, und in einem zweiten Schritt überlegt, welche alternativen Handlungen er durchführen könnte. Ich finde diesen Ansatz sehr spannend und wichtig in der hausärztlichen Praxis, da lebensstilassoziierte Erkrankungen wie Diabetes Typ II und Herzkreislauferkrankungen in Industrienationen in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen haben, und das Thema Prävention daher aus meiner Sicht eine große Rolle in der hausärztlichen Versorgung spielen sollte.
Auch von der Praxis selbst wurden Fortbildungsveranstaltungen in Form von Fallkonferenzen angeboten, sodass ich neben den praktischen Erfahrungen in der Sprechstunde auch noch einige andere Patientengeschichten mitbekam. Dieser kollegiale Austausch erscheint mir sehr wichtig und lehrreich, weil man so auch die Perspektiven der anderen Ärzt*innen kennenlernt und seine eigene Einschätzung immer wieder hinterfragt.
Voll von diesen Eindrücken warte ich gespannt auf die nächste Woche :-).
Woche 2: 24.-30.5.2021
Meine 2. Woche in der Gemeinschaftspraxis verbrachte ich in Lalling bei Dora. Ich empfand es als sehr hilfreich, die gesamte Woche in derselben Praxis mit (fast) konstantem Team zu arbeiten – so hatten wir die Möglichkeit, uns besser kennenzulernen und unsere Arbeitsschritte aufeinander abzustimmen. Auch hier wurde ich – ebenso wie vergangene Woche in Kirchberg – sehr herzlich aufgenommen.
Für diese Woche hatte ich mir vorrangig zwei Lernziele gesetzt: Zum einen wollte ich sicherer im Umgang mit den medizinischen Plattformen werden, die hier recht viel benutzt werden (Arznei Telegramm und Deximed), zum anderen wollte ich praktisch besser im Umgang mit dem Ultraschall des Bauchraums werden. Zu beidem hatte ich ausreichend Möglichkeit :-).
Ich empfinde es als sehr hilfreich, dass wir in der heutigen Zeit die Möglichkeit haben, über pharmaunabhängig finanzierte Online-Plattformen wie Deximed und Arznei Telegramm sehr schnell und unkompliziert an Informationen zu gelangen, die uns dabei helfen, unsere Patient*innen besser und leitliniengerecht zu versorgen. Denn, Hand aufs Herz: Kein Mensch kann alles wissen, auch kein Arzt ;-). Außerdem entwickelt sich die medizinische Forschung teils so rasant und unübersichtlich, dass es sehr hilfreich ist, dass Expert*innen sich der Aufgabe annehmen, den aktuellen Forschungsstand zusammenzufassen und die praxisrelevanten Ergebnisse für praktisch tätige Ärztinnen aufzuarbeiten.
Ultraschall konnte ich an einigen PatientInnen üben, die mit akuten Beschwerden wie Bauchschmerzen zu uns kamen, aber auch bei einigen, die sich zur Vorsorgeuntersuchung (CheckUp 35) vorstellten. Meine Patient*innen waren glücklicherweise sehr geduldig mit mir, wenn es mir nicht gleich gelang, Leber oder Bauchspeicheldrüse gut darzustellen, sondern ein bisschen suchen und herumprobieren musste. In den Mittagspausen arbeitete ich immer ein paar Seiten im „Sono Trainer“ von Berthold Block durch, um mir ein paar Ideen zu holen, wie ich Leber, Pankreas (Bauchspeicheldrüse) und Uterus (Gebärmutter) zielsicherer aufsuchen und schärfer darstellen kann. Natürlich gab auch Dora mir ein paar Tipps J. Erste kleine Erfolge konnte ich schon erzielen – zum Beispiel konnte ich bei einer Frau, die mit Unterleibsschmerzen zu uns kam, die Gebärmutter darstellen, was mir zuvor nie sicher gelungen war. Aber: ich merke auch, dass ich noch viel zu üben habe…
Neben der „typischen“ Praxisarbeit legten wir am Mittwochvormittag einen Impfmarathon hin: mehrmals hintereinander klärten wir kleine Gruppen von Patienten über die Impfung gegen das Coronavirus auf, bevor wir sie dann einzeln zu uns ins Sprechzimmer nahmen, noch letzte Fragen klärten und sie anschließend impften. Ich empfinde es einerseits als sehr hilfreich für die Eindämmung der Pandemie, dass seit einiger Zeit auch die HausärztInnen impfen dürfen, weil ich den Eindruck haben, dass wir so auch Menschen erreichen können, die nie oder erst spät den Weg ins Impfzentrum finden würden. Andererseits: Neben der „typischen“ Praxisarbeit stellt es eine zusätzliche Belastung dar und ich merke, wie anstrengend es für das gesamte Team aus MFAs und Ärztinnen ist, diese Aufgabe zu stemmen.
Die Woche in der Praxis war unglaublich bereichernd, aber auch sehr anstrengend für mich – die Eindrücke mit all den neuen Menschen, diversen Krankheitsbildern und Therapiestrategien sind teils noch so überwältigend, dass ich auch froh bin, jetzt das Wochenende genießen zu dürfen. Gemeinsam mit meiner Mitbewohnerin möchte ich ein bisschen wandern gehen, worauf ich mich schon sehr freue. Und zwischendrin kann ich noch ein paar Dinge nachlesen, die mir diese Woche unklar geblieben sind ;-).
Woche 3: 31.5.-6.6.2021
Hausbesuche, Ultraschalluntersuchungen, eine Wanderung am Feiertag und ein internationales PJ-Seminar – meine 3. Woche im Bayerischen Wald gestaltete sich wieder sehr abwechslungsreich, sodass ich sowohl bei der Arbeit als auch in der Freizeit auf meine Kosten kam :-).
Diese Woche lernte ich die Praxis in Auerbach kennen und damit auch Anton, der mir für die Zeit meines PJ-Tertials als Mentor zur Verfügung steht. Selbstverständlich darf und soll ich auch in anderen Praxen mitarbeiten, aber ich finde es schön, dass mir eine feste Bezugsperson zur Verfügung steht, mit der ich Lernziele absprechen und Hospitationen organisieren kann.
Schnell lerne ich die kleine, familiäre Praxis in Auerbach schätzen: Anton kennt die meisten Patienten hier sehr gut und kann mir einen prägnanten Überblick über ihre Vorgeschichte geben, bevor ich zu ihnen gehe und mich über den Grund ihres heutigen Kommens informiere. Gleich am Montag habe ich mehrmals die Möglichkeit, den Bauch und die Schilddrüse von Patientinnen mit dem Schallgerät zu untersuchen und freue mich, dass ich ein paar Tipps umsetzen kann, die ich mir am Wochenende angelesen habe. Verzahnung von Theorie und Praxis funktioniert hier wirklich perfekt ;-).
In der Mittagspause unternehme ich einen Spaziergang durch den Wald bei Auerbach – die Sonne scheint und das Thermometer ist endlich auf 20° geklettert, sodass ich kurzärmlig durch die Gegend streifen und die Eindrücke des Vormittags auf mich wirken lassen kann.
Am Dienstag habe ich die Möglichkeit, Svenja bei ihrer Hausbesuchstour zu begleiten. Auch wenn heute nur „Routinebesuche“ stattfinden, finde ich es interessant, diesen Aspekt der Allgemeinmedizin kennenzulernen: Es macht doch einen gehörigen Unterschied, ob ich einen Patienten in seinem häuslichen Umfeld untersuche und sehe, wie er sich mit dem Rollator dort bewegt, oder ob ich ihn zur Verlaufskontrolle in die Praxis einbestelle. Allerdings: Zeitaufwendig sind die Hausbesuche schon, schließlich müssen wir dafür auf engen Straßen zu teils entlegenen Wohnsitzen fahren…
Am Mittwoch unterstütze ich das Team in Kirchberg beim Impfen, weil für heute sehr viele Patienten einbestellt sind und das Personal eng besetzt ist. In Kleingruppen klärt Sarah die Patient*innen über die Impfung gegen SARS-CoV 2 auf, bevor wir sie einzeln aufrufen, noch letzte Fragen klären und die Impfung verabreichen.
