
Katharina Lohmöller
Praktisches Jahr
11.09.2023 – 31.12.2023
Woche 1: 11.09. – 17.09.2023
Nachdem ich die Bayerwald-Praxen bereits vor zweieinhalb Jahren im Rahmen einer Famulatur kennenlernen durfte, hat es mich nun aus dem Münsterland wieder in den bayerischen Wald verschlagen, um nach einigen Corona-Semestern vor dem heimischen PC endlich zahlreiche Praxiserfahrungen zu sammeln.
Zusammen mit einer anderen PJlerin Myriam, die schon länger hier ist, stehe ich am Montag in der Kirchberger Praxis bereits bei unserem ersten Patienten vor einer der schwierigen Fragen der Allgemeinmedizin – bei welchem Patienten kann man abwarten und wo ist doch eine Klinikeinweisung nötig? Ich bin sehr froh, dass ich diese Entscheidung noch nicht fällen muss, und durch Dr. Machac ist die Verdachtsdiagnose paralytischer Ileus nach einer kurzen Ultraschalluntersuchung schnell gestellt und der Patient mit Einweisung auf dem Weg ins Krankenhaus. Insgesamt rund 120 Patienten später, die an diesem Tag in der Kirchberger Praxis ein- und ausgehen, raucht mein Kopf von zahlreichen Eindrücken, Diagnosen, Medikamenten und der riesigen Bandbreite der Allgemeinmedizin.
Die kommenden Tage verbringe ich bei Frau Dr. Takacs in Lalling. Jeder Arzt hat seine eigene Arbeitsweise, und als Student ist es sehr spannend, Einblicke in verschiedene Herangehensweisen und Einstellungen zu erhalten. Frau Dr. Takacs betreut ihre Patienten bereits über viele Jahre, kennt die familiäre Situation und Lebensumstände der Patienten und kann diese in ihre Therapieentscheidung mit einbeziehen.
Bei fast allen Patienten – seien es Wundkontrollen, akute Beschwerden, routinemäßige Check-Ups oder präoperative Untersuchungen – darf ich schon einmal „vorlaufen“ und die Patienten befragen und untersuchen, welche alle offen für Studenten und sehr geduldig sind. (Sogar wenn ich zum dritten Mal nachhaken muss, weil sich der bayerische Dialekt für mich noch ziemlich spanisch anhört). Man merkt dem gesamten Team an, dass hier öfters Studierende in den Praxen unterwegs sind. Die Organisation im Vorfeld war super und in den Praxen wurde ich herzlich willkommen geheißen und direkt eingebunden. Unkompliziertere Fälle wie Harnwegs- oder grippale Infekte kann ich nach Rücksprache mit Frau Takacs eigenständig wieder nach Hause entlassen. Bei den meisten erleichtert es mich jedoch zu wissen, dass Frau Takacs noch einmal selber schaut und ich mich in Diagnose und Therapie noch nicht festlegen muss. Gefühlt habe ich bereits in dieser Woche mehr Patienten selbstständig anamnestiziert und untersucht, als in den letzten acht Wochen in der Chirurgie im Krankenhaus zusammen. Daher bin ich optimistisch, hier mein Wissen Woche um Woche weiter ausbauen zu können. Bei strahlend blauem Himmel und Sonnenschein wartet nun jedoch erstmal eine andere Art der Herausforderung auf mich, die 16% Steigung des Kirchbergs beim Joggen… 😉
Woche 2: 18.09. – 24.09.2023
Nachdem ich die erste Woche noch allein in der großen Kirchberg-WG war, kehrt diese Woche etwas mehr Leben ein. Meine Mit-PJlerin Jonna ist eingetroffen und auch ein Hospitant übernachtet für zwei Nächte bei uns, sodass beim Frühstück und Abendessen Praxiserfahrungen ausgetauscht und Studiumserlebnisse erzählt werden, und ich mich auf ein geselliges WG-Leben in den kommenden Monaten freue.
In dieser Woche lerne ich erstmals auch die Praxen in Rinchnach und Auerbach kennen. Die Woche startet für mich jedoch im bereits bekannten Lalling mit der morgendlichen Laborliste vom Freitag. Ich merke, wie schwierig mir die Bewertung der Laborveränderung noch fällt: Was ist die wahrscheinlichste Ursache für die Kalium-Erhöhung bei einem Patienten, ab wann ist eine Verschlechterung des Kreatinins relevant und wo liegt der Zielbereich des HbA1c für diesen oder jenen Patienten? Ich hoffe, in den nächsten Monaten ein bisschen Licht ins Dunkle bringen zu können und ein Gefühl dafür zu entwickeln.
Einige Patienten in Lalling kenne ich bereits aus der letzten Woche und bekomme manche Verlaufskontrolle mit. Sehr spannend zu hören, inwieweit unsere vorgeschlagenen Therapien Besserung gebracht haben oder nochmal neu überdacht werden müssen.
Nach der Gicht-Montags-Fortbildung von Dr. Machac denke ich bei jedem Patienten, der mit Schmerzen an der Großzehe kommt, zuerst an Gicht, und muss etwas über mich selbst schmunzeln, als ich schon fast enttäuscht bin, dass die Beschwerden bei zwei von drei Patienten nach Anamnese und Untersuchung schlussendlich doch eher an Arthrose beziehungsweise einen eingewachsenen Zehennagel denken lassen. Einen Patienten mit mutmaßlichem Gichtanfall filtern wir jedoch doch heraus und ich freue mich, die Therapie-Ratschläge von Dr. Machac in die Praxis umsetzen zu können.
Am Dienstag steht für die Studenten des Famulatur-Projektes ein EKG-Kurs auf dem Programm und wir PJler sind ebenfalls eingeladen. Dr. Marion Krenn hat zahlreiche Beispiel-EKGs aus der Praxis und dem Krankenhaus mitgebracht und alle Studis rätseln fleißig über Lagetypen, Rhythmusstörungen und ST-Hebungen. Nachdem ich in den letzten Tagen in der Praxis einigermaßen optimistisch war und die meisten geschriebenen EKGs zu interpretieren wusste, wird mir hier wieder deutlich vor Augen geführt, wie viel es noch zu lernen gibt. S1S2S3 Typen oder Zeichen einer Lungenembolie… gemeinsam mit den anderen PJlern fassen wir den Entschluss, das Thema EKG nochmal im Rahmen unseres zum Lernen frei gehaltenen Mittwoch-Nachmittags anzugehen.
Am nächsten Morgen wartet eine Patientin auf mich, bei der die Arzthelferinnen den Eintrag „Patienten geht es nicht gut“ vermerkt haben. In Erwartung eines grippalen Infekts trete ich ins Zimmer und finde wider Erwarten eine Patientin vor, die aktuell mit einer Depression zu kämpfen hat. Die Diagnosekriterien sind rasch abgeklopft und erfüllt, schwieriger wird es bei der Frage nach akuter Suizidalität, die immer mit dazu gehört, und bei der Therapie. Sicherlich wäre eine Verhaltenstherapie empfehlenswert, doch realistisch betrachtet wird diese bei den langen Wartelisten frühestens in einigen Monaten stattfinden. Nichtsdestotrotz braucht die Patientin aktuell Hilfe und damit bleibt der Hausarzt für die erste Zeit die Anlaufstelle. Ich finde es schön, dass sich die Patienten ihrem Hausarzt auf diese Weise anvertrauen können. Sicherlich war der erste Gang zum Arzt bezüglich psychischer Probleme und das Eingeständnis, einfach nicht mehr weiter zu wissen, für die Patienten alles andere als leicht. Dr. Sujova versucht die Patientin mit Worten aufzubauen, sie zu bestärken und bietet an, bei Bedarf jederzeit wiederzukommen. Einmal mehr wird mir der Stellenwert des einfachen Gesprächs bewusst.
Am Donnerstag steht wieder eine neue Praxis an, diesmal geht es nach Auerbach zu Anton Kalmancai. Bei leerem Sprechzimmer, nutzt Dr. Kalmancai die Gelegenheit und macht sich mit Alina, einer angehenden Physician Assistant, und mir auf den Weg zu Hausbesuchen. Spätestens jetzt wird mir klar, wie sehr ich hier doch auf dem Land gelandet bin 😉
Hausbesuche sind eine gänzlich andere Art der Medizin und es ist spannend, die Patienten im häuslichen Umfeld zu erleben. Fernab von Ultraschall-/EKG-Geräten und anderen diagnostischen Möglichkeiten der Praxis, muss man sich beim Hausbesuch auf die eigenen Hände, Ohren und Augen verlassen. Auch das medizinische Ziel ist oft ein anderes, plötzlich geht es nicht mehr darum, den Zucker so einzustellen, dass der Patient langfristig keine Folgeerkrankung bekommt, sondern vielmehr darum zu schauen, wie man den Patienten aktuell noch unterstützen kann. Innerhalb der nächsten Wochen sollen wir PJler eigene Hausbesuch-Patienten bekommen, ich bin bereits gespannt, jemanden über die nächsten Monate begleiten zu dürfen.
