
Philipp Kluwe
Praktisches Jahr
11.03.2024 – 30.06.2024
Woche 1: 11.03. – 17.03.2024
Auf in den Bayerischen Wald! In meinem Fall von Frankreich aus, wo ich mein erstes Tertial in der Inneren Medizin verbrachte. Die vierzehnstündige, gemächliche Zugfahrt erhöhte sogleich meine Empathie und mein Mitgefühl für alle PatientInnen, die mit Rückenschmerzen und Verspannungen in der Hausarztpraxis Rat suchen werden. Denn für die nächsten drei Monate darf ich mein Wahltertial der Allgemeinmedizin auf dem niederbayerischen Land verbringen.
Ein guter Freund, der bereits exzellente Erfahrungen im Programm des „exzellenten Winters“ der Landarztmacher gemachte hatte, empfahl mir beziehungsweise befahl mir mich im selben Rahmen für mein Praktisches Jahr zu bewerben. „Philipp du musst unbedingt dorthin! Das wird dir gefallen. Vertrau mir.“ Und so finde ich mich an einem Sonntagabend nach einer Autofahrt durch die bewaldeten Hügel vorbei an den charmanten Dörfern des Bayerwaldes vor der Tür der gestellten Unterkunft für Studenten wieder. Mich erwartet ein eiskaltes Haus jedoch mit einem warmen Charakter, der von vielen Jahren der Bewohnung zeugt. Ich nehme die erste von wahrscheinlich vielen Brotzeiten in der bäuerlichen Küche ein und beziehe mein Zimmer für die Nacht.
Denn am darauffolgenden Tage fahre ich in die internistische Hausarztpraxis weiter, die mich für die folgenden drei Monate aufnimmt. Eine ansehnliche Schlange an Menschen verspricht einen typischen Morgen einer jeden Hausarztpraxis. Dank der guten Organisation werde ich jedoch trotzdem herzlich von allen Arzthelferinnen und der hier praktizierenden Ärztin und dem Arzt begrüßt. Mich beeindruckt das moderne Gebäude, die fließenden Arbeitsabläufe sowie der professionelle Umgang mit den Patienten. Über die Woche verteilt profitiere ich vormittags von der vielseitigen Sprechstunde in der sowohl Platz für Autonomie als auch für Rückfragen meinerseits besteht und nachmittags von den Angeboten und Fortbildungen der Teilnehmer des „exzellenten Winters“ an denen die PJler teilhaben dürfen. So staune ich beispielsweise über Krankheitsbilder wie die Thyreoiditis de Quervain, Nachkontrollen einer Plasmapherese bei Post-Covid oder das Vollbild einer Psoriasis-Arthritis, welche ich sonst nur im Lehrbuch oder in der Klinik sehe. Weiter geht es mit Online-Vorträgen innerhalb der Praxisgemeinschaften über allgemeinmedizinische Themen oder einer Expertenpräsentation, zufälligerweise, über die Pathophysiologie von postinfektiösen Syndromen. So wird die Praxis des Vormittags mit der Theorie am Nachmittag verknüpft. Zusätzlich finden über drei Tage der Woche verteilt eine Wiederholung der orthopädischen Untersuchungstechniken, eine Gesprächsrunde zur unipolaren Depression sowie ein Pädiatrie-Refresher seines Zeichens im Kindergarten in Begleitung der Kleinen statt. Als Belohnung gibt es ein Eis für die engagierten Kids und ein heimlich gefundenes Bonbon für den nur biologisch älteren PJler.