Nachmittags erwartet mich dann mein persönliches Highlight der Woche: Das PJ-Seminar der Uni Jena findet heute in Kooperation mit Student*innen der Uni Nairobi statt. So sehe ich mich via Skype mit 5 deutschen und 6 kenianischen Studenten verbunden: zunächst haben wir die Möglichkeit, uns in Breakoutrooms persönlich kennenzulernen, bevor wir in den fachlichen Teil der heutigen Session starten. Jeweils zu zweit dürfen wir den Fall eines 26-jährigen Mechanikers bearbeiten, der seit 3 Wochen anhaltenden Husten hat, mittlerweile mit gelbem Auswurf, und jetzt Hilfe sucht. Ich bin überrascht, wie ähnlich unsere Gedanken und Vorgehensweisen zu der Krankengeschichte sind. Der Unterschied ist vor allem, dass unsere kenianischen Kommilitoninnen sehr schnell Tuberkulose als Differentialdiagnose in Erwägung ziehen, weil die Krankheit in Kenia sehr verbreitet ist. Am Ende des Seminars sind wir uns alle einig: Das Seminar war persönlich wie fachlich eine große Bereicherung für uns und wir möchten es gerne mit anderen Fallbeispielen wiederholen.
Die Wettervorhersage für Fronleichnam ist großartig, sodass meine Mitbewohnerin Katharina und ich beschließen, nach Bodenmais zu fahren, um die Rieslochwasserfälle sowie den Großen und den Kleinen Arber zu erklimmen. Die Wanderung ist landschaftlich ein Genuss (mit 850hm im Auf- und Abstieg allerdings auch sehr anstrengend….) und wir genießen es, unsere Erfahrungen austauschen zu können.
Am Freitag begleite ich nochmals Anton in der Praxis in Auerbach: Einige Patienten stellen sich schon zum zweiten Mal diese Woche vor, was für mich sehr lehrreich ist, weil ich so den Verlauf ihrer Krankengeschichte mitbekommen kann. Eine Patientengeschichte bleibt mir besonders im Gedächtnis: Es stellt sich ein 80-jähriger Herr vor, der vor einigen Wochen zur Vorsorgeuntersuchung kam und mit erhöhten Leberwerten auffiel. Symptome hatte er keine. Bei der Ultraschalluntersuchung fiel ein sehr „höckriges“, knotiges Bild der Leber auf, sodass Anton ihn zur weiteren Diagnostik in die Klinik überwies. Leider wurde dort die Diagnose von Lebermetastasen gestellt, die von einem Tumor im Dickdarm ausgehen. Der Patient fühlt sich aktuell körperlich glücklicherweise trotz allem recht fit, sagt aber von sich selbst, dass ihm die Diagnose mental sehr zu schaffen mache.
Seine Geschichte führt mir vor Augen, wie wichtig es ist, auch in der Hausarztpraxis, wo wir meist mit eher leichten, vorübergehenden Krankeitsbildern konfrontiert sind, die Augen offen zu halten für schwerwiegende, potentiell tödliche Krankheiten – und auffälligen Untersuchungsbefunden nachgehen, um dies möglichst frühzeitig zu erkennen.
Woche 4: 7.-13.6.2021
Die Zeit rennt – jetzt bin ich schon seit vier Wochen im Bayerischen Wald und viele Landstriche kommen mir bereits sehr vertraut vor. Auch der niederbayerische Dialekt ist Teil meines Alltags geworden und ich verstehe die meisten Patient*innen mittlerweile auf Anhieb, ohne nochmals nachfragen zu müssen.
Diese Woche habe ich wieder – bis auf den Dienstag – in Auerbach verbracht. Für mich ist es hilfreich, längere Zeit in einer Praxis zu verbringen, weil ich dadurch die Patienten besser kennenlerne und den Verlauf ihrer Krankheiten intensiver mitverfolgen kann. Vergangene Woche beispielsweise hatten wir einen Patienten mit einem infizierten Atherom am Rücken, das wir spalteten. Ein Atherom ist eine Zyste auf der Haut, die an sich nicht behandlungsbedürftig ist. Wenn sie sich allerdings infiziert, bereitet sie Schmerzen und muss eröffnet werden, damit der Eiter abfließen kann. Nun konnte ich bereits bei mehreren Wundkontrollen mit dabei sein und sehen, wie sich die Wunde Schritt für Schritt besserte und nun schon wieder fast zugeheilt ist. Diese „erlebte“ Medizin kann kein Lehrbuch ersetzen.
Ein Highlight diese Woche war der Praxisinterne Journalclub am Mittwochabend: Hier stellten einige Mitarbeiter der Praxis Studien zu allgemeinmedizinisch relevanten Themen wie „Therapie von Asthma“ vor: Ist es sinnvoll, Patientinnen mit erstgradigem Asthma neben einem Bronchien-erweiternden Medikament auch ein entzündungshemmendes Medikament wie Budesonid zum Inhalieren zu geben? Die vorgestellte Studie sprach sich dafür aus. Einige Teilnehmer gaben aber zu bedenken, sie hätten in letzter Zeit gehäuft Patientinnen mit Pilzbefall nach Inhalation von Glukokortikoiden wie Budesonid im Mund-Rachen-Raum gesehen. Mir hat die Diskussion vor Augen geführt, wie wichtig es ist, Studien nicht einseitig zu betrachten, sondern auch Erfahrungen aus dem Alltag miteinfließen zu lassen – und letztlich nach einer individuellen Lösung für den betroffenen Patienten zu suchen.
Am Dienstag machte ich einen Ausflug in die Praxis nach Grafenau und arbeitete dort erstmals mit Sascha zusammen. Für mich war es eine bereichernde Erfahrung, da Sascha vor seinem Medizinstudium bereits Psychologie studiert hat und entsprechend viel Wert auf eine gute Gesprächsführung legt. Hier konnte ich mir ein paar Tricks abschauen.
Außerdem sahen wir täglich mehrere Patient*innen in der Praxis, an denen ich meine Ultraschallkenntnisse vertiefen konnte. Ich merke, dass ich im Vergleich zur ersten Woche schon Fortschritte gemacht habe und ich Schritt für Schritt die Schnittebenen des Ultraschallbildes besser auf die Körperebene übertragen kann – aber ich merke auch, dass ich noch viel üben kann :-).
Nach der ereignisreichen Woche freue ich mich auf das Wochenende und bin gespannt, was mich in der kommenden Woche erwartet.