Woche 3: 25.09. – 01.10.2023
Da ich über das Wochenende aus familiären Gründen in die Heimat gereist bin, startet diese Woche für mich erst am Mittwoch. In Auerbach quizzt mich Dr. Kalmancai bei recht locker besetzter Sprechstunde in den Pausen zur medikamentösen Diabetes-Therapie verschiedener Patienten. Sobald die Erstwahl Metformin nicht ausreicht, gibt es verschiedene Möglichkeiten, den HbA1c-Zielwert zu erreichen: SGLT2-Hemmer, GLP1-Antagonisten oder doch Insulin? Die Sulfonylharnstoffe hatte ich gedanklich nach meinem letzten PJ-Tertial als Mittel der Reserve abgespeichert, muss jedoch feststellen, dass es hier verschiedene Schulen gibt, die Einschätzung von Klinikern und Hausärzten sich unterscheidet und am Ende wahrscheinlich nichts „richtig oder falsch“ sondern alles patientenabhängig und individuell zu entscheiden ist. Oder muss der Zucker überhaupt medikamentös eingestellt werden? Auch der Zielwert des Langzeitzuckers muss für jeden Patienten neu – abhängig von Alter, Komorbiditäten und Wunsch des Patienten – bestimmt werden – für Dr. Kalmancai mittlerweile eine Gefühlssache, für mich als Anfänger bietet der Arriba-Rechner einen guten Leitfaden.
Am Donnerstag und Freitag starte ich dann erstmals in die Bayerwald-Praxis nach Schöfweg. Nachdem ich zunächst noch einmal bei Dr. Kleudgen bei einem Check-Up mitlaufe und feststelle, wie trotz ähnlicher Inhalte jeder Arzt im Check-Up seine eigenen Schwerpunkte setzt, kann ich am Freitag zwei Check-Ups größtenteils eigenständig durchführen; eine gute Übung um die Basics der körperlichen Untersuchung zu trainieren. Ebenso merke ich, wie ich mit dem Ultraschallkopf in der Hand Tag für Tag etwas mehr Routine gewinne. Obwohl ich mich in der Theorie dank einer Sono-Tutor-Tätigkeit in der Uni einigermaßen auskenne, machen es Darmluft und ein paar überschüssige Pfunde mitunter doch schwierig die Bauchspeicheldrüse oder die Hauptschlagader zu identifizieren und ich bin dankbar für viele kleine praktische Tipps, die mir die Ärzte an die Hand geben.
Während Dr. Sujova die anderen Patienten betreut, kann ich mir viel Zeit für zwei neue Patientinnen nehmen, um ausführlich alle Vorerkrankungen, Operationen, Medikamente, Familienanamnese, Risikofaktoren und Impfungen abzuklopfen. Gerade im Impfkalender tun sich einige Lücken auf, und ich hoffe, die impfkritischen Patientinnen zumindest zum Nachdenken angeregt zu haben, etwas auszubessern.
Mit Schöfweg durfte ich nun alle Stammpraxen kennenlernen. So spannend ich es finde, verschiedene Organisations- und Arbeitsweisen kennenzulernen, so anstrengend ist es jedoch auch, immer wieder in einem neuen Team mit unterschiedlichen Abläufen anzufangen. Daher freue ich mich, dass wir uns auf Dauer für zwei Praxen entscheiden dürfen, in denen wir hauptsächlich eingesetzt werden möchten. Dies ermöglicht es, Patienten über einen längeren Zeitraum zu betreuen und sich in der Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Arzt besser einzuspielen. Trotzdem wird es eine knifflige Entscheidung, da ich mir sicher bin, in allen Praxen fachlich und menschlich viel lernen zu können.
Woche 4: 02.10. – 08.10.2023
Die Zeit rennt, nun bin ich schon einen ganzen Monat im bayerischen Wald und habe mich nicht nur in den Dialekt etwas reingehört (meistens zumindest), sondern auch im Praxisablauf eingelebt.
Am Mittwoch bin ich bei Dr. Blank in der Grafenauer Praxis eingeteilt und auf uns wartet ein Wartezimmer, das bei aktueller Grippewelle voll besetzt ist. Eine Patientin beschreibt ein kribbelndes Gefühl im Zeige- und Mittelfinger der linken Hand sowie eine Ausstrahlung entlang des Arms. Das Dermatom Th7 könnte dahinter stecken und ein Bandscheibenvorfall steht im Raum. Ein MRT könnte Licht ins Dunkel bringen, meint die Patientin, die selbst einen Bandscheibenvorfall vermutet. Aber mit welcher Konsequenz? Wenn sich der Bandscheibenprolaps bestätigt, ist die Therapie mutmaßlich dieselbe – Physiotherapie und Geduld. Für mich nochmal ein wichtiger Hinweis, nur Diagnostik anzustoßen, die auch eine therapeutische Konsequenz hat.
Der nächste Patient hat seit einer falschen Bewegung stechende bewegungsabhängige Schmerzen in der rechten Brust, hochverdächtig für muskuloskelettale Beschwerden und damit sehr wahrscheinlich harmlos. Als ich Dr. Blank den Patienten vorstelle, fragt dieser den Patienten, was er für eine Ursache vermute? Es kommt heraus, dass der Patient vor einigen Jahren einen schweren Unfall hatte und Sorge hat, dass sich nun noch irgendwelche Folgeerkrankungen zeigen. Was befürchten Sie, was Ursache für diese Symptome ist? Eine sehr gute Frage, die ich mir merken werde. Im Laufe der Woche finden sich noch viele Beispiele von Patienten, die sich selbst mit Dr. Google zu ihren Symptomen passende Diagnosen in den Hinterkopf gepflanzt haben, sei es die Leukämie bei rezidivierenden Infekten oder die Pankreatitis, an der ein Nachbar kürzlich verstorben ist. Gedanken, die man kennen muss, um den Patienten ihre Sorgen nehmen zu können.
Zum Ende der Woche darf ich zusammen mit Dr. Kunzendorf arbeiten. Sie war zu der Zeit, als ich für eine Famulatur im bayerischen Wald war, selbst PJlerin und hat nun als Assistenzärztin in den Bayerwald Praxen angefangen. Bei einem Patienten, der laut Liste mit Bauchschmerzen gekommen ist, starte ich schon einmal. Zusammengefasst: Älterer Patient mit Bauchschmerzen seit dem Vortag, zweimaliges Erbrechen, außerdem wässriger Durchfall seit gestern. Sehr laute Darmgeräusche. Periumbilikaler Druckschmerz. Bauchdecke weich. Soweit so gut, ließe sich durch eine einfache Gastroenteritis erklären. Als ich den Ultraschallkopf auf den Bauch halte sehe ich einen schwarzen Fleck zwischen Leber und Niere und bin schon etwas beunruhigt, doch mit dem Patienten zu reden bringt Klarheit: zum Glück nur eine bereits bekannte Nierenzyste. Beim weiteren Schallen finden sich jedoch einige dilatierte echofreie Darmschlingen, die mich ans Strickleiterphänomen und eine Pendelperistaltik denken lassen. Die Faustregel, die ich mir für den Darm-Ultraschall bisher gemerkt hatte: „Sofern du nichts siehst, ist das ein gutes Zeichen“, lässt hier nichts Gutes vermuten. Da ich meinen Darm-Ultraschall-Fähigkeiten noch nicht über den Weg traue, hole ich zügig Dr. Kunzendorf dazu. Auch sie kann die Differentialdiagnose Ileus nicht ausschließen, und daher stellen wir dem Patienten eine Überweisung ins Krankenhaus aus. Ich hoffe sehr, dass ich den Patienten in den nächsten Wochen noch einmal wiedersehe oder zumindest aus der Akte in Erfahrung bringe, was die weitere Diagnostik ergeben hat.
Nun geht es jedoch erstmal bei strahlender Sonne und blauem Himmel ins Wochenende. Während der zahlreichen Corona- und Grippeimpfungen, die in dieser Woche anstanden, habe ich den Dr. Blank‘schen Tipp genutzt, die Patienten während des Impfens mit Ablenk-Fragen auf andere Gedanken zu bringen und habe mir dabei zahlreiche Wanderempfehlungen rund um Kirchberg abgeholt, die getestet werden wollen 😉
Woche 5: 09.10. – 15.10.2023
Einige meiner ehemaligen Kommilitonen haben in diesen Tagen das zweite Staatsexamen geschrieben und ich stelle mit Erschrecken fest, dass seitdem schon wieder ein halbes Jahr vergangen ist und damit auch die Hälfte meines PJs fast vorüber ist. Ich fühle mich noch nicht gewappnet, den Patienten in einem halben Jahr als „fertige Ärztin“ gegenüber zu treten. Trotzdem stellt sich bei den zahlreichen Patienten, die jeden Tag in den Praxen ein- und ausgehen, eine gewisse Routine ein.