So fällt man abends gerne und wissensgesättigt in sein Bett. Die erste Woche auf dem Land strotzte förmlich von Eindrücken und Angeboten. Die kurze Zeit verging wie im Flug und verursacht, trotz des vollen Zeitplans, Lust auf mehr. Ich nehme mir vor neben meinem Französisch nun auch etwas Bayerisch aufzupolieren…
Bis zur nächsten Woche
– Philipp
Woche 2: 18.03. – 24.03.2024
Nach einem Wochenendbesuch in der Heimat beginnt eine neue Woche im Bayerwald. Gut gelaunt mit einem Podcast im Ohr kurve ich montags mit objektiv idealer und, den Einheimischen nach, subjektiv suboptimaler Geschwindigkeit auf der Landstraße gen Praxis. Etwas später stehe ich, mitsamt Patient, im Patientenzimmer. Der übliche Alltag der hausärztlichen Tätigkeit zwischen Befundbesprechungen, Betrachtung der über das Wochenende aufgetretenen Beschwerden, Atemwegsinfekten und Vorsorgeuntersuchungen setzt ein. Im Nu ist es 13:00 und die erste Hälfte der Sprechstunde neigt sich dem Ende zu. Ich nutze das studentische Privileg, keine ökonomischen, bürokratischen Aufgaben der Hausarztpraxis übernehmen zu müssen, indem ich erst einmal gemütlich zu Mittag esse. Danach schlüpfe ich in die Laufschuhe und nehme mir vor, die nähere Umgebung zu erkunden. Locker, leichten Laufschrittes geht es vom Asphalt auf den Schotter, vom Schotter auf den Feldweg, vom Feldweg in den Wald und vom Wald in den Sumpf. Infaust verlaufen. Nach 20 Minuten querfeld- und waldein bahne ich mir den Weg durch Unterholz zurück in die Zivilisation und gehe während dem Erklimmen der niederbayerischen Hügel, die gar nicht so nieder sind, die Differentialdiagnosen der Belastungsdyspnoe in vivo durch. Meine innere Stimme sagt mir, ich soll mich zusammenreißen und dass ich zu jung sei für Aortenklappenstenosen und Zynismus. Meine Äußere sagt mit NYHA 3 gar nichts mehr.
Nach einer Dusche im praxiseigenen Untergeschoss und einem Kapitel in meinem Buch hat sich mein Körper wieder beruhigt und genießt die Möglichkeit, die Zeit zwischen den Sprechstunden so frei nutzen zu können. Zwar sind die Tage lang, aber sehr erfüllend. So wiederhole ich das Schema am darauffolgenden Tag und treibe etwas Sport. Meine offensichtlich faul gewordenen, verwöhnten und friedlichen Z-Scheiben werden vehement aus ihrer Ruhe sowie aus ihrer Verankerung gerissen und erinnern mich den Rest der Woche mit nimmer müde werdendem Muskelkater an meine kardiovaskuläre Prävention. Am Wochenende wollte ich an und für sich Passau besuchen, jedoch vergeht bei windigem, grauem und verschneiten Aprilwetter die Lust, sodass ich daheim meine Zeit kulinarisch investiere. Passau rennt nicht weg. Hoffentlich kann ich das morgen noch…
Bis nächste Woche
– Philipp
Woche 3: 25.03. – 31.03.2023
Das Ende der Fastenzeit steht in dieser Woche an. Nicht, dass ich, oder die heiße Theke im Edeka des lokalen 2000 Seelendorfes meiner Praxis, sich sonderlich daran halten würden. Nichtsdestotrotz steht Ostern vor der Tür und damit eine kurze Woche. Die absolute Patientenzahl vor solchen Feiertagen ist jedoch vergleichbar mit einer jeden anderen. Disziplinierte Schulkinder und ihre leidgeprüften Eltern nehmen sich die Ferienwochen Zeit, um ihre Immunabwehr gegen Wald- und Wiesenviren wieder aufzufrischen, Großeltern nehmen beharrlich ihre Rückenschmerzen in Kauf, um Ostereier im hohen Gras zu verstecken und der ein oder andere aspirierende Profifußballer braucht ein Attest für sein Trainingslager. So verfällt man in den wöchentlichen Trott, der sich nach einiger Zeit eingespielt hat. Die Zeit im Patientenzimmer verfliegt schnell. Die Routine zwischen Anamnese, Dokumentation und Therapiefindung setzt ein und der Beginn des Osterwochenendes naht. Obwohl diese Woche weder Phäochromozytome noch Budd-Chiari Syndrome blickdiagnostiziert wurden, ist ein Normalbetrieb in der Hausarztpraxis nicht uninteressant. Kleine Rädchen von Basisdiagnostik, die sich jeden Tag drehen, Organisation von Terminen und dem Praxisbetrieb sowie das Quantum Fortschritt in der Therapie eines Patienten machen den Kontext für die langfristige Versorgung im hausärztlichen Bereich aus. Meine Chefin imponiert wie die Regisseurin eines Puppenspiels, die die Fäden, Protagonisten und Verkleidungen ähnlich im Blick hat wie das Überleben des gesamten Theaters. Ein anderes Schauspiel, auf das ich mich im Auto auf der Hinreise in meine Heimat ähnlich freue, ist das der Kinder meines Bruders, die ohne Zweifel auf der Recherche nach Hasen die Toleranz meines Vaters in puncto Landschaftsarchitektur in Frage stellen.