Woche 5: 14.6. – 20.6.2021
Mittwochabend, Journal Club: Diese Woche sind auch Ärzt*innen aus anderen Praxen mit dabei. Gemeinsam diskutieren wir über 5 verschiedene Studien: Welche Vor- und Nachteile hat es, bei Kindern mit rezidivierenden Mittelohrentzündungen ein Paukenröhrchen einzusetzen? Genügt es, bei Menschen mit leichter ambulanter Lungenentzündung nur 3 Tage lang ein Antibiotikum zu geben? Und was können wir aus Studien über die Betreuung von Demenzkranken und ihren Angehörigen lernen? Wie schon in der vergangenen Woche empfinde ich die Diskussion, die sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch Alltagserfahrungen aus der Praxis miteinbezieht, als sehr bereichernd. Ich hoffe, dass ich einen so lebendigen Austausch über Studien und Erfahrungen auch in mein zukünftiges Arbeitsleben mitnehmen kann…
Am Dienstag in der Mittagspause treffen wir uns mit allen ÄrztInnen, die sich Zeit nehmen können, um den Abschied der Assistenzärztinnen Svenja Nitsche und Sarah Moschko zu feiern. Für mich ist es schön, zu sehen, mit wie viel Elan und Empathie alle dabei sind – aber ich kann mir auch gut vorstellen, dass es für Svenja und Sarah nicht leicht ist, das nette und engagierte Team nach über einem Jahr intensiver Zusammenarbeit wieder zu verlassen…
In der Praxis sehe ich diese Woche eine Patientin besonders häufig: Sie hat Chemotherapie wegen Brustkrebs erhalten. Leider hat die Therapie auch ihre Fingernägel und die Nagelhaut sehr stark angegriffen, sodass sie brüchig und rissig geworden sind – die perfekte Eintrittspforte für Bakterien. An mehreren Fingern haben sich so schmerzhafte eitrige Abszesse gebildet, die wir spalten. Sie tut mir sehr leid, denn kaum hat sich die Situation am einen Finger gebessert, bekommt sie ein Problem mit dem anderen. Gegen Ende der Woche hat ist die Entzündung schon deutlich zurückgegangen und ich wünsche ihr, dass es so bleibt. Das Beispiel dieser Frau führt mir vor Augen, wie vielfältig die Auswirkungen von Chemotherapie sein können: Ich glaube, die meisten von uns denken bei einer solchen Therapie als erstes an Übelkeit und Erbrechen, die die Lebensqualität stark einschränken können; oder an die Angst, was passieren könnte, wenn die Therapie doch nicht anschlägt und man früher verstirbt, als man sich gewünscht hat. Aber es gibt eben auch die „alltäglichen“ Auswirkungen wie empfindliche Haut und Entzündungen an sensiblen Stellen, die die Lebensqualität massiv einschränken können.
Neben der Arbeit mit den Akutpatienten geht auch das Impfen immer weiter. Ich finde es sehr schön, dass die Praxis sich dazu entschlossen hat, die weltweite Impfaktion von Unicef mit Spenden zu unterstützen. Auch unsere Patient*innen machen wir auf die Spendenaktion aufmerksam und haben einen Spendenkasten in der Praxis aufgestellt. Während meiner Zeit in Freiburg war ich im Bereich Planetary Health und Global Health aktiv und finde es sehr wichtig, dass wir uns im Gesundheitswesen unserer Verantwortung für die Gesundheit der ganzen Menschheit bewusst sind. Dazu gehört aus meiner Sicht, dass wir Strukturen unterstützten, die versuchen, eine menschenwürdige medizinische Versorgung in Ländern sicherzustellen, die über weniger finanzielle und personelle Ressourcen verfügen als wir.
Woche 6: 21.6. – 27.6.2021
Irgendwo im Wald ist ein Mann am späten Abend gestürzt und benötigt unsere Hilfe. Mehr erfahren wir erstmal nicht. Anton hat mich diese Woche nach der Sprechstunde zum Notarztfahren mitgenommen, sodass ich life miterleben kann, wie Ersteinschätzung und Erstversorgung eines Patienten in Notfallsituationen funktionieren. Am Unfallort angekommen finden wir einen älteren Herrn vor, der am Wegesrand auf dem Boden liegt. Atmung und Kreislauf scheinen stabil zu sein, allerdings äußert er sich verbal eher wirr. Während die Rettungssanitäter ein Stiffneck anlegen, um die Halswirbelsäule zu stabilisieren, und den Patienten auf eine Schaufeltrage aufladen, überlege ich mir, was hier das vordringlichste Problem ist: Spritzende Blutungen hat der Pat. keine, er atmet regelmäßig und ist rosig – also schonmal kein gravierendes ABC-Problem, das ist sehr gut. Aber warum genau ist er gestürzt? Und weshalb kann er sich nicht adäquat äußern – ist das eine Unfallfolge oder hat es etwas mit der Sturzursache zu tun? Zerebrale Durchblutungsstörungen, Herzrhythmusstörungen, Elektrolytentgleisungen oder einfach Unachtsamkeit…es gibt zig Möglichkeiten, wie er in diesen Zustand geraten sein kann. Von seinen beiden Kumpanen erfahren wir nach mehrmaligem Nachfragen, dass sie „vielleicht“ „unter Umständen“ doch ein bisschen Alkohol konsumiert haben könnten. Also doch eine Alkoholintoxikation? Tatsächlich wird der Patient mittels der Infusion, die wir ihm mittlerweile angehängt haben, deutlich bewusstseinsklarer. Da wir vor Ort weiter nichts für ihn tun können, nehmen wir ihn zur Überwachung und weiteren Abklärung in die Klinik mit.
Für mich sind der Abend und die Nacht sehr lehrreich, weil ich bislang keine Rettungsdiensterfahrungen habe und ich viel über die Ausstattung des NEFs sowie die praktischen Handlungsmöglichkeiten vor Ort lerne. Insgesamt haben wir drei Einsätze. Allerdings merke ich am nächsten Tag in der Praxis, dass es mir nach einer Nacht mit nur sehr wenigen Stunden Schlaf nicht ganz leicht fällt, die Konzentration aufrecht zu erhalten. Glücklicherweise kann ich mir den Nachmittag zur Erholung frei nehmen ;-).
Am Wochenende zuvor war ich mit meiner Mit-PJ-lerin Sofia wandern: Da es ihr letztes Wochenende im Bayerischen Wald war, wollten wir unbedingt gemeinsam den Rachel besteigen, auch wenn das Thermometer mehr als 30° anzeigte. Tatsächlich gestaltete sich der Aufstieg in der Hitze durchaus anstrengend, der Ausblick entschädigte uns aber für unsere Mühen.
An theoretischen Kapiteln hatte ich mir für diese Woche Gastritis, Gicht und Asthmatherapie vorgenommen. Nachdem ich nun schon seit sechs Wochen täglich in der Patientenbetreuung bin, empfinde ich es als bereichernd, Artikel und Zusammenfassungen zu den häufigsten Beratungsanlässen in der Allgemeinmedizinischen Praxis durchzulesen, um die praktischen Handlungsweisen durch theoretisches Wissen zu untermauern. Das Log-Buch meiner Heimatuni Freiburg bietet mir hierfür eine sehr gute Leitschnur.
Am Wochenende bekomme ich Besuch von einer Freundin und wir erkunden gemeinsam die Gegend.
Woche 7: 28.6. – 4.7.2021
Auch in dieser Woche kann ich Anton auf seinen Notarztdienst begleiten. Für mich ist es sehr bereichernd, neben der Praxisarbeit diesen Bereich der Medizin kennenzulernen: Denn während wir uns in der Praxis vorwiegend mit subakuten oder chronischen Beschwerden von Patienten befassen, sind wir hier mit akuten Problemen konfrontiert, die einer sehr schnellen Behandlung bedürfen. Außerdem liegen uns in der Regel keine Vorbefunde vor, sodass wir in der Akutsituation mithilfe von Nachfragen und Untersuchungen die wichtigsten Informationen gewinnen müssen. Die Denk- und Handlungsweisen unterscheiden sich damit sehr von denen im Praxisalltag, sind aber sicherlich genauso wichtig…
In der Praxis sehe ich diese Woche mehrere Patient*innen mit Hautläsionen: Ein Patient präsentiert sich mit den klassischen Symptomen einer Gürtelrose, eine Patientin kommt mit Skabies (Krätze) und eine dritte Patientin mit rezidivierenden Episoden von Lippenherpes. Passend dazu habe ich am Mittwochnachmittag ein Seminar über Hauterkrankungen von der Uni Jena, das für mich sehr lehrreich ist. Wir besprechen dort die häufigsten dermatologischen Krankheitsbilder wie Erysipel, Nagelpilz, Krätze, Gürtelrose, Neurodermitis, Rosazea und Naevuszellen. Der Dozent möchte uns dafür sensibilisieren, dass wir uns die Hauterscheinungen der Patient*innen gründlich ansehen und beschreiben – denn das sei der erste Schritt zur richtigen Diagnose und Therapie. Da hat er sicherlich recht…Wir diskutieren darüber, in welchen Fällen eine Cortisontherapie Sinn macht und wann eher nicht, wann Antibiotika, Antimykotika (Antipilzmittel) oder Virostatika angebracht sind usw. Die 1,5h Seminar vergehen wie im Nu und ich bin sehr angetan davon, wie kurzweilig Dermatologie sein kann, wenn man einen motivierten und engagierten Dozenten hat ;-).