Wer an diesem Mittwoch die Bayerwald-Praxen besuchen wollte, stand vor verschlossenen Türen. Bei bestem Wetter ging es erstmals für das gesamte Team aller sechs Praxen für einen Betriebsausflug nach Passau und wir Studenten durften ebenfalls teilnehmen. Nach einer Stadtführung und einer Bootstour über Donau und Inn, machten wir uns im großen Trupp zu Fuß zur Veste Oberhaus, wo wir lecker, mit Blick auf Passau, zu Mittag aßen. Ein schöner Tag mit der Möglichkeit, einige der Bayerwaldler abseits des Praxisalltags kennen zu lernen. An dieser Stelle auch die Empfehlung für alle zukünftigen PJler, ein Ausflug nach Passau lohnt sich auf jeden Fall 😉
Den Rest der Woche verbringe ich in Schöfweg. Wieder steht ein buntes Sammelsurium der Allgemeinmedizin auf dem Plan. Fäden, die gezogen werden wollen, zahlreiche Impfungen, Ohrspülungen, Wundversorgungen, Reha-Anträge sowie Bauchschmerzen, Rückenschmerzen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten – um nur ein paar der Beratungsanlässe zu nennen. Einige Hautkrebsscreenings im Rahmen des Check-Ups und Patienten, die sich mit Haut-Befunden vorstellen, bieten die Chance, das im kürzlich besuchten Dermatoskopie-Seminar erworbene Wissen in die Praxis umzusetzen. Eine Patientin kommt mit einer 5cm großen Rötung, um einen Zeckenstich, der ihr gestern aufgefallen ist. Vom Befund her passend zu einem Erythema migrans, andererseits eigentlich zu früh, als dass es eine Borreliose sein könnte. Wir entscheiden uns für eine bewährte Methode in der Allgemeinmedizin: abwartendes Offenhalten.
Ein anderer Patient kommt aufgrund krampfartiger Oberbauchschmerzen. Im Ultraschall stellt sich die Gallenblase zwar groß dar, aber ich kann keine Steine oder eine Wandverdickung feststellen. In der Mittagspause geht mir der Patient noch einmal durch den Kopf: Habe ich nicht doch irgendwelche Steine übersehen? Mit Frau Dr. Kleudgen komme ich später noch einmal auf dieses Thema zu sprechen und sie erzählt mir, dass man zwar mit der Zeit Routine und Sicherheit gewinnt, eine gewisse Unsicherheit, ob es nicht doch irgendein abwendbar gefährlichen Verlauf übersehen wurde, jedoch auch mit jahrelanger Erfahrung nicht verschwindet. Einen dieser abwendbar gefährlichen Verläufe haben wir in dieser Woche herausgefiltert: Bei einer Laborentnahme eines Patienten war ein plötzliches auf 3 mg/dl angestiegenes Kreatinin aufgefallen und obwohl der Patient davon alles andere als begeistert war, hat Dr. Kleudgen ihn in die Klinik eingewiesen. Nun ist der Patient aus dem Krankenhaus wieder zurück und bedankt sich bei Dr. Kleudgen für ihre hartnäckigen Überzeugungen, ihn in die Klinik einzuweisen, denn es wird eine Rapid progrediente Glomerulonephritis vermutet. Eine Erkrankung, die unbehandelt nicht selten in einer terminalen Niereninsuffizienz endet.
Woche 6: 16.10. – 22.10.2023
Der Start in die neue Woche ist für Jonna und mich eisig. Nach dem sommerlichen Wetter der letzten Woche ist nun plötzlich der Winter eingebrochen. Der Blick aus dem Fenster lässt es bereits erahnen und leider bestätigt sich die Vermutung: der Tag beginnt mit einer Runde Frühsport in Form von Autos kratzen 😉 Trotzdem erreiche ich noch einigermaßen pünktlich die Praxis in Lalling.
In der montäglichen Fortbildung steht in dieser Woche das Thema KHK auf dem Programm. Erst am Morgen hatte ich einen Patienten mit Brustschmerzen und stand vor der nicht immer leicht zu beantwortenden Frage KHK oder Brustwandsyndrom, welche sich durchaus ähnlich äußern können. Zusammen mit der Medizinischen Fachangestellten Frau Mader, die die KHK-Patienten im DMP betreut, gehen wir in der Fortbildung noch einmal den Marburger Herz Score durch, der sich zur Abgrenzung eignet, und besprechen Symptome und Therapie der KHK. Bereits bei Verdacht indiziert sind immer ASS und Statin, aber welches? Mir noch nicht bewusst, tatsächlich gibt es keine Evidenz dafür, dass das von Kardiologen gerne verordnete Atorvastatin oder Rosuvastatin besser wirkt als Simvastatin.
Das vieldiskutierte Streitthema zwischen Kardiologen und Hausärzten „LDL-Zielwerte-Therapie oder fire-and-forget“ taucht am Mittwoch noch einmal in der sehr spannenden Fortbildung zum Thema Labordiagnostik auf. Innerhalb der Fortbildung stelle ich fest, dass zwar einiges der in Praxis und Klinik tagtäglichen Labordiagnostik sinnvoll, vieles, vieles weitere jedoch absolut überflüssig ist. In der Schilddrüsendiagnostik hat es keinen Mehrwert, T3 und T4 zu bestimmen, T4 reicht vollkommen aus. Bei unter 40 Jährigen ohne Dauermedikation braucht man vor Operationen keine Laborkontrolle. Der häufige Wunsch von Patienten nach einer großen Blutbildkontrolle wegen unspezifischer Beschwerden hat “eine ähnliche Trefferquote wie die eines Jägers, der vom Waldrand mit einer Schrotflinte blindlings in den Wald schießt, um einen Hasen zu treffen“ – um einige der Quintessenzen zu nennen, die ich mir merken werde.
Am Donnerstag quillt das Wartezimmer in der Lallinger Praxis über. In der Sprechstunde warten auf uns Patienten, die sich aufgrund von Schulterschmerzen, Knieschmerzen, Handgelenksschmerzen, Schmerzen der Achillessehne, chronischen Schmerzen, Luftnot, Schilddrüsen-Sonos, Pleura-Sono, Lungenfunktion, anstehenden Impfungen, Bauchschmerzen, Ohrenschmerzen, Halsschmerzen, auffälligen EKGs, auffälligen Haut Befunden, zu besprechenden Laborwerten und psychischen Beschwerden kommen. Gerade bin ich selber wieder über die riesige Vielfalt im tagtäglichen Hausarzt-Alltag überrascht, so gibt es wenig Körperteile, die ich im Verlauf des heutigen Tages nicht bei irgendeinem Patienten untersucht habe. Ich habe auch ein paar kleine Erfolgserlebnisse: Ein erhabener Hautfleck, bei dem ich auf den ersten Blick denke oje, das kanns so ungefähr alles sein, stellt sich unter dem Dermatoskop lehrbuchartig wie ein Dermatofibrom dar: zentraler weißlicher Anteil mit umgebendem wabenartigem Pigmentnetz. Außerdem erkenne ich im Ultraschall einen Pleuraerguss, der bisher noch nicht bekannt war (wobei ich ohne Frau Takacs nie auf die Idee gekommen wäre, bei diesem Patienten überhaupt eine Pleurasonographie zu machen) und diagnostiziere ein noch nicht bekanntes Vorhofflimmern.