Bis dahin frohe Ostern
Philipp
Woche 4: 01.04. – 07.04.2024
Ein formidables Osterwochenende mit der Familie liegt hinter mir. Meine liebende Mutter quartierte mich aufgrund des Platzmangels im Hause kurzerhand in unserem alten VW-Bus ein. Eine Entscheidung, die ich sehr begrüßte, da ich sowohl geborgen vom innerhäuslichen Trubel als auch vor meinen Neffen meinen Schönheitsschlaf einfordern kann. Obwohl ich die kleinen Familienanhängsel sehr schätze, begrenzt sich diese Affinität in Anlehnung an einen Sketch von Loriot auf einen Zeitraum von ungefähr acht bis acht. Zusätzlich schläft es sich mit der Sicherheit im Kopf zu jederzeit wegfahren zu können einfach seliger ein. Mag mein frivoler Schreibstil eventuell andeuten, dass ich kein Freund von Familienfesten bin, so nur weil mir diese Zusammenkünfte sehr nah sind. Genauso wie die Patienten natürlich, die munter am Dienstag wieder in die Praxis strömen. Die hohe Kunst der Anamnese wird von Habilitierten wie Büchern gleich als wichtiges Instrument eines jeden Arztes zitiert. So sollen die ersten 30 Sekunden der ununterbrochenen Rede die gewichtigsten Informationen bergen. Ich sinniere über diese Philosophie als mir eine freundliche Dame von „seit 4 Wochen akuten Rückenschmerzen auf Höhe L7/L8“ berichtet. Die Stimme Carl Rogers kämpft innerlich gegen die von Dr. Cox und siegt letztlich, wahrscheinlich zum Wohle der Patientin, sodass wir uns gemeinsam auf einen Lösungsansatz verständigen. Auch wenn nur eine Unterbrechung von 4 Tagen zwischen der letzten Sprechstunde lag, wird mir klar, dass ich die Hausarztpraxis doch vermisst hatte. Wenn man jetzt nur noch die diversen studentischen Privilegien in seine eigene Praxis mitnehmen dürfte ohne sich um den betriebswirtschaftlichen Aspekt den Kopf zerbrechen zu müssen wäre das Land in dem Propofol und Honig fließt erreicht. Ein zünftiges „Servus!“ reißt mich aus meiner Tagträumerei zurück in die Realität. Und das ist auch besser so.
Bis dahin
– Philipp
Woche 5: 08.04. – 14.04.2024
Blut abnehmen ist wie Fahrradfahren. Das sage ich mir zumindest, während der Butterfly über der Vene der netten Diabetikerin aus der Nachbarschaft schwebt. Nach dem Abschlusssemester, drei Monaten Lernplan, einem Monat Urlaub und einem Auslandstertial in Frankreich, wo das kompetente Pflegepersonal so gut wie alle nadelassoziierten Standards durchführt, könnte man sagen ich habe schon länger kein Gefäß mehr punktiert. Günstigerweise war ich schon immer ein solider Fahrradfahrer. So setzt sich der Butterfly vielleicht nicht so grazil wie sein literarischer Zwilling auf mein anvisiertes Ziel, jedoch immerhin ohne zu zögern. Erfolg? Natürlich nicht. Zum Glück haben fünfeinhalb Jahre Studium dann doch den Effekt, dass man seine Furcht vor spitzen Dingen, vor Allem in anderen Leuten, verliert, sodass ich kurzerhand und beherzt die Nadel anschiebe bis die gewünschte Körperflüssigkeit in das Serumröhrchen fließt. Warum nimmt der PJler überhaupt Blut ab und nicht die zehnfach kompetentere MFA? Ich hospitiere heute im Labor, um mich in vivo mit dem DMP Programm zu familiarisieren. Obwohl die praktischen Grundlagen nicht kompliziert sind, steckt der Teufel mal wieder im Detail. Welches Profil wird bei welcher Krankenkasse gewählt? Wie soll man den Bestellschein für das Labor ankreuzen und an welches Labor geht er überhaupt? Welche Ziffer rechne ich ab und wo dokumentiere ich den vom Programm abweichenden Fragebogen? Und warum muss für Privatpatienten der ganze Ablauf komplett anders laufen? Die Hälfte der Arbeit, der Kontrolle chronischer Erkrankungen, verläuft im Hintergrund am Schreibtisch. Zusätzlich sieht der Arzt nach Beendigung des Teils der MFA abends die Befunde durch. Als beherzt medizininteressiert habe ich die Motivation in der Bürokratie wohl eingebüßt. Eine Schwäche, die in einem halben Jahr, sprich im Arbeitsalltag, hoffentlich schnell ausbaufähig ist. Im Herzen werde ich wohl immer lieber Blut abnehmen…