Das Wochenende verbringe ich bei meiner Familie in Ulm.
Woche 8: 5.7. – 11.7.2021
Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Interessenverlust – bei den typischen Symptomen, die wir an einem depressiven Patienten erkennen können, sind wir uns schnell einig. Aber welche Auslöser müssen wir neben den typischen psychischen beachten? Wir sammeln Schilddrüsenunterfunktion, Anämie, Demenz, Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Multiple Sklerose, die Einnahme bestimmter Medikamente und noch einige weitere. Außerdem finden wir es wichtig, Patient*innen mit depressiver Symptomatik nach Suizidgedanken zu fragen – denn man sieht den Betroffenen oft nicht an der Nasenspitze an, wie schwer sie von ihren negativen Gedanken und Gefühlen geplagt werden; Studien zeigen, dass die meisten Patient*innen mit Selbstmordgedanken erleichtert sind, wenn sie darauf angesprochen werden. Therapeutisch sehen wir den größten Nutzen in nicht-medikamentösen Maßnahmen wie der Pflege sozialer Kontakte, sportlicher Aktivität (vor allem im Freien), sowie eines regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus. Der Nutzen von antidepressiven Medikamenten ist umstritten, insbesondere bei leichter bis mittelschwerer Ausprägung der Erkrankung. Dennoch finde ich es sehr spannend, über dieses Thema zu diskutieren, da ich an der Uni sehr viele verschiedene Antidepressiva kennengelernt und mich öfters gefragt habe, mit welchem der vielen Präparate ich denn nun bei Notwendigkeit und Patientenwunsch anfangen könnte. Dass die meisten Ärzt*innen, die hier in der Praxis tätig sind, auch nur mit zwei verschiedenen Präparaten arbeiten, und bei Therapieresistenz an den Psychiater verweisen, beruhigt mich in dieser Hinsicht.
Diese Woche empfinde ich die Montagsfortbildung als besonders hilfreich, da sich in der Hausarztpraxis sehr häufig Patient*innen mit depressiver Symptomatik vorstellen und ich es sehr wichtig finde, bei diesem sensiblen Thema von Gedanken und Erfahrungen der ÄrztInnen zu erfahren.
Den Rest der Woche verbringe ich in der Praxis in Lalling, wo ich mit Dora und einen Tag mit Sabine zusammenarbeite. Zwei Patient*innen bleiben mir dabei besonders im Gedächtnis: Gegen Ende der Woche stellt sich eine Frau mittleren Alters vor, die in den letzten Monaten mit Schlafstörungen, Gewichtsverlust und innerer Unruhe gekämpft hat und selbst davon überzeugt ist, dass ihre Beschwerden eher psychosomatisch bedingt seien, da sie in den letzten Monaten viel Stress gehabt habe. Wir sprechen über die psychische Belastung, machen aber trotzdem auch eine organische Untersuchung – und siehe da, wir finde eine manifeste Schilddrüsenüberfunktion. Ich bin gespannt, wie sich die Symptome der Frau entwickeln, wenn wir diese behandelt haben.
Eine andere Patientin stellt sich mit anhaltender Abgeschlagenheit nach fieberhaftem Infekt vor. Auch bei ihr nehmen wir Blut ab und müssen feststellen, dass sie deutlich erhöhte Leberwerte hat. Das Telephonat mit der Patientin ergibt, dass diese bislang nicht bekannt gewesen seien (da sie neu bei uns ist, liegen uns keine Vorwerte vor). Auch bei ihr bin ich gespannt, was die weitere Diagnostik erbringt, und hoffe, dass wir ihr mit den gewonnen Erkenntnissen weiterhelfen können.
Die Woche war für mich sehr interessant und lehrreich, aber auch sehr anstrengend, sodass ich mich freue, übers Wochenende eine Freundin zu Besuch zu haben und gemeinsam mit ihr Passau erkunden zu können.
Woche 9: 12.7. – 18.7.2021
Nahtübungen an Schweinefüßen, PatientInnen mit Bauchschmerzen sowie mehrere interessante Fälle beim Notarztfahren – meine 9. Woche im Bayerischen Wald war wieder sehr lehr- und abwechslungsreich.
Am Montag bringe ich Schweinefüße in die Praxis mit, sodass Anton mir in einer ruhigen Minute Donati-, Allgöwer- und Intrakutannaht beibringen kann. Da ich bislang wenig chirurgische Erfahrungen habe, bin ich sehr froh, die Nahttechniken erst einmal an den schmerzunempfindlichen Füßen verstorbener Lebewesen üben zu können, bevor ich mich an lebendige Menschen wage ;-). Da wir hier in der Praxis regelmäßig PatientInnen mit Platzwunden sehen oder nach Muttermalentfernung die Wunde wieder zunähen müssen, finde ich es wichtig, auch als Allgemeinmedizinerin sicher nähen zu können.
In der Mittagspause unternehmen wir eine große Hausbesuchstour zu unseren PatientInnen. Einige von ihnen kenne ich bereits von früheren Hausbesuchen und kann so beobachten, wie sich ihre Ödeme, die depressive Symptomatik oder die kognitive Leistungsfähigkeit seit dem letzten Mal verändert haben. Natürlich sehen wir nur punktuelle Eindrücke – allerdings sind oft die Kinder oder andere Familienangehörige vor Ort, die uns zusätzliche Informationen über den Verlauf liefern können. Für mich ist es in jedem Fall interessant, zu sehen, wie sich die PatientInnen mit ihren unterschiedlichen Leiden und Gebrechlichkeiten zu Hause eingerichtet haben und zurecht kommen.
Am Mittwochabend ist wieder der praxisinterne Journal-Club: Hier diskutieren wir lange über die aktuellen Diabetes-Leitlinien der DEGAM, aber auch über den Nutzen von Eisensubstitution bei PatientInnen mit chronischer Müdigkeit (Chronic Fatigue Syndrom) und unruhigen Beinen (Restless Legs). Auch über den möglichen Nutzen von E-Zigaretten zur Raucherentwöhnung diskutieren wir kontrovers. Obwohl ich nach einem langen Arbeitstag sehr müde bin, bin ich froh, dass wir uns die Zeit nehmen, über aktuelle Studien zu sprechen: Diese Auseinandersetzung ermöglicht uns, immer wieder unsere Handlungsweisen in der Praxis zu hinterfragen und die Therapie unserer PatientInnen an den aktuellen wissenschaftlichen Stand anzupassen.
Am Donnerstag und Freitag springe ich in der Praxis in Lalling ein, weil hier gerade sehr viel zu tun ist: Mir bereitet die Arbeit sehr viel Freude, weil ich das Gefühl habe, wirklich gebraucht zu werden. Ich habe die Möglichkeit, viel zu sonographieren, weil sich einige Patienten mit unklaren Bauchschmerzen präsentieren und ein paar Patientinnen zur Abklärung ihrer Schilddrüse kommen. Tatsächlich entdecke ich so eine Struma multinodosa bei einer Patientin, die bislang noch nicht bekannt war. Außerdem sehe ich einige Patienten wieder, die ich bereits von der vergangen Woche in Lalling kenne: So hatten wie vergangenen Freitag einen Patienten mit Verdacht auf Erysipel in die Klinik eingewiesen. Nun stellt er sich wieder vor – tatsächlich ist die Rötung an seinem Unterschenkel unter der Anitbiose deutlich zurückgegangen und er gibt auch an, die Schmerzen hätten sich deutlich gebessert. Das hört man doch gerne :-). Die beiden Tage in Lalling vergehen wie im Fluge und ich kann einiges mitnehmen.