Dadurch dass ich fast die ganze Woche in Lalling bin, sehe ich auch die Patienten wieder, bei denen unsere Therapie nicht angeschlagen hat oder das Befinden sogar verschlechtert hat. Ein Patient, dem wir bei tachykardem Vorhofflimmern einen Betablocker angesetzt haben, stellt sich erneut vor mit Schwindel und wir müssen bei einem 50er Puls feststellen, dass der Betablocker zu hoch dosiert war. Eine andere Patientin hatte sich am Wochenanfang mit einer Tonsillopharyngitis vorgestellt und kommt nun wieder mit einem hochroten, stark geschwollenen und massiv berührungsempfindlichen Handgelenk ohne irgendein vorangegangenes Trauma. Hätten wir am Montag doch ein Antibiotikum verschreiben müssen? Bei zwar geschwollenen, aber nicht belegten Tonsillen hatten wir keine Streptokokken-Tonsillitis vermutet, andererseits könnte es natürlich auch eine reaktive Arthritis sein. Sicherheitshalber verschreibt Frau Takacs nun doch Penicillin. Insgesamt eine anstrengende, aber auch sehr lehrreiche Woche, wobei ich immer wieder feststelle, dass ich noch so einiges zu lernen habe. Gut, dass ich noch ein paar Wochen hier bin 🙂
Woche 7: 23.10. – 29.10.2023
Diese Woche verlief anders als geplant. Während ich die ganzen letzten Jahre immer drumherum gekommen war, zeigte mein Corona-Test nun auch zwei Striche und zwang mich zu einigen Tagen in der Wohnung. Mit der montäglichen Fortbildung, diesmal zum Thema KHK Teil 2, den Dienstags- und Donnerstags Fallbesprechungen und einer PJ-Fortbildung von Jena am Mittwoch zum Thema Endokrinologie sowie dem monatlichen Journal Club am Mittwochabend und unserer PJ-Lerngruppe am Donnerstagnachmittag, konnte ich mich jedoch zumindest theoretisch fortbilden. Am Freitag ging es dann wieder in die Praxis. Da ein Kinderarzt Urlaub hatte, waren einige junge Patienten dabei und ich stelle wieder fest, dass die Herausforderungen beim Behandeln kleiner Patienten andere sind als in der Erwachsenenmedizin. Dies fängt schon dabei an, die Kleinen zum tiefen Einatmen zu bewegen, um die Lunge abzuhören. Als das Fieberthermometer 40,2 Grad anzeigt und rot aufleuchtet, bin ich zunächst etwas geschockt, bis ich mir wieder in Erinnerung rufe, dass ich die Temperaturen eines kleinen Kindes nicht mit denen eines Senioren vergleichen kann. Herausfordernd, aber auch spannend, dass in einer Landarztpraxis hinter einer Behandlungstür ein 90-Jähriger und hinter der nächsten eine 2-Jährige wartet.
Woche 8: 30.10. – 05.11.2023
Nun sind bereits 8 Wochen rum und damit ist für mich die Halbzeit im Bayerischen Wald erreicht. In der Montags-Besprechung geht es diesmal wieder um ein häufiges Problem in der Hausarztpraxis: erhöhte Leberwerte. Wie alltagsrelevant wird mir im Laufe der Woche noch einmal bewusst, so finden sich bei vielen der Check-Up-Labore eine erhöhte GOT, eine erhöhte GPT oder eine erhöhte y-GT. Häufig sind die Werte nur minimal erhöht und es ist nicht leicht zu entscheiden, wann diese abklärungsbedürftig sind. Hier können wir den Leitfaden, den Dr. Machac uns an die Hand gegeben hat, direkt in der Praxis erproben.
Im Laufe des Tertials sollen die PJler hier ein bis zwei eigene Hausbesuchs-Patienten betreuen und diese alle ein bis zwei Wochen besuchen: In meinem Fall eine sehr lebendige ältere Dame, der man ihre fast 100 Jahre überhaupt nicht ansieht und die mir ganz erfreut berichtet, dass die Disko wieder geöffnet ist, worüber ich etwas schmunzeln muss. Sie hat eine bekannte Herzinsuffizienz und trotz bereits erfolgter Eskalation der Dauermedikation mit Torasemid durch Xipamid sind ihre Beine noch deutlich ödematös. Hoffentlich hat sich dies bis zur nächsten Woche unter der Diuretika-Therapie wieder normalisiert.
In der Praxis stelle ich immer wieder fest, dass sich viele Krankheitsbilder anders präsentieren, als es im Lehrbuch steht und es kein wirkliches Schwarz und weiß gibt. Umso mehr freue ich mich, wenn dann doch Patientin mit einer klassischen Anamnese kommen, die Befunde charakteristisch sind und auch die Diagnose am Ende stimmt. Nachdem ich mir bei zahlreichen Rachen-Befunden nicht sicher war, ob die Tonsillen jetzt als geschwollen zu werten sind oder nicht, habe ich in dieser Woche eine Patientin mit einer Tonsillitis gesehen, die wie aus dem Lehrbuch stippig belegte, stark geschwollene Mandeln hatte, dazu Fieber > 38°, geschwollene Halslymphknoten und kein Husten. Dies ergibt einen Center Score von 4 und damit ist eine Streptokokken-Tonsillitis relativ wahrscheinlich. Antibiotika sind trotzdem nicht nötig, da sie die Symptome im Schnitt nur um 16 Stunden verkürzen. Unserer Patientin verschreiben wir auf ihren Wunsch trotzdem Penicillin.
Am Freitag ist der Tag der Bauchschmerzen, gefühlt jeder zweite Patient stellt sich aufgrund von „Bauchschmerzen“ vor und es ist echt schwierig, diejenigen mit abwendbar gefährlichem Verlauf von den häufigeren „ungefährlichen Bauchschmerzen“ rauszufiltern. Lassen sich anderthalb Wochen Durchfall durch eine „einfache Gastroenteritis“ erklären oder steckt doch etwas dahinter? Ein anderer Patient ist nachts mit starkem epigastrischen Schmerz mit Ausstrahlung in die linke Schulter aufgewacht. Es schrillen sofort meine Alarmglocken, könnte dahinter auch ein Herzinfarkt stecken? Nach unauffälligem EKG und Troponin-Schnelltest und weiterer Anamnese scheint uns schließlich doch ein Reflux in Kombination mit degenerativen Schulter-Veränderungen als die wahrscheinlichere Ursache der Beschwerden. Die dritte Patientin mit Bauchschmerzen weisen wir mit starkem Verdacht auf eine Cholezystitis ins Krankenhaus ein. Sie hat eine deutliche Abwehrspannung im rechten Oberbauch und ich erlebe erstmals, wie sich ein positives Murphy-Zeichen präsentiert. Die Verdachtsdiagnose nach der körperlichen Untersuchung bestätigt sich schließlich im Ultraschall: die Gallenblase ist gefüllt mit mehreren Steinen und die Wand mehrschichtig verdickt.
Während ich merke, dass sich bei typischen Krankheitsbildern eine gewisse Routine einstellt, kommen jedoch auch immer wieder Patienten, bei denen ich noch komplett auf dem Schlauch stehe. Ein Patient kommt mit Übelkeit und „Schwummrigkeit“ unter Belastung, für mich überhaupt nicht fassbar, in welche Richtung ich hier denken muss: Kardial? Gastrointestinal? Neurologisch? In der Fallbesprechung mit den anderen bekommen wir noch etwas Input, was dahinterstecken könnte.
Ebenso zu einer großen Herausforderung entpuppen sich in dieser Woche die Ohrspülungen. Ich muss feststellen, dass Ohrenschmalz echt hartnäckig sein kann und am Ende zwar mein Patient etwas gebadet ist, aber der Cerumen-Propf trotzdem noch im Ohr steckt. Ich befürchte, dass ich innerhalb der nächsten Wochen noch ein wenig Übung bekommen werde 😉
Am Wochenende knöpfe ich mir mit Carla und Jonna den Falkenstein vor und in Erwartung eines goldenen Herbstwaldes sind wir doch ziemlich überrascht, als wir auf dem Falkenstein plötzlich durch den ersten Schnee stapfen. Trotz etwas unpassender Kleidung eine schöne Überraschung. Hoffentlich erleben wir in den nächsten Wochen noch etwas mehr vom bayerischen Winter.
Woche 9: 06.11. – 12.11.2023
Die neue Woche startet wieder herausfordernd. Neben den typischen montäglichen Infekt-Patienten, kommen auch viele mit eher unspezifischen Symptomen, die sich anfänglich schwer einordnen lassen. Außerdem halten uns wieder einige bürokratische Hürden auf Trapp: Wie genau füllt man nochmal die Kausalkette bei einer Todesbescheinigung korrekt aus und kriegt man trotz Witwenrente Krankengeld? Ich muss feststellen, dass ich rund um die Formalien noch überhaupt nicht sattelfest bin und bin sehr dankbar, dass die Schöfweger MFAs bei dem ganzen Papierkram den Überblick behalten oder sich sonst hinters Telefon klemmen.
Für mich an diesem Tag am eindrücklichsten ist ein Patient, der mit Ohrenschmerzen kommt, denen aber bereits den MFAs am Tresen ein hängender Mundwinkel aufgefallen ist. Die neurologischen Untersuchungen bestätigen den Verdacht – es liegt eine periphere Fazialisparese vor und wir überweisen den Patienten zur weiteren Abklärung ins Krankenhaus. Ich ergänze ihn auf meiner Liste von Patientin, wo ich unbedingt die mit der Zeit eintrudelnden Briefe verfolgen muss.