Bis dahin
Philipp
Woche 6: 15.04. – 21.04.2024
Ich war selbst schon immer ein schlechter Patient. Zusätzlich bin ich auch noch männlich. Eine verheerende Kombination, wenn man sich einmal eine Krankheit zuzieht. Denn das subjektive Leiden potenziert sich natürlich hundertfach bei meinem Geschlecht während sich die Genesung schleichend gestaltet, wenn man zwar beim Arzt auf Arbeit geht jedoch selten seine Hilfe in Anspruch nimmt. So folgt ein kurzer Auszug meiner selbstverständlich hyperbolischen Anamnese. Ein 24 jähriger Student präsentiert seit Tagen Temperaturen, die den Vesuv die Röte ins Gesicht treiben würden, Schüttelfrost und das Gefühl als würde alsbald die Welt untergehen. Die bellenden Hustenattacken verursachen laut Chaostheorie regelmäßig Taifune in Südostasien und der grünlich, gelblich, muköse Auswurf sollte laut Biowaffengesetz in einem Labor mit der Sicherheitsstufe 3 untersucht werden. Am fatalsten imponiert natürlich die parainfektiöse depressive Verstimmung, weil einfache körperliche Funktionen wie Atmen oder Gehen auf einmal Erschöpfungszustände verursachen. Kurz und präzise zusammengefasst spricht man vom selbstmitleidigen Syndrom bei Männerschnupfen. Ein Zustand ohne klinische Konsequenz aber mit hohem Leidensdruck bei den oft sehr fragilen Betroffenen. Dass so kleine Organismen wie Mycoplasmen oder ein Haemophilus solch einen Kampf liefern, habe ich dann auch am eigenen Leib erfahren. Als geborener Optimist danke ich natürlich für die Chance meine Empathie für die Patienten direkt steigern zu können. Ironischerweise, denn der „Patient Null“ war sicher auch einer unseren… Da es mir zur Bewahrung meiner Nerven unmöglich ist, länger als zwei Tage herumzuliegen, fahre ich nach eben jenen Pausentagen wieder in die Praxis und widme mich akademischen Aufgaben. In meinem Fall dem Osteoporoserisiko nach neuer NVL der in meiner Praxis behandelten Patienten. Bei über 500 in frage kommenden Akten bleibt genug zum Durchforsten übrig.
Bis dahin
Philipp
Woche 7: 22.04. – 28.04.2024
Es geht bergauf. Mühsam kämpfe ich mit den Überbleibseln meiner verschleppten Bronchitis, aber immerhin kommt der Humor langsam zurück. Lediglich der Sport fehlt mir, der als Ausgleich die Funktion der essentiellen Feinabstimmung der sonst ausgeglichenen inneren Waage darstellt. C’est la vie. Immerhin werde ich wieder auf Patienten losgelassen, sodass die Zeit deutlich schneller vorbeifließt. Dass man als Student stetig gegen das Bild des jungen Alters ankämpft, ist verständlich. Aktuell kommt hinzu, dass meine Stimme sich anhört wie ein billiger Blasebalg aus dem dunklen Mittelalter oder wie nach einer wilden Nacht mit 8 Halben. Hätte ich 8 Halbe getrunken, hätten sich die Konsequenzen eventuell gelohnt. So lächle ich müde über die Ironie, wenn der Patient die scharfsinnige Beobachtung äußert, dass ich mich nicht so gut anhöre. Hier ist auch der Punkt gekommen, wo das verschriftlichte, leidende, parainfektiöse Gedudel sein Ende findet. Diese Woche wird, Kraft eigener Arroganz, der Gesundheitszustand erneut festgelegt. Dementsprechend bin ich dankbar über die routinierten Fortbildungen, die Fallbesprechungen und den thematisch immanent wichtigen Vortrag über Pluralismus dieser Woche. Der Arbeitsalltag spult sich ohne größere Entwicklungen ab und am Donnerstag wird unter PJlern die Leitlinie des Diabetes Typ 2 wiederholt. Der Freitag ist überraschenderweise hoch frequentiert, sodass verspätet, aber mit dem guten Gefühl, etwas geleistet zu haben, das Wochenende begonnen wird. Nächste Woche beginnt der Praxisurlaub. Ein Ziel steht in Aussicht. In meinem Fall eine erneute Reise in das Land der Pâtisserie. Wenn das kein Anreiz ist, sich auf die vorangehenden Tage zu freuen.