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag begleite ich Anton wieder zum Notarztfahren: Dieses Mal haben wir fünf Einsätze, u.a. eine Patientin, die nach einem Fahrradsturz stärkste Schmerzen im linken Oberarm hat und sich augenscheinlich eine Oberarmfraktur zugezogen hat. Wir spritzen ihr Schmerzmittel, schienen ihren Oberarm und transportieren sie in die nächste Klinik. Als nächstes fahren wir zu einem Patienten, der bei bekanntem Asthma einen akuten Anfall hat. Ihm geben wir Bronchiodilatatoren zum Inhalieren und Kortison i.v. – darunter bessert sich seine subjektive Atemnot sehr schnell und auch die Sauerstoffsättung steigt wieder an. Am beeindruckendsten ist für mich die Patientin, zu der wir in den frühen Morgenstunden gerufen werden: Sie hat einen generalisierten Krampfanfall, der leider auch noch nicht sistiert hat, als wir eintreffen. Von den Angehörigen erfahren wir, dass die Patientin vor einigen Jahren bereits eine Hirnblutung gehabt hätte. Allerdings leidet sie auch Vorhofflimmern, weshalb sie trotzdem Blutverdünner nimmt. Gekrampft habe sie vorher noch nie. Wir versuchen, den Krampfanfall mit einem Benzodiazepin zu lösen und nehmen die Patientin in die Klinik nach Passau mit. Unterwegs entwickelt sie eine deutliche Pupillendifferenz – ein Hinweis auf eine Hirnblutung. Ich wünsche der Patientin, dass es ihr bald wieder besser gehen wird. Für mich war es trotzdem sehr lehrreich, weil ich bislang noch nie eine Patientin im akuten Krampfanfall gesehen habe und auch zum ersten Mal eine echte Pupillendifferenz festgestellt habe.
Nach der ereignisreichen Woche und dem Schlafdefizit von Donnerstag auf Freitag bin ich aber auch froh, dass das Wochenende vor der Tür steht: Ich versuche, etwas Schlaf nachzuholen, gehe in der Umgebung von Regen spazieren, telephoniere mit einigen Studienfreundinnen und gehe schwimmen.
Woche 10: 19.7. – 25.7.2021
Kirchberg, Lalling, Auerbach – diese Woche rotiere ich zwischen den verschiedenen Praxen, abhängig davon, wo ich gerade am meisten gebraucht werde. Am Montag ist nur ein Arzt statt der ursprünglich zwei geplanten in Kirchberg, sodass sehr viele Patient*innen auf Dr. Blank und mich warten. Das bedeutet, dass wir sehr zügig arbeiten, dennoch aber die wesentlichen Punkte nicht vergessen dürfen. Auch wenn es sehr stressig ist, bereitet es mir Freude, zumal ich heute sehe, dass ich in den vergangenen Wochen gelernt habe, im Zweifelsfall zeiteffizient zu arbeiten. Nachmittags ist etwas weniger los, sodass ich die Möglichkeit habe, einen Patienten, der zur Vorsorgeuntersuchung kommt, ausführlich mit dem Ultraschall zu untersuchen. Außerdem stellen sich einige Kinder und Jugendliche mit akuten Beschwerden vor – für mich ebenfalls interessant, da ich hier bislang nur wenige sehr junge Patient*innen gesehen habe. Glücklicherweise kann ich hier auf ein paar Vorkenntnisse aus einer Famulatur in der Kinderarztpraxis und meinem Nebenjob in der Kindernotaufnahme zurückgreifen.
Am Mittwochvormittag begleite ich unsere Diabetesfachkraft Petra in der Sprechstunde: Wir messen den Blutzucker bei unseren Patient*innen, besprechen die langfristigen Ziele der Diabetestherapie und stellen hier und da die Insulintherapie etwas um. Ein Highlight für mich ist, dass ich bei einer Patientin auch die Ernährungsberatung miterleben darf. Aus meiner Sicht stellen Ernährung und Bewegung die Basis der Diabetestherapie dar – Studien zeigen, dass sich hierdurch ein beginnender Typ II-Diabetes sogar komplett heilen lässt und in fortgeschrittenen Stadien zumindest Medikamente eingespart werden können. Leider fehlt uns (angehenden) Ärztinnen in der Sprechstunde aber häufig die Zeit dafür, intensiv auf das Thema Ernährungsumstellung einzugehen. Daher empfinde ich es als sehr bereichernd, eine Fachkraft wie Petra zur Seite zu haben!
Dienstag-, Donnerstag- und Freitagvormittag verbringe ich in Lalling. Im Gedächtnis bleibt mir vor allem eine junge Patientin Ende 20, die hier im Urlaub ist. Sie hat eine vorbestehende Lungenerkrankung, wobei bislang nicht ganz geklärt ist, ob sie an einer Mukoviszidose oder an einer schweren Form von Asthma leidet, da der Schweißtest auf Mukoviszidose bei ihr grenzwertig ausfiel und sie bislang auf eine genetische Untersuchung verzichtet hat. Sie benötigt Bronchiodilatatoren zum Inhalieren, systemisches Kortison und nächtliche Beatmung als Dauertherapie, um eine ausreichende Lungenfunktion zu erreichen. Zusätzlich führt sie eine Atemtherapie durch. Die zahlreichen Medikamente, die sie nehmen muss, haben ihre Nieren geschwächt, außerdem hat sie durch die langjährige Kortisoneinnahme einen Diabetes Typ III (medikamenteninduziert) entwickelt. Kurz, trotz ihres junges Alters trägt sie schon einen ganzes Sammelsurium an körperlichen Beschwerden mit sich herum. Trotzdem hat sie eine sehr positive Ausstrahlung, lächelt mich an und sagt „Ich versuche einfach, das Beste daraus zu machen. Etwas anderes bleibt mir ja sowieso nicht übrig.“ Ich habe großen Respekt vor ihrer Stärke. Zu uns ist sie gekommen, weil sie seit zwei Tagen gelblichen Auswurf beim Husten hat, außerdem habe ihr Urin sich rötlich verfärbt. Sie sei müder als sonst, Fieber habe sie nicht. Ich untersuche sie körperlich, schaue mir Nieren und Harnblase im Ultraschall an und lasse Blut mit Entzündungsparametern abnehmen. In Absprache mit Fr. Dr. Takacs erhöhen wir zunächst die Kortisondosis, und vereinbaren mit der Patientin, dass wir sie morgen nochmals telephonisch kontaktieren und sie sich bitte bei jeder Verschlechterung ihres Gesundheitszustands sofort in der Klinik vorstellen soll. Glücklicherweise stellt sich tags darauf heraus, dass die Entzündungswerte im Blut nicht erhöht sind und es der Patientin zumindest etwas besser geht. Sie möchte sich in der kommenden Woche bei ihrem angestammten Lungenfacharzt in der Heimat vorstellen, um der Ursache ihres Leidens auf den Grund zu gehen. Ich bin schon sehr gespannt, was dabei herauskommt, und wünsche ihr, dass es ihr bald wieder besser geht…
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag begleite ich Anton wieder auf seine Notarztfahrt. Dieses Mal bekommen wir es unter anderem mit einer Frau Mitte 40 zu tun, die von ihrem Sohn nicht ansprechbar im Wohnzimmer aufgefunden worden ist. Glücklicherweise atmet sie spontan und ihr Puls ist regelmäßig. Aber die Augen öffnet sie nur auf Schmerzreiz und adäquat äußern kann sie sich definitiv nicht. Schwierig zu sagen, woher dieser Zustand rührt… An Medikamenten nehme sie nur etwas für die Schilddrüse, erfahren wir vom Ehemann, und dass Alkohol oder Drogen im Spiel sind, glaubt er eher nicht. Nur, dass sie in den letzten Tagen so starke Bauchschmerzen gehabt habe, erwähnt er noch. Der Bodycheck ergibt erstmal keine Auffälligkeiten, also nehmen wir sie mit in die Klinik. Zum Glück klart sie unter der Infusion von Ringerlösung etwas auf und reagiert zumindest auf einfache Fragen wie „Haben Sie Schmerzen?“ oder „Wie geht es Ihnen?“ mit einzelnen Worten. Das ist ein erstes gutes Zeichen…Ein Anruf in der Klinik am nächsten Tag ergibt, dass glücklicherweise in der CT-Untersuchung des Schädels keine Hinweise auf eine Blutung oder andere Störung des Gehirns gefunden wurden. Stattdessen gehen die Ärzte in der Klinik von einer Elektrolytentgleisung aus. Die lässt sich zum Glück gut beheben…
Am Freitagnachmittag helfe ich Dr. Blank beim Impfen in Kirchberg. Ich bin froh, dass wir hier in der Praxis viele Impfungen gegen das Coronavirus durchführen und damit dazu beitragen, dass immer mehr Menschen gegen eine schwere Verlaufsform von Corona immunisiert werden. In ein paar ruhigen Minuten zwischen den Impfungen setzen wir uns zusammen und sprechen ein bisschen darüber, was ich in meine nächsten Tertiale und meine zukünftige Arbeit als Ärztin mitnehmen möchte. Etwas wehmütig werde ich schon bei dem Gedanken, dass ich in sechs Wochen den Bayerischen Wald schon wieder verlassen und zu neuen Ufern aufbrechen muss – andererseits: Das sind 42 Tage, in denen ich sicherlich noch vieles erleben werde 😉 – und auch danach warten sicherlich interessante Erfahrungen auf mich!