Am Mittwoch wird von der Uni Jena ein Vortrag zum Thema Telemedizin bei Herzinsuffizienz angeboten, eine Krankheit, deren schlechte Prognose häufig unterschätzt wird. Unser Dozent erzählt das Märchen vom personalisierten Tod, der einem Menschen verspricht, ihm vor dem Tod Vorwarnungen zu schicken. Eine eingeschränkte Sehfähigkeit, das nachlassende Gedächtnis, der gebrochene Schenkelhals… Zeichen des Todes, die der Mensch jedoch nicht als solche gedeutet hat. Anhand dessen diskutieren wir, inwieweit es bei manchen älteren Patienten vielmehr Aufgabe des Hausarztes ist, anzusprechen, dass der letzte Lebensabschnitt erreicht ist und zu erfragen, ob eine Abklärung und Behandlung von neuen Erkrankungen erwünscht ist, als alle diagnostischen Möglichkeiten auszunutzen. Keine leichte Aufgabe! Im Praxisalltag merke ich immer wieder, wie unterschiedlich hier die Wünsche der Menschen sind: Manche fürchten nichts mehr als am Ende nur noch „vor sich hinzuvegetieren“, andere wollen um jeden Preis weiterleben und nichts unversucht lassen – umso wichtiger das Thema anzusprechen, um dem individuellen Wunsch der Patienten nachkommen zu können.
Am Ende der Woche sehen wir einen Patienten wieder, der bereits zum Anfang der Woche mit einem geröteten, geschwollenen, überwärmten Unterschenkel gekommen ist. Wir hatten bei Verdacht auf ein Erysipel antibiotisch behandelt, trotzdem war die Schwellung eher progredient und der Unterschenkel stark druckschmerzhaft. Daher entschließt sich Dr. Kleudgen nun doch dazu, den Patienten zum Ausschluss einer tiefen Beinvenenthrombose ins Krankenhaus einzuweisen. Erysipel? Phlegmone? Tiefe Venenthrombose? Thrombophlebitis? Bereits am Montag war ich mir sehr unsicher, wie ich diesen Beinbefund einordnen muss und mir wird nochmal mehr bewusst, wie schwierig und überaus wichtig die Abklärung der Differentialdiagnosen ist.
Die Woche endet schließlich genauso turbulent, wie sie angefangen hat. Nachdem ich einen Patienten mit grippalem Infekt untersucht und ihn gebeten habe, tief ein- und auszuatmen, damit ich auf die Lunge hören kann, wird ihm zunächst etwas übel und wenig später verliert er das Bewusstsein. Während ich selbst noch geschockt bin, reagiert das eingespielte Schöfweger Team zügig und innerhalb kürzester Zeit ist der RTW alarmiert, unser Patient mit hochgelagerten Füßen auf der Liege wieder ansprechbar und eine Viggo gelegt. Ich schreibe ein Memo an mich selbst, mich am Wochenende einmal einigen Notfall-Algorithmen zu widmen. Meine weitere Erkenntnis: Die Aufforderung tief einzuatmen, werde ich ab jetzt wohl durch die Bitte ergänzen, sofort Bescheid zu geben, sollte dem Patienten schwindelig werden…
Am Wochenende dürfen wir schließlich noch eine bayerwaldlerische Tradition kennenlernen. In den letzten Tagen bereits verwundert, warum Böller und komische Glocken zu hören waren, löst sich das Rätsel schließlich – es wird das Wolfauslassen zelebriert. Für alle, denen das genauso wenig sagt wie mir: Stellt euch ganz viele Menschen vor, die mit riesigen 30-40 kg schweren Kuhglocken um den Bauch geschnallt in einem Kreis stehen und angeführt von einem “Hirten” im Gleichtakt die Glocken schlagen. Klingt bescheuert? Ja, zugegebenermaßen für uns Norddeutsche eine sehr amüsante Tradition. Zumal die “Wölfe” ein erstaunliches Durchhaltevermögen an den Tag legen. Das erste, was ich nach dem Aufwachen am Samstag um 7 Uhr höre, sind die schlagenden Glocken vom Dorfplatz. Ich bin gespannt, wie viele am Montag mit Hörsturz, Muskelzerrung oder Erkältung in der Praxis auftauchen 😉
Woche 10: 13.11. – 19.11.2023
Das Highlight dieser Woche waren drei Tage Hospitation in der Reha-Klinik in Schaufling. Meine Vorstellung von einer Reha: „Viele alte Leute in steriler Krankenhaus-Umgebung mit ein bisschen Sportprogramm…“ wurde ordentlich über den Haufen geworfen.
Bereits am ersten Tag als Dr. Buvar uns herzlich empfängt und einmal durch das Haus führt bin ich beeindruckt: Schwimmbad, Turnhalle, Kletterwand, topmodern ausgestattete Fitnessräume, ein eigener Raum ausgestattet mit Treppen, Kieswegen und anderen Böden zum Gehtraining, ein Raum nur für das Einüben von Online-Sportprogrammen, ein Trainingsraum mit sämtlichen Alltagsgerät (inclusive Auto!), um berufliche Tätigkeiten zu üben. Auf der anderen Seite Verkaufsstände für Schmuck und Handwerk, sowie ein großes Cafe. Insgesamt ein riesiger, moderner, super ausgestatteter Komplex mit sämtlichen vorstellbaren Rehabilitationsmöglichkeiten.
Zahlreiche davon dürfen wir im Laufe der Tage selbst erproben, denn in den Morgenstunden laufen wir immer bei den Therapieeinheiten mit.
Unser erster Tag umfasst dabei ein breites Angebot von Entspannungsverfahren: Hydrojet, Wärmetherapie, Elektro- und Magnetfeldtherapie, Lymphomat – schade eigentlich, dass wir nicht länger hier sind 😉 . Der zweite Tag ist dann aktiver und wir laufen in den verschiedensten Sportgruppen mit. An den Nachmittagen nimmt sich Dr. Buvar super viel Zeit für uns und geht mit uns die Untersuchungstechniken von Knie und Schulter durch. Nachdem er Carlas Schulter mit Kugelschreiber künstlerisch bemalt hat, habe ich zum ersten Mal das Gefühl, die Schultertests richtig zu verstehen. Das Ganze schauen wir uns dann auch noch einmal im Ultraschall an, was für mich komplett neu ist und spätestens bei der Darstellung der Rotatorenmanschette zu einem Knoten in meinem Kopf führt. Hoffentlich kommen in meinen letzten Wochen hier noch einige Patienten mit Schulterbeschwerden in die Praxis, an denen ich das Gelernte anwenden kann.
An Tag drei warten Davinci, Diego, Pablo, Tymo und Amadeo auf uns. Bitte wer? Da war jemand ganz kreativ in der Benennung hochmoderner Ergo-Therapie-Geräte, mit denen die Patienten spielerisch ihre Hand-Augen-Koordination, ihren Bewegungsumfang, Gleichgewicht und noch viel mehr trainieren können. Carla und ich dürfen uns mal am Tymo versuchen und mit Gleichgewichtsverlagerung der Füße ein paar Krabben fangen. Letztlich laufen uns leider zahlreiche Krabben davon, weil unser Gleichgewicht noch Ausbaupotential hat und der nächste Programmpunkt bereits auf uns wartet: Waldbaden.
Gespannt, was uns erwarten wird, starten wir mit Wanderschuhe und dicker Winterjacke nach draußen. Christine nimmt uns bei Sonnenschein (trotz 100%iger Regenwahrscheinlichkeit) mit auf eine Tour durch den angrenzenden Wald und versucht uns die Scheuklappen des alltäglichen Lebens abzunehmen und unseren Körper, die Schönheit des Waldes und die Geräuschkulisse aktiv wahrzunehmen. Welchen Ballast gibt es in unserem Leben, den wir wie die Bäume ihre Blätter im Herbst abwerfen können?
Von Dr. Buvar schon als „Kräuterfee“ beschrieben, gibt uns Christine außerdem zahlreiche Tipps, um uns aus heimischen Pflanzen wie Brennnessel und Brombeere eine Hausapotheke zu zaubern.
Insgesamt ein rundum spannender Einblick in die vielseitige Reha-Medizin und dabei haben wir viele Teile, die dazu gehören (von Psychologischer Betreuung, Ernährungsberatung, Sozialberatung, Logotherapie, Klangschalen bis zum Bogenschießen,…) noch gar nicht gesehen, weil unsere Termin-Taktung sowieso bereits ambitioniert war. Trotzdem habe ich jetzt einen guten Eindruck und weiß bei den nächsten auszufüllenden Reha-Anträgen (zugegeben eine eher undankbare Aufgabe), dass sich die Mühe lohnt und die Patienten in Schaufling in guten Händen ist. Herzlichen Dank an Dr. Buvar für das große Engagement und an alle zukünftigen PJler die Empfehlung, die Hospitation in Schaufling mitzunehmen: ist super lehrreich und macht echt Spaß!