Bis dahin
Philipp
Woche 8: 29.04. – 05.05.2024
Ich sitze in der Abenddämmerung an der Atlantikküste Frankreichs, lausche den Wellen die an den Sandstrand branden, dem Wind der durch die Sträucher streicht und den vereinzelten Klängen eines Vogels, der sein Schlaflied anstimmt. Nein, dies ist weder ein Tagtraum à la J.D noch eine Entspannungsübung, um zurück zur Selbstwahrnehmung zu finden. Dieses Mal haben ich, und auch meine Praxis, Urlaub. Nach zwei Tagen vorfreudiger Arbeit geht es mit dem alten VW Bus gen Westen. Beeindruckende Klippen, salzige Seeluft und die Fülle an kulinarischen Köstlichkeiten bieten eine willkommene Abwechslung zur sonstigen Routine. Mein Procam Score steigt eventuell um wenige Prozent, dafür fällt der PHQ-9. Irgendwo muss man Abstriche machen. Ich werde dem sporadischen Leser jedoch eine detaillierte Ausführung meiner Reiseerlebnisse ausgeschmückt mit subjektiven Höhepunkten, alternativlosen Empfehlungen und punktuellen Bewertungen ersparen. Ich beschränke mich darauf zum Beispiel vor einem Schloss an der Loire, an einem moderatem Glas Weißwein nippend, nicht nur das savoir-vivre unser Nachbarn sondern auch die Möglichkeit wertzuschätzen, dass auch in einem Tertial mit einem hohen Anspruch an eigenes Engagement ein privater Ausflug möglich ist. In diesem Sinne: A votre santé! und bis zum nächsten Mal.
Philipp
Woche 9: 06.05. – 12.05.2024 / Woche 10: 13.05. – 20.05.2024
Ich freue mich wie ein dreijähriges Kind. Denn ebenso wie jenes lerne ich fast täglich neue Worte, die mir die Welt in neuem Glanze präsentieren. So versuche ich mir schnell das Lächeln aus dem Gesicht zu zaubern als sich die erste Patientin des Morgens, ihres Zeichens selbst burschikose Krankenschwester, mit den Worten vorstellt: „i woiß schon. Mein Gurgerlzapferl ist wahnsinnig angeschwollen“. Oft haben Patienten auch Recht denke ich mir, als ich das tatsächlich ordentlich vergrößertes „Gurgerzapferl“ beschaue, das glücklich, aber rot wie ein Feuerwehrhydrant zwischen seinen prätonsillitischen Nachbarn hin- und herbaumelt. Ein anderes mir bis dato unbekanntes Wort kommt mir in den Sinn. So erklärte mir auf dem Arbeitsweg eine junge, passionierte Linguistin via Podcast, dass „Glottophobie“ die Diskriminierung lokaler Dialekte und Akzente sei. Als ostdeutscher Integrationsfall, der im Schwabenländle seine Lehrzeit verbrachte und den es nun nach Niederbayern verschlug ist mir diese Idee ein ebenso großes Rätsel wie so manche Konversation zwischen Ortsansässigen in 10er Generation. Wird man nicht automatisch glottophil, wenn die 82jährige Dame einem anamnestisch von ihrem „Schnakkelfinger“ erzählt? Nie wieder werde ich für eine Überweisung zur Ringbandspaltung eine andere Diagnose gebrauchen. Vielleicht sollte man einige ICD-Codes dem lokalen Sprachgebrauch anpassen. Viel undurchsichtiger als jetzt würde die Bürokratie schon nicht werden. Dafür aber viel amüsanter. Interessant wird es, wenn ich nachfragen muss. So dachte ich ein Patient teilte mir mit: „Mein Problem ist das Starkbier“. Ein triftiger Grund. Also fragte ich aus persönlicher Neugierde, eventuell versteckt nach einer Empfehlung, um welche Marke es sich handle. Die ungläubigen Augen meines Gegenübers deuteten bereits ein Missverständnis an, sodass ich kurzerhand um eine Erklärung bat. Es stellt sich heraus, dass der gute Mann mir vermitteln wolle er sei zu stark. Auf näheren Blick zeigt der fast 80jährige ein für sein Alter imposant wirkendes, breites Kreuz und Arme, die sicher so manchen Maßkrug über eine Minute ausgestreckt hielten. Als mein Patient dann mit unschuldiger Miene auf sein Gourmetgewölbe deutet fällt auch bei mir der Groschen. Es gilt, wie immer, dann doch dazuzulernen.