Am Wochenende gehe ich zunächst eine Freundin Regensburg besuchen, bevor ich zwei Famulantinnen in Empfang nehme, die die kommenden vier Wochen hier verbringen werden. Ich bin schon gespannt, was wir gemeinsam erleben werden .
Woche 11: 26.7. – 1.8.2021
Geriatrisches Basisassessment, psychisch beeinträchtigte Patientinnen und eine Sigmadivertikulitis – meine 11. Woche im Bayerischen Wald ist wieder sehr vielfältig.
Am Montag begleite ich Dr. Sujova in Lalling und habe hier mehrmals die Möglichkeit, einen kursorischen psychopathologischen Befund zu erheben, da sich einige Patientinnen mit Angststörungen und Depression vorstellen. Für mich ist das sehr interessant, weil ich abgesehen vom Blockpraktikum nie in der Psychiatrie hospitiert habe. Für eine Patientin bereite ich gemeinsam mit einer MFA den Antrag auf eine psychosomatische Reha vor, da sie den Wunsch hierzu bereits vor einigen Wochen geäußert hat, und nun bereit ist, die Therapie konkret anzugehen.
Am Dienstagvormittag begleite ich Waltraud Mader bei ihrer Arbeit: Sie kümmert sich in der Praxis um die Versorgung der geriatrischen, d.h. der älteren Patient*innen, und eruiert, inwieweit sie Unterstützung bei der Verrichtung ihrer täglichen Aufgaben benötigen. Wir erkundigen uns anhand eines Fragebogens bei den Patientinnen und ihren Begleitern, ob sie sich ihren alltäglichen Aufgaben wie Ankleiden, Essen und Treppensteigen noch gewachsen fühlen. Mit kurzen Tests wie dem Chair Rise Test, bei dem der Patient fünfmal hintereinander ohne Zuhilfenahme der Arme vom Stuhl aufstehen muss, prüfen wir, wie es um Muskelkraft und Koordination bestellt ist. Eine Patientin bleibt mir dabei besonders im Gedächtnis: Als sie für uns eine Uhr mit Zahlen aufmalen soll, bricht sie nach kurzer Zeit in Tränen aus. Sie merkt, dass sie dieser scheinbar einfachen Aufgabe nicht mehr gewachsen ist, und leidet selbst sehr stark darunter. Ich versuche, sie ein wenig zu trösten. Dennoch bleibt bei mir der Gedanke hängen, wie frustrierend es sein muss, im Alter zu merken, wie geistige und körperliche Kräfte Schritt für Schritt nachlassen.
Mittwochabend im Journal Club diskutieren wir über die neuen Leitlinien der Diabetestherapie, Vor- und Nachteile der E-Zigarette bei der Rauchentwöhnung und Eisensubstitutionstherapie beim sog. Restless-Legs-Syndrom. Intern haben wir diese Themen bereits vor zwei Wochen durchgesprochen, und so kann ich einer Famulantin, die die Zoom-Sitzung gemeinsam mit mir verfolgt, nebenbei noch ein paar Erkenntnisse aus unserer Diskussion von voriger Woche mitgeben.
Generell ist diese Woche in der Studentenwohnung in Kirchberg sehr viel Leben eingekehrt: Zwei Famulantinnen und eine Blockpraktikantin sind neu angereist, sodass wir viele Möglichkeiten haben, uns über die Arbeit in der Praxis auszutauschen und die Freizeit miteinander zu verbringen. Mit den beiden Famulantinnen führe ich Gespräche darüber, mit welchen Vorstellungen und Erwartungen sie hierher gekommen sind. Für mich ist es bereichernd, weil mich die Gespräche dazu anregen, auch nochmals über meine eigene Ziele im PJ nachzudenken.
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag begleite ich Dr. Kalmancai auf seinen Notarztdienst. Für mich sind diese wöchentlichen Ausflüge auf die Wache mittlerweile fester Bestandteil meiner Arbeitswoche geworden und ich gehe gerne hin, auch wenn ich die Müdigkeit in den Tagen danach meist noch spüre…In dieser Nacht treffen wir unter anderem auf einen Patienten mit einer entgleisten Herzinsuffizienz: der Pat. atmet mit Mühe, als wir eintreffen, und hat sehr ausgeprägte Beinödeme. Die Angehörigen berichten uns von einer vorbestehenden Herz- und Niereninsuffizienz – auch, dass der Patient erst vor 3d wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden sei. Leider müssen wir ihn nun schon wieder in die Klinik mitnehmen. Später erfahren wir, dass er beidseits deutliche Pleuraergüsse gehabt habe, die ihm das Atmen erschwert haben.
Am Freitagnachmittag arbeite ich mit Dr. Blank in Kirchberg zusammen: Von Kontrolluntersuchungen nach Sprunggelenksfraktur, Hautveränderungen (Röschenflechte) über Muskelschmerzen ist alles dabei. Spannend ist für mich eine ältere Dame, die sich mit linksseitigen Unterbauchschmerzen seit 2d vorstellt. Sie habe ein starkes Druckgefühl, meint sie. Bei der Untersuchung stelle ich schnell fest, dass sie tatsächlich einen deutlichen Druckschmerz im linken Unterbauch verspürt, und stelle in Kombination mit ihren Stuhlunregelmäßigkeiten die Verdachtsdiagnose einer Sigmadivertikulitis. Gemeinsam mit Dr. Blank führe ich noch eine Ultraschalluntersuchung durch, wo wir tatsächlich verdickte und entzündete Darmschlingen erkennen können. Wir klären die Patientin über das Krankheitsbild auf und bitten sie, sich in den nächsten Tagen zu schonen, die Schmerzen symptomatisch zu bekämpfen und eher leichte Kost zu sich zu nehmen. Außerdem geben wir ihr ein Stand-By-Rezept für Antibiotika mit, für den Fall, dass sie am Wochenende doch Fieber und Schüttelfrost entwickeln sollte. Schön, dass man auch in diesem Fall wieder abwarten kann, und nicht sofort die Antibiose geben muss!
Woche 12 + 13: 2.8. – 15.8.2021
Langsam, aber sicher neigt sich mein PJ-Tertial im Bayerischen Wald dem Ende zu – und ich schwanke oft zwischen der Traurigkeit, die Praxis und all die liebgewonnen Menschen bald zurücklassen zu müssen, und der Freude auf das, was danach kommt.