Woche 11: 20.11. – 26.11.2023
Es ist soweit, der bayerische Winter ist da. Wir sitzen gerade mit Lebkuchen und Tee im warmen Grafenauer Wohnzimmer und können die Schneeflocken draußen fallen sehen.
Auch in der Praxis merkt man den Wintereinzug. Bei der Masse von Patienten mit laufender Nase, Husten und Halsschmerzen lohnt es sich schon fast nicht mehr, die eigene Maske zwischendurch abzunehmen. Und trotzdem wird es nicht langweilig und unter den zahlreichen Patienten mit Erkältungskrankheiten warten immer wieder Herausforderungen: Urlauber, die nur Englisch sprechen, zeigen mir bereits, dass mein medizinisches Vokabular noch ausbaufähig ist, aber so richtig schwierig wird es dann bei den Patienten, die weder Deutsch noch Englisch sprechen und wo Google Übersetzer, Hände und Füße nötig werden. Auf eine andere Weise herausfordernd sind auch die ganz Kleinen, die – abgesehen von der Spielzeugküche im Wartezimmer – um alles, was mit Medizin und Ärzten zu tun hat, einen großen Bogen machen. Doch wenn man erst dem mitgebrachten Elefanten in den Mund schaut und ihn abhört, kann man meistens auch die Kleinen dazu überreden ihre Münder aufzusperren :).
Am Mittwoch referiert Frau Poggenburg – eine Hausärztin aus Österreich – zum Thema Migräne in der Hausarztpraxis. Nachdem ich erst am Montag bei einem Patienten die Erstdiagnose Migräne gestellt habe, kann ich mein Vorgehen nochmal kritisch überprüfen. Für mich neu: Triptane dürfen erst nach dem Abklingen der Aura eingenommen werden, da sich sonst das Schlaganfallrisiko erhöht.
Ansonsten habe ich in dieser Woche noch einmal ein buntes Programm und bin in drei verschiedenen Praxen bei vier Ärzten eingesetzt. Alle haben ihre eigene Herangehensweise, ihre eigenen Schwerpunkte und daher kann ich von jedem etwas anderes lernen und mitnehmen.
In Auerbach haben wir eine Patientin, die nach einem mutmaßlichen Zeckenstich ein Erythema Migrans entwickelt hat, welches trotz Doxycyclin Behandlung seinem Namen alle Ehre macht und weiter den Unterschenkel der Patientin hochwandert. Dr. Kalamancai stellt den Fall in der Fallbesprechung vor und alle sind etwas ratlos, ob jetzt eine nochmalige antibiotische Therapie erfolgen sollte, gegebenenfalls die Diagnose nicht passt oder man das ganze einfach noch beobachten kann. Beruhigend, dass auch die „alten Hasen“ nicht alles wissen, zum Glück gibt es in fast jedem Gebiet Spezialisten, die einem weiterhelfen können.
Zum Wochenabschluss geht’s mit der gesamten PJ-Crew zunächst einmal in den Kirchberger Jugendgottesdienst (Wenn du denkst, es handele sich um ein fremdsprachiges Lied, und dann feststellst, dass es Hallelujah auf bayerisch ist…), und danach auf eine kleine Wanderung am kleinen Büchelstein. Für uns Nordler, die in den letzten Jahren kaum einmal Schnee zu Gesicht bekommen haben, ist dieser von Neuschnee eingezuckerte Wald wirklich malerisch! Anschließend bummeln wir noch einmal über den Lallinger Wichtelmarkt und backen Stockbrot über dem Lagerfeuer (mal mehr, mal weniger nekrotisch ;)). Obwohl ich wirklich beeindruckt bin, von der Masse an Leuten, die sich im Feng-Shui-Park tummeln, kommt mir doch das ein ums andere Gesicht bekannt vor. Wir sind eben doch schon eine ganze Weile hier.
Woche 12: 27.11. – 03.12.2023
In dieser Woche gestaltet sich nicht nur der ein oder andere Patientenfall schwierig, sondern bereits der Weg zur Arbeit. Bei viel Neuschnee ist der Blick vom Kirchberg ins verschneite Dorf zwar traumhaft, aber dafür die Autofahrt deutlich nervenaufreibender.
Eine Patientin, die ich diese Woche im Kopf behalten habe, stellte sich mit Fieber nach einer Tropenreise vor. Hier gilt es eine ganze Palette von tropischen Erkrankungen im Hinterkopf zu haben. Bei stabilen Vitalparametern entscheiden wir uns nach Rücksprache mit einem Tropenmediziner zunächst einmal Blut abzunehmen, zusätzlich Malaria und Dengue-Test wegzuschicken und die Patientin engmaschig zu betreuen. Die Leukozyten sind schließlich bei 2.2, zusätzlich die Leberwerte leicht erhöht und die Milz grenzwertig vergrößert. Könnte sich durch ein Dengue-Fieber erklären lassen, aber genauso gut durch andere virale Erkrankungen. Wir beschließen die Patienten weiter engmaschig im Verlauf zu kontrollieren und die Labortests abzuwarten.
Am Dienstag beschäftige ich mich mit einem Thema, das mich nach wie vor immer wieder vor große Rätsel stellt – es geht nach Freyung zu Frau Friedl in die Dermatologie. In der vollen Akutsprechstunde geht’s um veränderte Muttermale, ein generalisiertes mutmaßlich medikamenteninduziertes Exanthem, Juckreiz, Herpes und vieles weiteres. Ich bekomme ein Dermatoskop in die Hand und darf selbst sämtliche Muttermale mitbeurteilen (oder zumindest die fünf, die ich schaffe, bevor Frau Friedl bereits den gesamten Körper nach auffälligen Muttermalen gescannt hat ;). Am Ende des Tages raucht mein Kopf von sämtlichen verschiedenen Salben, Effloreszenzen und Therapiemöglichkeiten. Zugegeben bin ich etwas froh, dass in den Bayerwald-Praxen maximal zwei Hautkrebsscreenings pro Tag auf dem Plan stehen und nicht gefühlte 50 wie bei Frau Friedl, aber diese werde ich jetzt mit besserem Hintergrundwissen angehen.
Am Mittwochabend gibt die Wundexpertin Bea Bartesch aus Schöfweg allen MFAs einen Überblick über die Wundversorgung, und wir Studis sind ebenfalls eingeladen. Über Jahre gesammelte Erfahrungen mit Wunden verschiedenster Art samt dazugehöriger Geschichten, Bilder, Tipps und Tricks ergeben einen spannenden, lehrreichen Vortrag.
Ebenfalls spannend für mich ist, zu beobachten, wie Frau Dr. Kleudgen mit einer Patientin zusammen erarbeitet, dass ihre Beschwerden möglicherweise psychisch verursacht sein könnten. Jemanden zu vermitteln, dass möglicherweise eher seelische als körperliche Ursachen hinter Symptomen stecken, erfordert viel Fingerspitzengefühl und eine gute Patienten-Arzt-Beziehung. Am Ende des Gespräches habe ich jedoch das Gefühl, dass die Patientin sich verstanden fühlt, eher erleichtert ist und bezüglich ihrer körperlichen Beschwerden beruhigt ist. Wenn auch nicht einfach, ist es essentiell, psychosomatische Aspekte in die Ursachensuche und Behandlung mit einzubeziehen. Hoffentlich kann ich mir von Frau Dr. Kleudgen noch einige Gesprächstechniken abschauen.
Am Wochenende nehmen wir uns vor, das Winterwetter in vollen Zügen auszunutzen. Daher geht es Freitag zum Langlaufski aus, um in voller Vorfreude am Samstag erste Loipen Erfahrung zu sammeln. Der morgendliche Blick aus dem Fenster lässt jedoch bereits Ungutes erahnen: das Balkongeländer ist bis oben eingeschneit, rund 50cm Neuschnee haben sich über Nacht angesammelt. Die Räumfahrzeuge kommen bei dem nicht endenden Schneefall kaum hinterher und daher sind die Loipen noch nicht präpariert. Somit muss uns zunächst das Schneeschippen als (sehr effektiver!!!) Wintersport genügen. Als anderthalb Stunden später das Auto vom Schneemantel befreit ist, merke ich Muskeln, deren Existenz ich mir nicht bewusst war. So sehr wir es uns gewünscht hatten, noch den bayerischen Winter hier zu erleben, soooo viel Schnee hätte es gar nicht sein müssen… 😉
Woche 13: 04.12. – 10.12.2023
Ich sitze gerade mit Jonna und Carla im Kirchberger Wohnzimmer und jeder tippt an seinem Wochenbericht. Wahrscheinlich wird’s zwar länger dauern, aber dafür ist es umso lustiger. Ich werde meine Mitbewohner vermissen, denn so langsam sind die Tage hier unten wirklich gezählt. Je weiter die Zeit voranschreitet, umso mehr wird uns in den Praxen zugetraut. Immer mehr Patienten untersuchen wir vollständig alleine und halten nur noch kurz Rücksprache mit den Ärzten. Super spannend, super lehrreich, aber abends, wenn man im Bett liegt, beginnen auch die Gedanken zu kreisen, ob man nicht doch irgendwas Wichtiges übersehen hat.