Bis dahin
– Philipp
Woche 12: 27.05. – 02.06.2024
Es ist Montagmorgen. Kurz vor 8 betrete ich beschwingten Schrittes die Praxis. Meine Chefin empfängt mich mit den Worten: „Philipp, gut, dass du da bist. Du kannst gleich wieder gehen“. Ich bejahe dies automatisch. Wenn einem als langjähriger Student am morgens an einem Montag gesagt wird man soll sofortig kehrt machen ist die Antwort alternativlos festgelegt und die Reaktion des algorithmusgeprägten Medizinergehirns wird ohne Filter preisgegeben. Mein Frontalhirn hängt wie immer hinterher. Einige Sekunden später frage ich dann doch nach dem Grund und erfahre, dass eine junge, außerordentlich aufgelöste Patientin soeben telefonisch am Empfang um ärztliche Hilfe bat. Meine Chefin brieft mich kurz über die ausgedehnte Vorgeschichte einer Angststörung mit wiederholten Panikattacken, die bekannte Vulnerabilität sowie die nicht unlängst erfolgte psychosomatische Therapie. Mein Auftrag: Einmal nach dem Rechten sehen, akute Pathologien ausschließen und in beruhigendem Bariton eine Anamnese erheben. So sitze ich keine zehn Minuten nach Dienstbeginn wieder entspannt im Auto, rolle entspannt in den nächsten Ort und treffe die auf ihrem Balkon sitzende, nicht ganz so entspannte, Dame in Gegenwart ihres Freundes an. Diese ist wahrlich aufgelöst, rennt episodisch durch ihre Wohnung, krampft mit den Händen, fällt in sich zusammen, äußert Unbehagen, bittet um Hilfe, erbricht sich trocken und ist verständlicherweise wenig geneigt sich bei einer ruhigen Konversation auf der Couch von mir befragen oder gar untersuchen zu lassen. Der Freund sei der Ex-Freund und expressiert leider auch keine gute Fremdanamnese. Mein Stethoskop schaut mich enttäuscht an als ich einfach gestrickt eine Beutelrückatmung probiere. Leider ist CO2 nur narkotisch, wenn es auch wirklich ankommt, sodass ich als Ass im Ärmel 1mg Tavor aus der Tasche ziehe. Die Tablette wird akzeptiert und ich warte auf den sofortigen Eintritt der Wundermedizin à la Grey’s Anatomy. Vielleicht verzögert sich der Wirkeintritt um 15 Minuten, wenn ich melodramatisch „STAT!“ in das Wohnzimmer rufe. Ich werde wieder Herr meiner intrusiven Gedanken und schwanke aktuell, und nach ausreichend vergangener Zeit, mehreren Untersuchungversuchen und meinem anscheinend doch nicht so beruhigenden Bariton zwischen dem Rettungsdienst und einem Ausflug in die Praxis. In Anbetracht des sich tendenziell verbessernden Status gewinnt die Praxis, sodass wir uns 10 Minuten später zu dritt in einem Untersuchungszimmer wiederfinden. Hier klärt sich auf, dass die Übelkeit den höchsten Leidensdruck verursache. Leider hilft auch unser Vomex im Verlauf wenig und ich werde beauftragt den Bauch zu schallen. Tatsächlich zeigt sich in der Sonographie ein Fußballgroßer Magen, der an der Milz anklopft und reichlich Flüssigkeiten in seinem Inneren mitbringt. An ihrer Stelle wäre mir auch übel. Jetzt gewinnt doch das SanCar und unsere Patientin wird zur Ursachenabklärung in eine Notaufnahme verwiesen. Persönlich reflektierend schelte ich mich, dass ich bis zum Bildbefund meiner confirmation bias und der Psychosomatik-Falle gründlich auf den Leim gegangen bin. Während ich Besserung gelobe, wartet bereits der nächste Patient. Warum der Magen so groß war, fand allerdings niemand heraus. Vielleicht war es ja psychosomatisch…