Da ich etwas krank bin und mir die Erschöpfung in den Knochen steckt, gönne ich mir ein paar freie Tage, in denen ich auf ausgedehnten Spaziergängen und bei Kreativen Arbeiten neue Kraft schöpfe. So interessant und abwechslungsreich die Arbeit mit den anderen Ärzt*innen, MFAs und Student*innen in der Praxis auch ist – ebenso kräftezehrend ist es, von der Praxis zur Fallbesprechung, zum Reflexionsgespräch mit den Famulantinnen und wieder zurück in die Praxis zu eilen. Da tut etwas Erholung sehr gut!
In der Praxis selbst erlebe ich an meinen Arbeitstagen wieder eine Mischung aus Patient*innen mit Bauchschmerzen, Rückenschmerzen, Schulterbeschwerden und vielem mehr. Im Gedächtnis bleiben wird mir auf jeden Fall eine Dame Anfang siebzig, die vor wenigen Monaten ihren Mann verloren hat. Sie erzählt mir, dass sie viel mit ihrem Hund draußen spazieren gehe, an einer Gymnastik- und Walkinggruppe teilnehme und einen Computerkurs belege. Als ich sie dafür lobe, dass sie ihr Leben kurz nach dem Verlust ihres Ehemanns so aktiv weitergestaltet, antwortet sie mir „Ich kann ja auch nicht nur zu Hause sitzen und depressiv werden. Für mich geht das Leben weiter.“ Ich bewundere ihre Einstellung.
Im Notarztdienst treffen wir dieses Mal auf eine Frau mittleren Alters, die von Passanten bewusstlos am Bahnhof angetroffen wurde. Leider hat sie keinen Bekannten dabei, der uns weitere Auskunft erteilen könnte. Allerdings finden wir neben ihr eine angefangene Packung von Tavor, einem Beruhigungsmittel. Möglicherweise hat sie sich damit überdosiert? Da wir keine bessere Erklärung finden, bleiben wir zunächst bei dieser Verdachtsdiagnose. Tatsächlich klart sie nach Gabe des Antidots Flumazenil etwas auf. Zur weiteren Überwachung und Versorgung bringen wir sie auf Intensivstation.
Am nächsten Morgen erfahren wir, dass sie in den letzten Tagen mehrmals in verschiedenen Kliniken wegen Intoxikation mit verschiedenen Medikamenten stationär war und multipel psychisch vorerkrankt ist. Leider hat sie sich auch heute bereits wieder selbst entlassen und keiner weiteren Behandlung zugestimmt. In den frühen Morgenstunden holen wir eine weitere junge Patientin aus einer Wohngruppe ab, die sich entweder mit Quetiapin überdosiert hat oder sich einfach nur bewusstlos stellt – so ganz sicher sind wir nach unserer Untersuchung nicht. Ich muss schlucken – was läuft eigentlich in unserer Gesellschaft falsch, dass so viele junge Menschen an psychischen Krankheiten erkranken? Und warum können wir ihnen oft nur unzureichend helfen?
Bevor Dr. Blank sich in den Urlaub verabschiedet, führe ich noch ein Abschlussgespräch mit ihm. Wir sprechen darüber, wie ich die Arbeit in der Praxis erlebt habe und was ich für die Zukunft mitnehme. Außerdem gibt er mir Feedback darüber, wie die anderen Mitarbeiter*innen der Praxis mich erlebt haben. Zuletzt gibt er mir noch ein paar Anregungen für mein weiteres PJ und mein künftiges Leben als Ärztin mit. Ich bin sehr dankbar für dieses Gespräch – natürlich habe ich mir auch meine eigenen Gedanken darüber, wie ich auf meine Mitmenschen wirke, wie ich gegenüber Mitarbeitern und Patient*innen auftrete, sowie welche Haltung ich für die Zukunft mitnehme. Aber es tut doch gut, dies ab und zu von außen gespiegelt zu bekommen und die ein oder andere Anregung oder Bestätigung zu erhalten.
Das WG-Leben in der Studentenwohnung ist weiterhin sehr lebhaft. Ich empfinde es als bereichernd, mich mit den anderen Studierenden auszutauschen, wie sie die Arbeit in der Praxis erleben. So starte ich in ein – hoffentlich – entspanntes Wochenende mit den anderen und freue mich auf meine letzten drei Wochen in der Praxis!
Woche 14: 16.8. – 22.8.2021
„Mir ist oft so schwindelig.“, höre ich diese Woche von mehreren Patient*innen. „Können Sie mir genauer beschreiben, wie sich der Schwindel anfühlt? Möglichst, ohne das Wort Schwindel zu verwenden? Und in welchen Situationen tritt er auf?“ Mit diesen Fragen versuche ich, mir ein genaueres Bild zu verschaffen, woher der Schwindel rühren könnte. Unter Schwindel versteht nämlich jeder Patient etwas anderes – und es gibt zig Möglichkeiten, was ihn auslösen könnte: ein losgelöster Kristall in den Bogengängen unseres Innenohrs, der wichtig für unseren Gleichgewichtssinn ist; ein Problem mit den peripheren Nerven, die zu Gangunsicherheit führen können; ein schlecht eingestellter Blutzucker oder Blutdruck; oder sogar ein Schlaganfall: Es gibt zahlreiche Ursachen, die teils mehr, teils weniger gefährlich sind. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Therapieansätze. Zum Glück kann man mit einer präzisen Anamnese und einigen klinischen Untersuchungen zumindest eingrenzen, in welche Richtung der Schwindel mutmaßlich geht, und eine probatorische Therapie beginnen.
Diese Woche verbringe ich in der Niederlassung in Schöfweg und arbeite mit den Ärzt*innen Dr. Kleudgen, Purmann, Winbauer sowie Bauer zusammen. Für mich ist es schön, nochmal eine andere Praxis intensiver kennenzulernen und mich in die Arbeitsabläufe einzuarbeiten. Neben den genannten Schwindelpatient*innen sehe ich Patienten mit Verletzungen, Blutdruckproblemen und psychischen Beschwerden. Am Montag beispielsweise führe ich ein ausführliches Gespräch mit einem Mann, der tags zuvor von seinem Partner verlassen worden ist, und spürbar unter der Situation leidet. Ich glaube, wir dürfen unsere Rolle als Ärzt*innen in dieser Situation nicht unterschätzen: Es gibt einige Menschen, die keinen stabilen Freundeskreis haben, der sie in dieser Situation auffängt, sodass sie zunächst ihren Hausarzt aufsuchen. Daher biete ich dem Patienten auch an, sich bei Bedarf gegen Ende der Woche nochmals in der Praxis vorzustellen. Außerdem sucht eine ältere Dame mit Schmerzen im linken Fuß die Praxis auf. Ihr Fuß ist deutlich gerötet, glänzt und ist überwärmt: Es ist ein Erysipel wie aus dem Lehrbuch. Dr. Kleudgen und ich verordnen der Patientin ein Antibiotikum, klären sie und ihre Tochter darüber auf, wie wichtig es ist, nun das Bein hochzulagern und zu kühlen, damit sich die Infektion nicht weiter ausbreitet. Außerdem bitten wir die Patientin, am Montag zur Kontrolle nochmals in die Praxis zu kommen. Ein weiterer Patient stellt sich mit Schmerzen im Fuß, genauer gesagt im Großzehengrundgelenk vor: Es ist geschwollen, deutlich gerötet und sehr druckschmerzhaft. Der Patient gibt an, in letzter Zeit viel Stress gehabt zu haben, außerdem seien bei ihm erhöhte Harnsäurewerte bekannt: Der Verdacht eines Gichtanfalls liegt nahe – auch, wenn der Patient noch nie einen hatte. Dr. Kleudgen und ich entscheiden uns unter den verschiedenen Therapiemöglichkeiten dafür, dem Patienten für einige Tage Colchicin zu verschreiben: Wenn sich die Symptome darunter verbessern, ist quasi gesichert, dass der Patient tatsächlich an Gicht leidet.