Diese Unsicherheit fällt mir insbesondere bei den Hausbesuchen in dieser Woche auf – immer eine besondere Herausforderung: Während in der Praxis jederzeit eine Fachärztin zu Rate gezogen werden kann, ist man während eines Hausbesuches erstmal auf sich alleine gestellt und hat auch kein Sono-Gerät zur Verfügung, um die eigenen Vermutungen zu bestätigen.
Am Montag unterbreche ich die Sprechstunde, um eine Patientin mit akuten Bauchschmerzen zuhause zu besuchen. Vor Ort stellt sich heraus, dass die Patientin Probleme beim Wasserlassen, Rückenschmerzen und Brechreiz hat. Trotz eingehender Untersuchung mit den Möglichkeiten, die einem beim Hausbesuch zur Verfügung stehen, erklärt sich mir der Ursprung der Schmerzen nicht so richtig. Bei auffälligem Urinbefund entscheiden wir uns zunächst mit Verdacht auf einen Harnwegsinfekt für eine antibiotische Therapie. Mit Erschrecken müssen wir jedoch am Abend feststellen, dass das Kreatinin bei 2,6 liegt. Lässt sich das durch den Harnwegsinfekt erklären? Wir würden die Patientin gerne mit Verdacht auf akutes Nierenversagen ins Krankenhaus einweisen, doch die Planung haben wir leider ohne unsere Patientin gemacht, sie hat andere Vorstellungen. So bleibt uns nichts über als die nephrotoxischen Medikamente aus dem Medikamentenplan zu streichen und die Patientin engmaschig zuhause zu kontaktieren. Ich bin sehr gespannt, ob wir letztlich die Ursache für das Nierenversagen noch finden werden.
Auch meiner Hausbesuchspatientin geht es in dieser Woche nicht gut, und im Labor zeigt sich eine GFR von nur 9mg/dl. Im längeren Gespräch äußert sie jedoch mehrfach ihren Wunsch, nicht mehr ins Krankenhaus zu wollen. Sie habe ein langes, erfülltes Leben gehabt, und wenn es jetzt an der Zeit sei zu gehen, dann soll es so sein. Diese Art der Medizin ist anders, als ich es bisher kenne, es geht mehr um emotionale Begleitung und Symptomlinderung als um Heilung und Ursachensuche. Im Krankenhaus wird häufig alles irgendwie mögliche versucht, was für den Patienten sicher nicht immer der richtige Weg ist. Trotzdem ist es aus Arztperspektive manchmal einfacher, sagen zu können, dass man nichts unversucht gelassen hat.
Probleme wie diese besprechen wir am Mittwoch im Seminar von Erlangen. Es geht um ärztliche Haltung, wirtschaftliche und juristische Aspekte sowie eigenes Zeitmanagement. Auch im abendlichen Journalclub lerne ich noch ein paar neue Punkte dazu, die ich meinen zukünftigen Patienten mit auf den Weg geben kann: Insbesondere Kinder können nach einer Gastroenteritis eine Laktoseunverträglichkeit entwickeln. Bereits 2500 Schritte pro Tag wirken sich positiv auf das kardiovaskläre Risiko aus (Für mich sehr beruhigend: es ist ebenso wirksam, wenn „weekend warriors“ versäumte Schritte unter der Woche am Wochenende aufholen). Eine Hochdosistherapie mit Statinen bei KHK verringert die Rate nichttödlicher Herzinfarkte, aber nicht die kardiovaskuläre Gesamtmortalität – das Nutzen-Risiko-Verhältnis muss dann jeder für sich bewerten.
Den Großteil meiner Zeit hier unten habe ich in Schöfweg verbracht, daher darf ich am Donnerstag der Schöfweger Weihnachtsfeier im Kirchdorfer Kirchenwirt beiwohnen. In geselliger Runde bei leckerem Essen (die Qual der Wahl auf der Essenskarte habe ich bei genau einem vegetarischen Gericht zum Glück nicht, tiefstes Bayern eben ;)) kann ich die Praxiscrew etwas abseits des Praxisalltags kennenlernen, ein tolles Team!
Die Woche endet mit einem kleinen Erfolgserlebnis, nach mehreren gescheiterten Versuchen in den letzten Wochen und einigen sehr geduldigen Patienten, kann ich endlich eine Patientin von ihrem hartnäckigen Ohrenschmalz befreien, ohne sie dabei komplett zu duschen 😉
Woche 14: 11.12. – 17.12.2023
Finale ganze Woche. In meiner 14ten Woche hier im bayerischen Wald geht’s für mich noch einmal durch drei der Bayerwald-Praxen. Am Montag zuerst nach Auerbach zu Dr. Kalmancai, wo Grippe und Corona Hochkonjunktur haben. Trotz vollem Wartezimmer schafft es Dr. Kalmancai, den Patienten, die es wirklich brauchen, die nötige Zeit und Ruhe zu geben. Ein Patient erzählt, er sei an einem Punkt, wo er selber nicht mehr weiterkomme, die psychiatrische Klinik habe ihn jedoch abgewiesen, da er für eine Aufnahme noch „zu gut“ sei. Ich hatte das Gefühl, diesem Patienten hat bereits einfühlsames Zuhören von Dr. Kalmancai und das Wissen, sich bei Bedarf jederzeit melden zu können, sehr geholfen. Am Dienstag ist für mich Ultraschall-Tag: bei mehreren Check-ups und Schilddrüsen-Sonographien kann ich mein Auge bei verschiedensten Schilddrüsenknoten schulen. Nachmittags bin ich ein letztes Mal in der Kirchberger Praxis und erhalte von Dr. Machac einen kleinen Crashkurs, was ich im Ultraschall auf keinen Fall vergessen sollte.
Da am Donnerstag Frau Sujova und Frau Takacs in der Lallinger-Praxis sind, gibt mir das die Möglichkeit, einen Tag mit der Diabetes-Spezialistin Frau Weinmann mitzulaufen. Während den zahlreichen DMPs macht sie mir deutlich, wie individuell die Diabeteseinstellung ist: Alter, Ernährung, Lebensumstände des Patienten und Komorbiditäten müssen in jedem Fall berücksichtigt werden und werden im Krankenhaus leider häufig stiefmütterlich behandelt. Frau Weinmann berichtet, nur zu oft kämen ältere Patienten mit einem intensivierten Insulinschema aus dem Krankenhaus, die zuhause überhaupt nicht umsetzbar sind.
Auch eine Beratung bei Diabetes-Erstdiagnose darf ich miterleben, in der es leitliniengerecht erstmal nur um den in der Therapie häufig zu wenig beachteten Lebensstil und noch gar nicht um Medikamente geht. Bewegung kann den Blutzucker genauso stark wie eine Tablette, aber das müssen die Patienten ausführlich erklärt bekommen. Der stark beunruhigte Patienten, der schon Sorge hatte, von nun an Spritzen zu müssen, ist durch Frau Weinmanns Erklärungen zutiefst erleichtert und nimmt sich fest vor, mehr Sport zu machen und gesünder zu essen.
Auch die beste Therapie bringt nichts, wenn sie dem Patienten nicht eingehend erläutert wird und dementsprechend keine Compliance seitens der Patienten besteht. Frau Weimann unterstreicht, wie maßgeblich diese Compliance auch von der Beziehung zwischen Arzt und Patient abhängig ist. Neben diesem Aspekt, nehme ich mir nach diesem Tag vor, zukünftig noch mehr Wert darauf zu legen, wie ich den Patienten Zusammenhänge vermittle. Besonders Frau Weinmanns bildliche Beschreibung, dass das Insulin – als Türöffner für den Zucker in die Zelle – nicht funktioniert, bleibt mir im Kopf.
Am Nachmittag bekomme ich direkt die Gelegenheit, das Wissen anzuwenden. Ein frisch aus dem Krankenhaus entlassener Patient kommt mit neuem Medikamentenplan, der im Krankenhaus um satte sieben Arzneimittel ergänzt wurde. Welche davon braucht der Patient wirklich? Bei Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz und einer GFR von 28 keine leicht zu beantwortende Frage. Die kritische Bestandsaufnahme durch Frau Takacs bestehen letztlich nur 2 der 7 Medikamente. Auch das eingeleitete Diabetes-Medikament fliegt von der Liste – bei einem HbA1c von 7,3 sehen wir die Notwendigkeit nicht.