Bis dahin
Philipp
Woche 13: 03.06. – 09.06.2024
Der Besuch von Fortbildungen für Ärzte als Student ist chronisch unterschätzt. Verständlich, denn das Studium mutet mit unzähligen Seminaren, Vorlesungen und Pflichtveranstaltungen sinnvollerweise einer stetigen Weiterbildung an. Es bleibt nachvollziehbar, dass neben den laufenden Lektüren und Vorträgen weniger Motivation für weitere, freiwillige Bestreben dieser Art überlebt. Meiner Meinung nach ist dies jedoch ein persönlicher Verlust. Zum einen sind für Studenten ärztliche Fortbildungen ubiquitär und kostengünstig verfügbar zum anderen gewähren sie einen differenzierten Einblick in das zukünftige Arbeitsfeld und Umfeld. Jener Eindruck ist je nach Event vielseitig und erleuchtend, wenn auch nicht immer so begeisternd, wie man es sich vorstellt. So stelle ich mir selbst die Frage, an wie vielen Vorlesungen ich geschlafen haben muss, um von den ersten beiden Vorträgen zweier Referenten der Regensburger Pulmologie zur arteriellen Hypertonie, genauso viel verstand, als hätte mir jemand Mickey Mouse in Sanskrit vorgelesen. Ich frage mich nachdenklich, wann es ein geschätzter Charakterzug geworden ist, sein Wissen zu profilieren, indem man die breite Masse von eben diesem ausschließt. Circa ein Dutzend unverständliche Abkürzungen und Messparameter später folgt eine Lobrede auf ein brandneues pathway-inhibiting Medikament, dass die Laufstrecke einer Untergruppe der leidenden Patienten verbessern soll. Als neuester Schrei der Therapie bleibt mir, ähnlich wie dem Patienten, die Luft weg, als ich erfahre, dass es sich in diesem Beispiel um lediglich 40m handelt. Zu entscheiden, ob 40m für die seltene Untergruppe dieser Erkrankung unter Risiko der nicht unwesentlichen Nebenwirkungen wegbereitend ist, liegt nicht an mir. Ein kurzer Blick zwischen dem Industriestand des Unternehmens und dem Interessenkonflikt des Referenten liefert jedoch einen wertvollen Kontext. Wenige Tage darauf sitze ich mitten im Bayerischen Wald im hölzernen Saal eines Schlosses, das ursprünglich von Zwieseler Glasbläsern errichtet und heute liebevoll von einem freiwilligen Verein gepflegt wird, um mich in der Rheumatologie fortzubilden. Im Gegensatz zur 300 Personen Veranstaltung in Regensburg finden sich hier lediglich 20 Ärzte wieder, die im Schnitt alle 30 Jahre älter sind als ich. Trotzdem beeindruckt mich der 70 jährige Referent kurz vor dem Ruhestand mit leitliniengetreuer Aktualität,gespickt mit wertvollen Berufserfahrungen. In kollegialem Diskurs wird nicht nur die Diversität der verschiedenen Fachdisziplinen und Persönlichkeiten deutlich, sondern auch, dass Medizin nicht so schwarz-weiß ist wie Kaplan-Meyer Kurven. Gesponsert ist das Event trotzdem, nur hier laufen die Mittel indirekt in die Erhaltung eines Kulturguts ein. Bei einem Glas Wein tauschen sich die Anwesenden über lokalpolitische Veränderungen und deren Bedeutung für ihre Arbeit und besonders für ihre Patienten aus. Ich werde das Gefühl nicht los, dass trotz der kleineren Anzahl Größeres bewegt wird. Letztlich habe ich bei beiden Veranstaltungen Wissenszuwachs gewonnen, jedoch nur bei einer etwas gelernt.