Nach der abwechslungsreichen Woche in Schöfweg freue ich mich darauf, kommende Woche noch einmal mit dem gleichen Team arbeiten zu dürfen.
Woche 15: 23.8. – 29.8.2021
Hallux valgus, Schneiderballen, Fersensporn – diese Woche scheint die Woche der Fußerkrankungen in Schöfweg zu sein. Ich sehe Patient*innen mit den genannten Krankheiten, außerdem einen Patienten mit ausgeprägtem Nagelpilz an sämtlichen Zehen- und Fingernägeln. Da letzterer den lästigen Pilz gerne loswerden möchte und zu einer langwierigen Therapie bereit ist, verschreiben wir ihm Bifonazol-haltigen Nagellack, den er 1-2 mal wöchentlich auf die betroffenen Nägel auftragen soll, sowie eine Tablette gegen Pilze (Terbinafin), das er täglich einnehmen muss. Leider ist Nagelpilz nämlich sehr hartnäckig: In der Regel reicht keine lokale Therapie mit antimykotischen Cremes aus, sondern sie muss durch die mehrwöchige bis mehrmonatige Einnahme von Tabletten ergänzt werden. Auch dann bleiben langfristig leider nur 8 von 10 Patient*innen frei von den Nagelveränderungen. Zum Glück sind sie nicht gefährlich…
In der Montagsbesprechung kümmern wir uns dieses Mal um das Thema „Erhöhte Leberwerte“. In welchen Fällen können wir erhöhte Transaminasen, gGT oder Bilirubin einfach kontrollieren? Und wann müssen wir der Sache nachgehen und nach Noxen wie Alkohol, Fettleber, Hämochromatose oder Virushepatitiden als Ursprung der erhöhten Leberwerte forschen? Welche Lebererkrankungen sehen wir eher häufig, welche eher selten in der Hausarztpraxis? Das Thema ist sehr spannend, leider aber auch kompliziert: Ich nehme es zum Anlass, nochmal die Folien zu hepatologischen Erkrankungen aus meinen Innere-Vorlesungen durchzugehen. Tatsächlich sehe ich am Freitag in Auerbach einen Patienten, bei dem Dr. Kalmancai aufgrund erhöhter Leberwerte und eines deutlich erhöhten Ferritinspiegels (fast um das 3-fache über dem Normwert) die Verdachtsdiagnose einer Hämochromatose, einer Eisenspeicherkrankheit, gestellt hat. Die endgültige Labordiagnostik steht noch aus, allerdings habe ich die Gelegenheit, eine Ultraschalluntersuchung seiner Leber durchzuführen. Bei Pat. mit Hämochromatose erwartet man ein verdichtetes Leberparenchym und rarefizierte Lebervenen – tatsächlich ist beides bei ihm erkennbar, allerdings auch Anzeichen einer Fettleber: daher lässt sich nicht abschließend beurteilen, welche Veränderungen wohl auf die Einlagerung vermehrten Fettgewebes und welche auf die Eisenüberladung zurückzuführen sind.
In der Notarztschicht treffen wir diese Woche auf eine ältere Dame mit akuter Gastrointestinalblutung. Das kann prinzipiell sehr gefährlich werden, weil manche Menschen so viel Blut verlieren, dass sie kreislaufinstabil werden. Zum Glück ist dies bei unserer Patientin nicht der Fall: Sie ist ansprechbar, Blutdruck sowie Herzfrequenz sind im normalen Bereich, sodass wir sie mit etwas Volumengabe zur Überwachung und weiteren Behandlung in die nächstgelegene Klinik bringen können. Dennoch tut sie mir sehr leid: Sie ist seit 2 Wochen auf Kurzzeitpflege im Seniorenheim und muss jetzt schon wieder den Aufenthaltsort wechseln. Ich fürchte, dass dies für ihre Orientierung und ihr Wohlbefinden eher abträglich ist…
Neben der Arbeit in der Praxis und auf der Wache versuche ich diese Woche noch möglichst viel von der Natur in der Umgebung mitzubekommen: Es ist meine vorletzte Woche im Bayerischen Wald und ich habe keine Ahnung, wann ich wieder hierher kommen werde.
Woche 16: 30.8. – 5.9.2021
Herzrhythmusstörungen, unerklärliche nächtliche Unterarmschmerzen, letzte Spaziergänge an liebgewonnenen Orten und Abschiede von verschiedenen Menschen – meine letzte Woche im Bayerischen Wald gestaltete sich persönlich wie fachlich sehr vielfältig.
In der Sprechstunde bereitet uns ein junger Mann viel Kopfzerbrechen, der seit ca. einem Jahr an nächtlichen Schmerzen des rechten Unterarms leidet. Er berichtet uns, dass er nachts immer wieder davon aufwache, dass seine Unterarmmuskulatur sich „komisch“ anfühle, so, als sei sie verkürzt. Wenn er morgens aufstehe, brauche er erst einige Minuten, bis er Ellbogen-, Hand- und Fingergelenke vollständig durchstrecken könne. Tagsüber habe er keine Probleme. Auch könne er keine Abhängigkeit der Beschwerden von körperlicher Belastung feststellen. Eben jener Patient stellte sich bereits ganz zu Beginn meiner Zeit hier in der Praxis vor. Damals veranlassten wir eine neurologische sowie eine orthopädische Abklärung, auch eine Bildgebung der Weichteilgewebe erfolgte. Bislang leider ohne bahnbrechenden Erfolg. Mithilfe der anderen Ärzt*innen sammle ich in der Fallbesprechung einige Ideen, was wir zur weiteren Diagnostik und probatorischen Therapie des Patienten tun können: Wir einigen uns auf eine Labordiagnostik, um verschiedenen organische Erkrankungen auszuschließen, eine Zweitmeinung beim Orthopäden sowie eine probatorische Therapie mit Cortison über 5 Tage. Auch über eine rheumatologische Abklärung im Verlauf denken wir nach. Ich wünsche dem Patienten, dass wir noch eine Lösung für seine Beschwerden finden, unter denen er sichtlich leidet, und bin gespannt, was sich am Ende als Ursache herausstellen wird…
Nachdem ich in den letzten Wochen vorwiegend Normalbefunde im EKG gesehen habe, sehe ich diese Woche erstaunlich viele Blockbilder: Vom AV-Block bis °IIb über kompletten Rechts- und Linksschenkelblock ist alles dabei. Glücklicherweise geht es unseren Patient*innen damit erstaunlich gut, sodass wir sie nach Rücksprache mit unserem Internisten Roman Machac erstmal nach Hause schicken können und eine zeitnahe kardiologische Diagnostik angestrebt wird.
Persönlich ist die Woche nicht ganz einfach für mich: Nachdem ich mich vergangene Woche bereits von den Mitarbeitern auf der Wache verabschiedet habe, muss ich nun diese Woche von den MFAs, Azubis und Ärzt*innen der verschiedenen Praxen Abschied nehmen. Nach 16 Wochen im Bayerischen Wald und einer teils sehr intensiven Zusammenarbeit fällt mir das nicht ganz leicht. Einige davon sind mir über die Zeit sehr ans Herz gewachsen. Dennoch: Ich freue mich auch auf die kommende Zeit im Schwarzwald und darauf, meine Studienfreunde wieder häufiger sehen zu können.
Ein ganz herzliches Dankeschön an dieser Stelle nochmal an alle Mitarbeiter*innen der Praxis, die dafür gesorgt haben, dass meine Zeit hier so schön und abwechslungsreich war :-)! Ihr wart klasse und ich hoffe, ihr werdet mit den künftigen PJ-lerinnen auch eine gute Zeit haben :-).
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