Kurz vor Ende der Sprechstunde stellt sich noch ein älterer, in der Praxis unbekannter Patient mit Schwindel bei einem grippalen Infekt vor. Außer einer Temperatur von 38,6°C lässt sich nicht wirklich etwas objektivieren, aber irgendwie haben wir ein ungutes Gefühl. Wie schon oft wünsche ich mir, den Patienten länger zu kennen, da ich ihn nicht einschätzen kann. Ein wirklich großer Vorteil, wenn man Patienten als Hausarzt über einen längeren Zeitraum betreut. Letztlich entscheiden wir uns doch für die Einweisung – in den Fallbesprechungen wird immer wieder betont, wie wichtig dieses Bauchgefühl in der Entscheidungsfindung ist. Ich bin sehr gespannt, ob es recht behalten wird oder doch nur ein grippaler Infekt hinter dem Ganzen steckte.
Am Freitag mache ich noch zwei akute Hausbesuche. Dabei wird mir deutlich bewusst, dass Ärzte oft nicht nur für ihre Patienten, sondern genauso für deren Angehörige da sind. In beiden Fällen meldeten sich die Angehörigen, die sich große Sorgen um ihre Lieben machen und nicht wissen, wie sie helfen können. Gerade ein Wochenende kann einem Angehörigen, der unterstützen möchte, aber nicht weiß wie, ewig vorkommen und in diesem Fall kann man die Sorgen der Angehörigen zumindest etwas auffangen. Bei der Dankbarkeit, die einem dafür entgegengebracht wird, macht man sich auch am Freitag um 14Uhr noch gerne auf den Weg zum Hausbesuch, bevor es in mein letztes Wochenende im bayerischen Wald geht.
Woche 15: 18.12. – 24.12.2023
15 Wochen nach meiner Ankunft ist es bereits wieder Zeit, die Taschen zu packen, mich von den Bayerwald-Praxen zu verabschieden und Danke zu sagen. Die Zeit ist wirklich geflogen!
Meine letzten beiden Tage sind noch einmal intensiv und lang. Neben den Sprechstunden, Feedback-Gespräch, ein paar Hausbesuchen und dem Nachverfolgen ein paar spannender Fälle, wollen auch noch Dankeschön-Plätzchen und Kuchen gebacken, Abschiedskarten geschrieben und Sachen gepackt werden.
Am Dienstag ist in Schöfweg Tag der Wunden und ich habe gleich fünf Patienten, bei denen es um Ulcusversorgung, zu ziehende Fäden oder Klammern geht. Leider immer noch nicht meine Königsdisziplin und daher bin ich sehr froh, dass ich die Wundexpertin Bea jederzeit um Rat fragen kann. In der Mittagspause fahre ich mit Frau Dr. Kleudgen noch zu einem Hausbesuch bei einer Patientin, die ich in den letzten Wochen häufig gesehen habe und die sich zuletzt akut verschlechtert hat. Bei starken Schmerzen möchte die Patientin, die ich als sehr lebensfrohen Menschen kennengelernt habe, nur noch, dass sie endlich erlöst wird. Wir können nicht mehr viel tun, als die Schmerzmedikamente zu erhöhen, die Übelkeit etwas zu lindern, einen Palliativdienst dazuzuholen und emotionalen Beistand zu leisten. Allgemeinmedizin ist Familienmedizin, vom Anfang bis zum Lebensende – für keinen der Beteiligten einfach und doch eine wichtige Aufgabe.
Dies ist eine der Patienten, die ich besonders in Erinnerung behalten werde. Aber nicht nur auf Patientenseite, sondern auch auf Seiten der MFAS und Ärzten durfte ich viele tolle Menschen kennenlernen. Obgleich man den Bayern ein gewisses „Eigenbrödlertum“ nachsagt, ist mir in der Zeit hier unten immer wieder aufgefallen, dass es auch ein sehr hilfsbereites Völkchen ist. Seien es die (leider zahlreichen) Auto-Werkstatt-Besuche, Planlosigkeit auf dem Wertstoffhof (für Mülltrennung braucht man hier unten erstmal eine Fortbildung ;)) oder meine geschrottete Brille, Hilfe habe ich immer schnell und unkompliziert bekommen.
Die meisten Praxistage hier habe ich sicherlich in der Schöfweger Praxis verbracht, daher insbesondere ein großes Dankeschön an Frau Dr. Kleudgen und ihr Stammteam mit Bea, Sandra, Lena, Daniela und Uschi sowie allen, die an einzelnen Tagen in Schöfweg unterstützen, ihr seid ein großartiges Team und es hat immer viel Spaß gemacht, mit euch zu arbeiten!
Ein großes Dankeschön auch an Dr. Blank, der mit seinem riesigen Engagement dieses exzellente PJ überhaupt erst ermöglicht und mir neben fachlichem Wissen auch viel bezüglich Auftreten und Patientenumgang vermittelt hat!
Wir haben letztens mit den PJlern überlegen, welchen der Bayerwald-Ärzte wir als Hausarzt wählen würden und mussten feststellen, dass wir je nach Vorstellungsgrund einen anderen wählen würden. Jeder hat hier seine eigenen Spezialgebiete und Stärken und das macht dieses Team so einzigartig! Also an dieser Stelle nochmal ein großes Dankeschön, an alle Ärzte, MFAs und Teammitglieder, die am Gelingen dieses PJs mitgewirkt haben!
Neben den Menschen werde ich auch den morgendlichen Blick aus dem Fenster aus der gemütlichen Wohnung auf dem Kirchberg vermissen. Wenn morgens die Sonne hinter den Bergkuppen auftaucht und den Himmel in bunte Farben taucht, verschlägt es einem die Sprache und man kann sich nur absolut wohlfühlen auf dem Kirchberg. Das lag aber auch maßgeblich an meiner Gesellschaft – liebe Jonna, du warst eine phänomenale Mitbewohnern, danke für die schöne gemeinsame Zeit und die Pesto-Nudeln-Anti-Kaffee-WG 😀 !!
Fachlich und menschlich habe ich in den letzten Wochen eine steile Lernkurve gehabt. Zweifelsohne gab es auch in den letzten Wochen noch Patienten, bei denen ich komplett planlos war, in welche Richtung es geht und welche Redflags ich abklopfen muss. Doch im Vergleich zum Anfang sind diese deutlich weniger geworden. In den Basic-Skills wie Lunge auskultieren, Bauch abtasten, Tonsillen und Trommelfell beurteilen, konnte ich hier einiges an Routine sammeln und Augen und Ohren schulen. Auch in der Sonografie, EKG-, Labor- und Lufu-Auswertung gab es tagtäglich Möglichkeiten zum Üben. Daneben gibt es durch das breit gefächerte Fortbildungsprogramm mit Fallbesprechungen, Themenvorstellungen und Journal Clubs immer wieder Input von außen. Insgesamt habe ich hier so viele Patienten anamnestiziert und untersucht wie in keinem Praktikum zuvor und konnte daher einiges im Umgang mit Patienten lernen.
Frau Dr. Kleudgen meinte zu mir einmal, als Hausarzt erlebe man täglich Kino. Zahlreiche Menschen kommen jeden Tag zu einem und erzählen ein Stück ihres Lebens, und da gibt es schöne, erfreuliche, genauso wie traurige, haarsträubende und erschütternde Erzählungen. Gerade bei traurigen Geschichten gibt es einige, die einem unter die Haut gehen. Ich habe immer noch einen Patienten im Kopf, der vor 3 Jahren in meiner Famulatur in die Praxis kam und erzählte, dass seine Frau sich vor kurzem suizidiert hatte und sich am Ende des Gesprächs einfach nur fürs Zuhören bedankt hat. Bereits durch das einfache Gespräch und eine gute Patienten-Arzt-Beziehung lässt sich in der Hausarztpraxis sehr viel erreichen und diese Vertrauensbasis, die man (im besten Fall) schaffen kann, schätze ich sehr am Beruf des Hausarztes.
Für mich waren die letzten Monate sehr bereichernd und ich habe die Entscheidung, das Tertial im Bayerwald zu machen, in keiner Sekunde bereut und würde es jederzeit wieder tun! Nochmals herzlichen Dank an das gesamte Team, ich werde euch und den bayerischen Wald vermissen! Pfiat eich!
Hauptstandort Kirchberg
Am Alten Sportplatz 3
94259 Kirchberg
Tel: 09927 441
info@praxis-bayerwald.de