Bis dahin
– Philipp
Woche 14: 10.06. – 16.06.2024
Diese Woche steht etwas Praxishopping an. Ein großer Vorteil, denn man kommt nicht nur etwas in der Region umher, sondern lernt auch die Einrichtung und Abläufe verschiedener Standorte sowie neue Patienten kennen. Auf der dieswöchigen Liste stehen eine junge COPDlerin mit fataler Familienanamnese, die im Angesicht ihrer erschwerten Symptomatik weiterhin rauchen möchte, eine virtuos kompensierte Depression, die wohl zu spät diagnostiziert worden wäre, hätte die Patientin nicht selbst den Mut gehabt ärztliche Hilfe aufzusuchen sowie ein Niagarafalllautes Systolikum, dessen Wasser in die Knöchel brandet, bei einem 50jährigen, der seit einem halben Jahr alle 4 Sekunden Druck auf der Brust beklagt. Wieder einmal begeistert mich nicht nur die Vielfalt des Berufes, sondern auch der Umgang der Patienten mit ihren Bedenken. So antipathisch man auch die stoffgebundene Sucht aufnimmt stellt sie für viele einen undurchdringbaren fast personalisierten Käfig dar, aus dem man ohne Hilfe schier nicht entfliehen kann. So tapfer manche auch ihre Dysthymie verstecken um ihrem Umfeld keine Vorwürfe zu machen, so unweigerlich und mitleidlos quält sie die Betroffenen. Auch die niederbayerische Zähigkeit eine grenzende Herzinsuffizienz zu ignorieren, weil man seine Rolle auf der Arbeit oder in der Gemeinschaft erfüllen muss lässt mich in kurzer Ehrfurcht vor dem individuellen Krankheitsumgang innehalten. Mein erster hausärztlicher Lehrmeister teilte mir einmal mit, dass er jeden PatientIn als Bild für sein eigenes zukünftiges Handeln betrachtet. Obwohl er dabei wahrscheinlich seine eigene Gesundheit meinte, liegt Richtiges in dieser Aussage, denn wie wir Menschen sehen, so behandeln wir sie auch. Die Neigung, Betroffene und Krankheit in direkte Kausalität zu setzen, scheint natürlich ist ethisch jedoch wenig hilfreich, denn die wenigsten tragen Schuld an ihrer Erkrankung. Vielmehr sollte die Übernahme der Verantwortung im Vordergrund stehen.
Bis dahin
– Philipp
Woche 15: 17.06. – 23.06.2024
Luft strömt in meine Lungen. Meine Augen sind geschlossen. Rücklings liege ich auf der Yogamatte und konzentriere mich auf eine regelmäßige Atmung. Nach einer Abfolge verschiedener Dehnungsübungen tut es gut nur zu sein. Nein, dies ist weder meine disziplinierte Morgenroutine noch ein trendiges Achtsamkeitsseminar für meine work-life balance. Diese Sitzung ist theoretisch Arbeit, denn diese Woche hospitiere ich in einer Rehabilitationsklinik. Auf einem Berg gelegen bietet die ehemalige Lungenklinik nicht nur erfrischende Luft, sondern auch einen atemberaubenden Ausblick über die bayerischen Lande bis zu den Alpen. Zu lange darf ich das Panorama nicht bewundern, da der nächste Therapiepunkt auf meinem Programm wartet. So hangele ich mich vormittags über motorisierte Lymphdrainage, Rückenschule, Wasserdruckmassage, Koordinationstraining, Gehgruppen und elektrische Detonisierung durch die einzelnen Stationen der Rehabilitanden. Interessiert probiere ich die verschiedenen Techniken aus, die sowohl der Lehrplan meiner Universität als auch ich eher stiefmütterlich behandelt haben. Nachmittags werden 1-2 neue Patienten aufgenommen bei denen man sich gerne eine Stunde für eine ausführliche Anamnese, körperliche Untersuchung und das Festlegen von Zielen Zeit nimmt. Bei einem Espresso und Jazz vervollständigen der Oberarzt und ich die Briefe der Aufgenommenen. Dabei kann ich mich mit der Rehabilitationsmedizin immer mehr anfreunden. Zum einen imponiert mir der Gedanke Gesundheit wiederzuerlangen und zu erhalten so gut es dem Einzelnen möglich ist. Zum anderen bleibt in Abwesenheit von Akutpathologien mehr Raum für die Wünsche der Rehabilitanden, ihrem Progress, einen länger anhaltenden Effekt der Therapie sowie für eine multimodale Betrachtungsweise. Sowie hier das Paradies herausklingt ist es wichtig zu betonen, dass die Möglichkeiten abhängig von der intrinsischen Motivation eines Teilnehmenden stark variieren. Eine durch 30 Jahre Übergewicht und Bewegungsmangel kultivierte Gonarthrose wird nicht durch 3 Wochen noch so bemühter Fürsorge eines Therapeutenteams wieder glatt gezaubert. Trotzdem spielt die Rehabilitation nicht nur bei steigenden Operationszahlen, sondern auch aus sozioökonomischer Sicht eine vitale Rolle zur Erhaltung der Gesellschaft. Wer weiß, vielleicht bekomme ich nach 20 Jahren Hörner abstoßen in der Akutmedizin einmal Lust auf einen Szenenwechsel und denke an meinen morgendlichen Sonnengruß zurück.
Bis dahin
– Philipp
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